„Es ist Glück und Pech zugleich, oder?“ So reagierte Max Verstappen in seiner ersten Reaktion im Grid-Interview auf eine völlig verrückte Schlussphase eines ansonsten gerade für den Red-Bull-Piloten langweiligen Formel-1-Rennens in Silverstone. „An einem Punkt habe ich niemanden mehr gesehen, weder vor noch hinter mir“, sagte Verstappen wenig später in der Pressekonferenz.

Chancenlos gegen die Mercedes vor ihm, aber Verfolger Charles Leclerc im Ferrari haushoch überlegen, führ der Niederländer in England tatsächlich ein einsames Rennen. Am Boxenfunk sorgte er vor lauter Langeweile für Heiterkeit, indem er seinen Renningenieur ermahnte, genügend zu trinken - nicht andersherum.

Kostete Verstappens Stopps Red Bull den Sieg?

In den letzten vier Runden war es mit der Entspannung plötzlich und drastisch vorbei. Vor Verstappen zerlegte es Valtteri Bottas den linken Vorderreifen, Red Bull erbte Platz zwei. Weil Bottas fast eine ganze Runde mit dem Plattfuß drehen musste, ehe der Finne die Mercedes-Boxe erreichte, holte Verstappen derart viel Zeit heraus, dass er selbst stoppen konnte, ohne wieder hinter Bottas - oder irgendwen anders sowieso - zurückzufallen.

Formel 1: Was löste das Reifen-Drama in Silverstone aus?: (22:56 Min.)

Auf diese Weise erzielte Verstappen mit einem frischen Soft die schnellste Rennrunde und sicherte sich den Zusatzpunkt für diese. Verstappen war der große Gewinner. Oder doch nicht? Immerhin handelte sich Leader Lewis Hamilton auf der letzten Runde ebenfalls einen Reifenschaden ein, Verstappen holte massiv auf, doch der Weltmeister schleppte sich auf drei Rädern und einer Felge mit 5,8 Sekunden Vorsprung gerade noch als Sieger ins Ziel. Ohne den eigenen Boxenstopp hätte Verstappen das Rennen gewonnen.

Verstappen verteidigt Stopp: In der Situation genau richtig

Enttäuscht oder gar verärgert ist der Niederländer deshalb allerdings nicht - im Gegenteil. „Nachher kann man das immer leicht sagen“, sagte Verstappen. „Wir hatten heute Glück, dass Valtteri den Plattfuß hatte und wir die Position gewonnen haben. Deshalb bin ich überhaupt nicht enttäuscht oder sauer. Ich bin eigentlich sehr zufrieden, dass ich Zweiter geworden bin. Normalerweise wäre ich Dritter gewesen.“

In der Rennsituation sei die Entscheidung genau richtig gewesen, so Verstappen weiter. „Als Valtteri den Platten hatte war klar, dass es ein leichter zweiter Platz wird - also haben wir gestoppt“, erklärte Verstappen. Dass auch Hamilton dasselbe Schicksal ereilen würde, sei alles andere als abzusehen, gegen jede Wahrscheinlichkeit gewesen.

Verstappen: Platten auch bei Hamilton unwahrscheinlich

Verstappen: „Es ist so leicht, nachher zu sagen, wir hätten einfach weiterfahren sollen. Aber wer hätte damit rechnen können, dass Lewis auch einen Plattfuß bekommt? Wie oft passiert das? Normalerweise nie. Ich bereue nichts, wir haben die richtige Entscheidung getroffen. Nachher ist das leicht zu sagen, aber du weiß das in dem Moment nicht. Für uns war es in dem Moment die richtige Entscheidung und das ist es für mich immer noch.“

Damit nicht genug. Noch dazu - oder besser gesagt vor allem - spielte ein anderer Faktor eine große Rolle bei der Entscheidung für den Stopp. Verstappen und Red Bull sorgten sich ihrerseits um die Reifen am RB16. „Schon zehn Runden vor Ende habe ich am Funk gesagt, das der rechte Vorderreifen nicht mehr so toll aussieht“, erinnerte Verstappen. „Als Valtteri dann den Platten bekam habe ich mich wieder gemeldet und gesagt, dass ich es aussitzen werden. Aber sie haben mich dann natürlich für die schnellste Runde an die Box geholt.“

Red Bull fürchtete sich selbst vor Reifenschaden

Doch wie bereits gesagt - ein Vorwurf an das Team soll das mitnichten sein. „Ich war selbst nicht sicher, was mit meinen Reifen los war. Wenn du siehst, dass andere Leute Platten haben und du in der gleichen Runde drin warst wie die, dann denkst du dir, dass dir das auch passieren könnte“, schilderte Verstappen seine Gedanken im Rennen. „Und das willst du nicht, deshalb sind wir an die Box, um sicherzugehen.“ Dass sich Hamilton ausgerechnet dann auch noch einen Platten eingehandelt habe, sei einfach Pech. „Ich hätte den sonst auch haben können - und dann verlierst du mehr“, sagte Verstappen.

Tatsächlich hätte den Niederländer dieses Schicksal ereilen können. Lauscht man den Aussagen seines Teamchefs, waren die Sorgen jedenfalls berechtigt. „Der Reifen, den wir runtergenommen haben, hatte etwa 50 kleine Cuts“, berichtete Christian Horner. Schon zuvor habe sich der Kommandostand nach Verstappens Funksprüchen und erst recht nach dem folgenden Schaden bei Bottas Sorgen gemacht.

Red Bull: 50 Schnitte im Reifen entdeckt

Horner weiter: „Er ist also über Trümmerteile gefahren. Wenn wir draußen geblieben wären, hätten wir diesen zweiten Platz mit demselben Schaden wie Lewis und Bottas ihn hatten, verlieren können. Wir sind deshalb eher dankbar für das, was wir bekommen haben, als dass wir uns über das ärgern, was wir vielleicht verloren haben.“ Oder anders ausgedrückt: Besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.