Mit 20 Punkten Vorsprung in der Weltmeisterschaft auf Lewis Hamilton reiste Sebastian Vettel nach Silverstone. Mit einem mickrigen Pünktchen Vorsprung reiste er ab. Nach einem durchwachsenen Rennen wäre der Ferrari-Star eigentlich auf Platz vier ins Ziel gekommen - doch dann überschlugen sich die Ereignisse: Zunächst Reifenschaden Räikkönen, eine Runde später Reifenschaden Vettel. Statt Platz drei gab es dann nur Platz sieben.
Vettel war anschließend bedient. "Es war keine Sternstunde der Reifen", sagte der WM-Führende nach dem Rennen. Dabei riss sich Vettel in seiner Presserunde wohl ganz schön zusammen. Denn der 30-Jährige hat eine bewegte Historie mit dem italienischen Reifenhersteller Pirelli, der die Formel 1 seit 2011 exklusiv beliefert.
2013 beschwerte sich Vettel noch vor allem über die Haltbarkeit der sensiblen Pirelli-Pneus. Der Reifenabbau war unnatürlich stark und wirkten sich insbesondere für Vettel im Abtriebs-Giganten Red Bull negativ aus. Von den zahlreichen Reifenschäden, von denen die Formel-1-Welt beim Großbritannien GP 2013 erschüttert wurde, blieb Vettel noch verschont. Nach den Änderungen an der Reifen-Konstruktion dominierte der damalige Red-Bull-Pilot die Saison nach Belieben.
Als Resultat auf die enormen Probleme 2013 und aus Respekt vor den neuen Antriebseinheiten baut Pirelli seit 2014 extrem konservative Reifen. Damit gab es zwar insgesamt deutlich weniger Probleme, nicht aber für Vettel.
Vettel platzt Reifen nach Eau Rouge
Beim Belgien GP 2015 verlor Vettel Platz drei, weil ihm in der vorletzten Runde kurz nach Eau Rouge der rechte Hinterreifen platzte. Ferrari versuchte als einziges Team, mit nur einem Boxenstopp durchzukommen. Als sich Vettels Medium-Reifen auflöste, hatte er bereits 27 Runden abgespult. Das sind mehr als 60 Prozent der Renndistanz auf der Highspeed-Strecke von Spa.
Der Deutsche tobte anschließend: "Ich muss aufpassen, was ich jetzt sage. Das eine ist das Ergebnis, das andere, wenn es 300 Meter früher passiert, knalle ich in die Wand. Die Qualität der Reifen ist miserabel." Vettel war aus zwei Gründen außer sich: Erstens hatte Pirelli den Teams gesagt, die Reifen würden deutlich länger halten. Zweitens brach die Performance der Pneus vor dem Schaden nicht ein.
Die spätere Analyse zeigte, dass auf der Strecke extrem viele kleine Karbonteile lagen, weshalb es vermehrt zu Cuts in den Laufflächen der Reifen kam. Bei Vettel bewirkte der Schnitt, dass sich der Reifen unsanft verabschiedete. Weil kaum mehr Gummi auf der Lauffläche war, zeigte sich der Reifen besonders verwundbar.
Österreich GP: Vettels nächster Reifenplatzer
Ein Jahr später ein ähnliches Szenario. Beim Österreich GP 2016 startet Vettel aus Supersoft-Reifen und wollte mit einem langen ersten Stint die Konkurrenz overcutten. Der viermalige Weltmeister ging nur von Platz neun aus ins Rennen und wollte so Plätze gutmachen. Doch Ferrari übertrieb es offenbar einmal mehr mit der Strategie: In Runde 27 explodierte wieder der rechte Hinterreifen.
Kein anderer Pilot fuhr so viele Runden auf den Supersoft-Reifen. Als der Pirelli-Pneu in die Luft ging, hatte er bereits 26 Rennrunden und einen Qualifying-Run auf dem Buckel. "Keine Ahnung, warum der Reifen kaputtgegangen ist", wütete Vettel an seinem 29. Geburtstag. "Es hat sich nicht angekündigt. Es gab keinerlei Anzeichen für einen bevorstehenden Reifenschaden." Auch hier war bei den Rundenzeiten kein Einbruch zu sehen.
Die Pirelli-Analyse ergab erneut, dass es keine strukturellen Probleme gab. Der Reifenschaden muss wieder durch ein Trümmerteil verursacht worden sein. Dabei hatten viele die extrem harten Baguette-Kerbs im Verdacht.
Vettel: Drei Reifenschäden in drei Jahren
Und nun nach Spa und Spielberg der nächste Reifenschaden. Und wieder ist ein Umstand ähnlich: Vettel fuhr auf seinen Reifen den längsten Stint des Rennens. Doch diesmal brachen die Rundenzeiten des Deutschen ein. "Aber nur, weil ich komplett Tempo rausgenommen habe, als Valtteri [Bottas] an mir vorbei war", wirft Vettel ein.
Und diesmal erwischte es auch Teamkollege Kimi Räikkönen - dessen Reifen noch ein ganzes Stück frischer waren. Die ausführliche Analyse von Pirelli lässt derzeit noch auf sich warten. Die erste Analyse zeigte aber überraschend, dass es sich wohl um Schäden unterschiedlicher Natur handelte. Während bei Vettels linkem Vorderreifen die komplette Luft aus der Karkasse entwich, blieb Räikkönens Reifen abgesehen von einem Streifen weitestgehend in Form.
Dass Vettel etwas vorsichtiger in seiner Wortwahl war, ist wohl noch immer eine Folge des Friedensgipfels, den es nach dem Reifenschaden in Spa gegeben hatte. Pirelli verständigte sich damals mit Vettel und anderen Piloten darauf, intern besser zu kommunizieren und in der Außendarstellung vorsichtiger zu agieren.
So sehr Pirelli in den vergangenen Jahren in die Kritik geriet: Reifenschäden gehören im Motorsport dazu wie Motorschäden oder Fahrfehler. Wenn Fahrer und Teams jedes mechanische Element bis an ihre Grenzen ausreizen, sind Schäden die logische Folge - sofern es sich nicht um strukturelle Probleme handelt.
Ein abgefahrener Reifen ist für externe Beschädigungen deutlich anfälliger als ein neuer Pneu. Seit dieser Saison gibt Pirelli auch keine ultimative Zahl mehr an die Teams, wie viele Runden welche Reifenmischung halten sollte. Die ausführliche Analyse der Reifenschäden von Silverstone 2017 dauert noch an.
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