Die Mercedes-Dampfwalze rollt weiter, unaufhaltsam. Das ist vor dem vierten Rennen der Formel-1-Saison 2020 die Meinung im Fahrerlager. Drei Siege in drei Rennen sprechen eine deutliche Sprache, und für Rennen vier in Silverstone stehen Lewis Hamilton und Valtteri Bottas wieder ganz oben auf der Favoritenliste.

Die Konkurrenz scheint andere Sorgen zu haben. Red Bulls Prioritäten haben sich für den Moment verschoben, sie müssen ihr schwächelndes Auto wieder auf Touren bringen. Ferrari hat sich schon als Siegkandidat abgeschrieben - dafür sorgen sie im Mittelfeld für Action. Denn dort ist es richtig eng.

Mercedes in Silverstone: Kommt Bottas gegen Hamilton an?

Siege auf den sich stark unterscheidenden Strecke in Österreich und in Ungarn unterstrichen noch einmal: Mercedes ist 2020 das Maß der Dinge. Die einzigen Probleme - Sensor-Defekte aufgrund von Kerb-Vibrationen - scheint das Team gelöst zu haben, und Lewis Hamilton fuhr zuletzt einen ganzen Boxenstopp auf den Rest des Feldes heraus.

Intern geht es um die Vormachtstellung. Valtteri Bottas konnte seine Auftakt-Form nicht halten und kassierte zwei Niederlagen. Was im Qualifying fehlte, glaubt er zu wissen: Einmal ein Setup-Fehler, einmal für eine Runde mehr Benzin im Tank. Für den Beinahe-Fehlstart in Ungarn, bei dem er sich von Lichtern auf dem Lenkrad ablenken ließ, kann er aber nur sich selbst verantwortlich machen.

Silverstone ist Bottas' Chance zum Konter: Hier schlug er Hamilton 2019 im Kampf um die Pole, und der Sieg entglitt ihm durch Strategie-Pech. Es ist zwar noch früh in der WM, aber Hamilton vom siebten Heimsieg abzuhalten wäre ein wichtiges Signal.

Red Bull sucht Antworten, Racing Point den Durchbruch

Red Bull kämpft währenddessen weniger mit Mercedes, und mehr mit einem aerodynamisch instabilen Auto. Gerade die Qualifying-Pace liegt hinter den Erwartungen. Upgrades sollen in Silverstone erste Abhilfe schaffen. Das Team glaubt zwar, nach drei Rennen die Ursachen zu verstehen, doch ob sie die Antworten gefunden haben, muss erst verifiziert werden.

Red Bulls 2020er-Auto ist aerodynamisch instabil, Foto: LAT Images
Red Bulls 2020er-Auto ist aerodynamisch instabil, Foto: LAT Images

Red Bull baut in Alex Albons Garage außerdem personell um. Sein Renningenieur Mike Lugg - er war 2019 auf diese Position berufen worden - wird wieder von seinem Vorgänger Simon Rennie (einst Partner von Daniel Ricciardo und Mark Webber) abgelöst. Albons Performance schwankte in den ersten Rennen teils von Stint zu Stint stark.

In der gleichen Sphäre wie Red Bull scheint sich Racing Point zu bewegen. Der pinken Mercedes-Kopie sollte die Strecke wie dem großen Vorbild liegen. Stellt sich nur die Frage, ob Racing Point es umsetzen kann. Fehler verbauten in den ersten drei Rennen den Weg auf das Podium. Schlechtes Regen-Qualifying, schlechte Starts, Fahrfehler, Defekte, Strategie.

Kampf um die Punkte - McLaren, Renault, Ferrari?

Ferrari spielt in dieser Konversation nicht mehr mit. Silverstone braucht Motorleistung, bei fast 80 Prozent Vollgas-Anteil. Das kann Ferrari nicht. "Wir wissen, dass es von einem rein wettbewerbstechnischen Standpunkt aus schwierig wird", gesteht Sportdirektor Laurent Mekies. "Aber wir müssen uns darauf fokussieren, die bestmöglichen Infos herauszuziehen, um das Auto in die richtige Richtung zu entwickeln." Denn wie schon Ferrari-Vorstand John Elkann diese Woche erklärte: Um Siege geht es hier nicht mehr.

McLaren und Renault bringen Upgrades zum vierten Rennen. Beide meinen, dass diese Upgrades zwar nicht unwesentlich seien, aber auch nicht die Reihung verändern würden. McLaren versucht sich nach dem glücklichen österreichischen Höhenflug und der Pech-bedingten ungarischen Bruchlandung endlich dort einzupendeln, wo man sich fühlt: Solide in den Top-10. Renault ist mit drei achten Plätzen schon dort und will beweisen, dass das auch mit beiden Autos geht.

AlphaTauri, Alfa Romeo, Haas, Williams - die Verfolger der Verfolger?

Das wären die Punktekandidaten. Der Rest kämpft um den Anschluss. AlphaTauri fühlt sich noch am besten. "Das Auto hat keine großen Schwächen in irgendeinem Bereich", versichert Pierre Gasly. "Wir müssen nur zwei, drei Dinge verbessern, um eine bessere Balance zu finden. Am Wichtigsten ist mehr Downforce."

Bei Haas könnte es schlechter laufen. Die Reifen bleiben endlich im Arbeitsfenster, das große Problem des Vorjahres scheint Geschichte. "Uns fehlt nur der Speed im Qualifying, und damit müssen wir leben", meint Günther Steiner. "Nachdem wir keine großen Upgrades planen und keine Motor-Upgrades kommen." Q2 zu erreichen wird wieder schwierig, und das unterminiert die Chance auf Punkte, egal wie gut die Rennpace ist.

Alfa leidet wie Haas im Qualifying, und fühlt sich im Rennen konkurrenzfähig. Williams hat im Qualifying den Anschluss gefunden, doch im Rennen fehlt es. Sie bringen ein Upgrade-Paket zum Heimrennen. Damit soll die Lücke nach vorne weiter schrumpfen.

Die Strecke: Der Silverstone Circuit

Der Silverstone Circuit ist auch in seiner modernen Konfiguration eine Power-Strecke. Highspeed-Kurven sind der Schlüssel, vor allem die berühmte Links-Rechts-Links-Rechts-Kombination von Maggots, Becketts und Chapel. Diese Vollgas-Kurven brauchen Motorleistung, und ein am Limit gut ausbalanciertes Fahrzeug. Dank mehrerer Geraden sind auch Überhol-Chancen vorhanden, aber Vorbeifahren ist keine Selbstverständlichkeit, auch nicht mit DRS. Die Kurven-Kombinationen nach den DRS-Zonen eröffnen nämlich Konter-Chancen.

Die hohen Lasten bewegen Pirelli jedes Jahr dazu, die härteste Reifenauswahl mitzubringen. So auch 2020. Ein Ein-Stopp-Rennen geht sich damit aus. Allerdings wird 2020 noch ein Rennen in Silverstone folgen, der "GP des 70. Jubiläums" eine Woche später. Und da wird es weichere Reifen geben.

Das Wetter in Silverstone

Die große Hitzewelle streift das erste Silverstone-Wochenende nur am Freitag mit an die 30 Grad. Am Samstag folgt ein Temperatursturz, und der Rest des Wochenendes soll mit nur wenig Sonne über die Bühne gehen. Der Regen dürfte allerdings fernbleiben. Wenn überhaupt, dann kommt er erst am Abend.

Die Formel 1 aus Silverstone: Zeitplan und TV

Wer die Trainings am Freitag schon verfolgen will, muss in Silverstone umdenken: Eine Stunde später wird erst gestartet, 12:00 Uhr für FP1 und 16:00 Uhr für FP2. Das gilt aber nicht für Qualifying und Rennen, die beginnen wie gewohnt um 15:00 Uhr. Die TV-Übertragungen bleiben Standard: FP2 auf n-tv, Qualifying und Rennen auf RTL. Das volle Programm bieten Sky und F1TV. In Österreich und der Schweiz ändert sich ebenso nichts.