Drei Reifenschäden in drei Runden - der sonst eher ruhige Großbritannien GP der Formel 1 wurde in den letzten Runden noch zum Krimi. Erst erwischte es Valtteri Bottas, dann Carlos Sainz, und schließlich auch noch Lewis Hamilton.

Während Pirelli die Schäden noch analysiert, stellt sich die Frage: Waren die Schäden vermeidbar und vor allem absehbar? Fast 40 Runden im Renntrimm hatten die Pneus auf dem Buckel. An allen drei Autos ging der linke Vorderreifen kaputt.

Durch den Abflug von Daniil Kvyat in Runde zwölf wurden die strategischen Pläne der Teams durcheinandergewürfelt. "Eigentlich hätten wir erst deutlich später zum Stopp kommen sollen", erklärte Valtteri Bottas nach dem Rennen.

Doch bis auf Romain Grosjean und Alexander Albon nutzte das gesamte Feld die Safety-Car-Phase, um auf die harten Reifen zu wechseln. Je nach Position auf der Strecke bei Safety-Car-Beginn erfolgte der Reifenwechsel in Runde 12 oder 13.

Safety-Car bringt Reifenstrategie durcheinander

Alle waren sich einig: Das sollte der erste und einzige Reifenwechsel bleiben. Pirelli hatte aber bei einer Einstopp-Strategie frühestens Runde 18 für den Wechsel auf die harten Pneus angedacht. Den Teams war das egal. "Diese Reifen haben normalerweise eine lange Lebenserwartung. Sie meinten, wir könnten beinahe eine komplette Renndistanz damit fahren", sagte Hamilton zu Motorsport-Magazin.com.

Der Weltmeister fügte aber an: "Ob das auch für unsere Pace galt, ist fraglich. Valtteri hat mit sehr ordentlicher Pace Druck gemacht, deshalb war es ziemlich schwierig, die Reifen zu managen."

Auf den ersten Blick wirkte es so, als würde Mercedes den Großbritannien GP entspannt kontrollieren. Doch tatsächlich musste sich Hamilton etwas mehr strecken, als eigentlich angenommen. Durch die zwei frühen Safety-Car-Phasen büßte er fast zehn Sekunden Vorsprung auf Verstappen ein. Beim zweiten Restart musste das Mercedes-Duo entsprechend angasen, um die Lücke wieder aufzureißen.

Hamiltons eigentliches Problem hieß aber nicht Verstappen, sondern Bottas. Der Brite konnte sich nicht ausruhen, als er wieder einen komfortablen Vorsprung auf den Red-Bull-Piloten herausgefahren hatte. Teamkollege Bottas blieb im Abstand von zwei Sekunden an Hamilton dran - 20 Runden lang.

Hat sich Mercedes am Ende das Leben selbst schwer gemacht? "Wir haben uns sicherlich ein bisschen härter gepusht, als uns das als Team lieb war", meinte Teamchef Toto Wolff. "Aber man muss sie racen lassen. Wir haben sie gewarnt, dass die Reifen bis zum Ende halten müssen. Sie wussten beide, dass sie P1 oder P2 mit einem Reifenschaden verlieren können und sie sind sehr erfahren. Wenn sie alle Informationen von uns haben, ist es letztlich ihre Entscheidung."

Bottas verliert Zeit: Vibrationen werden stärker

Bottas bereute seine Entscheidung zuerst. Ab Runde 40 fiel er immer weiter zurück. Der Finne klagte über heftige Vibrationen, die sogar seine Sicht stark einschränkten. Während seine Rundenzeiten zuvor konstant unter der 1:30er-Marke lagen, stiegen sie nun an.

Doch allzu drastisch stiegen die Rundenzeiten bis zum letztendlichen Reifenschaden nicht an. Lewis Hamilton wurde nach Bottas' Schaden dazu angehalten, deutlich langsamer zu machen. Nur deshalb wurden auch seine Zeiten langsamer. Aber auch bei ihm fielen die Rundenzeiten nicht ins bodenlose.

Und was war mit Carlos Sainz los? Dass es auch den McLaren-Piloten erwischte, zeigt, dass es sich nicht um ein Mercedes-spezifisches Probleme handelte. Bei Sainz ist in der Rundenzeitentwicklung überhaupt kein Knick zu sehen.

Reifenverschleiß ohne Warnung: Pirellis altes Problem

Deshalb sind die Reifenschäden so prekär: Die Gummis verabschiedeten sich ohne große Vorwarnung. Geht ein Reifen kaputt, weil das Limit seiner Laufleistung erreicht ist, sollte zuvor die Performance drastisch einbrechen.

Die DTM fuhr am Wochenende ihre ersten beiden Saisonläufe in Spa. Die Hankook-Pneus wurden von den DTM-Boliden so heftig rangenommen, dass ein Pflichtstopp teilweise nicht reichte. Bei Rene Rast waren die Slicks bereits nach zehn Runden komplett am Ende, es war quasi kein Gummi mehr auf der Lauffläche.

Anders als in der Formel 1 kam es aber nicht zu Reifenschäden. Stattdessen brachen die Rundenzeiten drastisch ein. Während mit frischen Reifen Rundenzeiten im 2:10er-Bereich möglich waren, fuhren die Piloten nach knapp zehn Runden schon fünf Sekunden langsamer. Wer länger auf den Reifen fuhr, verlor teilweise sogar mehr als zehn Sekunden pro Runde.

Die Frage ist, ob es in der Formel 1 Fremdeinwirkung gab. Die Trümmerteile von Kimi Räikkönens Alfa gelten als Favorit für die finale Ursache der Reifenschäden. Die stark abgenutzten Reifen hatten diesen Teilen wohl nicht mehr viel entgegenzusetzen, denn die schützende Lauffläche war bereits auf ein Minimum heruntergefahren.

Auch wenn die Trümmer letztendlich für die Schäden verantwortlich sein sollten, so zeigt sich dennoch einmal mehr ein Problem mit den Pirelli-Reifen: Fahrer und Teams bekommen keine Vorwarnung, wenn der Gummi völlig ab ist. Dadurch sind die Pneus empfindlicher. "Wir arbeiten an einem Cliff", verteidigt sich Pirellis Mario Isola.

Seit die Italiener 2013 mit mehreren Reifenplatzern in Silverstone ihr Debakel erlebten, geht Pirelli auf Nummer sicher. Die Performance der Reifen bricht seither nicht mehr drastisch ein, wenn die Laufleistung kritisch wird. Das bedeutet nicht, dass es keinen Performance-Verlust gibt - den gibt es bei den sensiblen Reifen durchaus. Dabei handelt es sich aber um sogenannte 'thermal degradation', also Abbau, statt Verschleiß.

Die letzten gröberen Reifenschäden gab es fast immer, wenn sich die Laufleistung dem Ende zuneigte. In Silverstone 2017 erwischte es die beiden Ferrari-Piloten Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen kurz vor Rennende. 2016 schied Vettel in Österreich in Führung liegend mit Reifenschaden aus, 2015 verlor er Rang drei in Spa wegen eines Reifenschadens. In allen Fällen wurden die Gummis exorbitant lange gefahren - einen Performance-Einbruch gab es zuvor aber nie.