Sebastian Vettel erzielte am zweiten Tag der zweiten Testwoche in Barcelona zwar die Bestzeit, allzu schnell war der Ferrari-Pilot damit aber nicht. 1:16,841 Minuten ließ er notieren. Das Problem daran: Er fuhr bereits auf dem C5-Reifen, der weichsten Mischung im Pirelli-Sortiment. Valtteri Bottas fuhr darauf im Mercedes schon in Woche eins in 1:15,732 Minuten um den Kurs.

Die Vettel-Zeit vom Donnerstag ist nicht das erste Indiz des Tests für fehlende Pace bei Ferrari. In der ersten Testwoche sortierten sich Sebastian Vettel und Charles Leclerc bei den absoluten Zeiten nur im hinteren Mittelfeld ein, Reifen-bereinigt reichte es ebenfalls nur für das Mittelfeld.

Aber sind die Zeiten wirklich ein Problem oder blufft Ferrari? Im Fahrerlager kursieren alle möglichen Kalkulationen. Manche sehen die Roten auf einem Niveau oder sogar hinter Racing Point. Andere sehen Ferrari auf Red-Bull-Niveau. Nur Mercedes' Spitzenposition scheint niemand anzuzweifeln.

Mercedes und Red Bull kaufen Ferrari Pace nicht ab

"Wir sehen uns im Moment als ersten Mercedes-Herausforderer", sagte Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko zu Motorsport-Magazin.com. Allerdings hegt auch er Zweifel an der wahren Ferrari-Pace: "Das ist schwer zu sagen. Es herrscht dort ein Täuschen und Tarnen wie beim Viehhandel."

Vettel sieht es andersrum: "Red Bull ist im Moment eine Wundertüte. Sie sind schwer einzuordnen." Die Red-Bull-Piloten sind natürlich bei ihrem Chef. "Sie [Ferrari] verstecken sicher etwas", meint Alexander Albon. Mercedes meinte in der Vorwoche, Ferrari würde beim Motor bluffen. "Warum hat Ferrari bei diesem Test seine PU konstant auf einem niedrigeren Level betrieben als bei seinen Partnerteams?" hieß es in einem Technik-Spezial der Silberpfeile.

"Das stimmt nicht", konterte Ferrari Teamchef Mattia Binotto. Ferrari führt die geringe Geschwindigkeit auf den Geraden auf das neue Aerodynamik-Konzept zurück. Die Ingenieure wollen mehr Abtrieb, den erkauften sie sich offenbar mit viel Luftwiderstand. Von den Kurvenfähigkeiten schwärmen die beiden Ferrari-Piloten regelmäßig.

Formel 1 Testfahrten 2020: Blufft Ferrari nur? (09:12 Min.)

Ferrari nach Test-Dominanz 2019 geläutert?

Was für einen Ferrari-Bluff spricht: Im vergangenen Jahr reiste die Scuderia als großer Favorit vom Test ab. In Melbourne war der SF90 dann chancenlos unterlegen. Dem SF1000 soll nicht das gleiche Schicksal widerfahren.

Nachdem Ferrari tagelang tiefstapelte, zeigte sich Sebastian Vettel an seinem letzten Testtag etwas optimistischer. "Beim Test zeigt man normalerweise nicht alles. Das macht man, wenn es niemand sieht und niemand deine Runden lesen kann", so Vettel vielsagend. "Die meiste Arbeit geschieht im Hintergrund und man sieht sie nicht."

Ferrari hat offenbar aus der Vergangenheit gelernt. "Wir wollen alle Richtungen ausprobieren. Australien ist eine spezielle Strecke mit einem ganz anderen Setup. Dann kommst du nach Bahrain und auf andere Strecken und dort hast du nicht viel Zeit. Man muss das Auto kennenlernen. Und die Erfahrungen, die wir hier machen, helfen uns hoffentlich das restliche Jahr."

Aber wollte Vettel das Auto nicht mal am Limit bewegen und eine richtige Zeit in den Asphalt brennen? "Das braucht es nicht. Manche Leute zeigen, was sie haben, aber es ist nicht so wichtig. Wir sehen schon genug an den sechs Testtagen, du weißt ungefähr wo du bist", gibt sich Vettel gelassen. Dem allgemeinen Tenor stimmt aber auch er zu: "Wann immer Mercedes auf die Strecke geht, fahren sie ohne Mühe gute Zeiten. Da tun sich alle anderen schwerer."