Ferrari war beim Russland GP in Sotschi drauf und dran, den zweiten Doppelsieg der Formel-1-Saison 2019 einzufahren. Am Ende standen nur ein dritter Platz für Charles Leclerc und ein Ausfall für Sebastian Vettel.

Team für Team: Tops & Flops vom Russland GP 2019 (11:44 Min.)

Für Aufsehen und Diskussionen sorgte nicht nur der Defekt an Vettels Ferrari, sondern vor allem die Teamstrategie. Sebastian Vettel stürmte am Start von drei auf eins - wohl auch dank der Hilfe seines Teamkollegen. "Ich habe mich nicht verteidigt, ich habe Sebastian Windschatten gegeben, so wie es ausgemacht war", verriet Leclerc nach dem Rennen.

Ausgemacht war aber auch, dass sich Vettel anschließend wieder hinter Leclerc zurückfallen lässt, damit die teaminterne Reihenfolge wiederhergestellt ist. Vettel und Leclerc sollten als Team agieren. Zusammen sollten sie die Mercedes-Piloten hinter sich lassen und teamintern keine Risiken eingehen.

Ferrari sortiert sich am Start, Foto: LAT Images
Ferrari sortiert sich am Start, Foto: LAT Images

Bis Kurve zwei ging der Plan perfekt auf: Vettel bog als Erster auf die Runde um die Medals Plaza ein, Leclerc direkt dahinter. Doch dann ging in Sotschi das weiter, was in Monza seinen Anfang genommen hatte.

Ferraris Team-Rivalität geht in Sotschi weiter

Im Qualifying zum Italien GP versagte der Monegasse dem Deutschen die eigentlich zugesicherte Windschatten-Hilfe. Bei Ferrari ging es anschließend rund, Vettel war richtig sauer auf seinen Teamkollegen - der am nächsten Tag umjubelt Ferraris Heimrennen gewann.

In Singapur zwei Wochen später erbte Vettel dank einer besseren Strategie den Sieg. Direkt vor dem Rennen in Sotschi sagte er zur umstrittenen Ferrari-Strategie: "In Anbetracht der letzten Wochen war es aber nicht die falsche Entscheidung."

Damit waren die Fronten abgesteckt: Geschenke würde es zwischen dem viermaligen Formel-1-Weltmeister und dem Ferrari-Neuling nicht mehr geben. Und Vettel zahlte Leclerc Monza ab Kurve zwei weiter zurück.

Vettel ignoriert Teamorder-Forderungen in Sotschi

Statt wie ausgemacht Positionen zu tauschen, fuhr Vettel auf und davon. Die Anweisungen vom Kommandostand ignorierte er, fing stattdessen zu diskutieren an. Vettel gaste so sehr an, dass Leclerc die Pace nicht mitgehen konnte - oder wollte. "Ich habe mich dann zurückfallen lassen, um die Reifen zu schonen", erklärt der 21-Jährige den Pace-Unterschied zu Beginn des Rennens.

Nachdem Vettel sich nicht an die Abmachung hielt, tat er mit seiner Pace alles dafür, um Ferrari den Platztausch so schwer wie möglich zu machen. Nach zehn Runden lag Leclerc zwei Sekunden hinter Vettel. Lewis Hamilton lauerte auf Rang drei keine vier Sekunden hinter Leclerc.

In den nächsten zehn Runden verlor Leclerc weitere zwei Sekunden auf den Führenden. Hamilton hingegen kam näher an den zweiten Ferrari heran. Der Zeitpunkt für einen Platztausch war definitiv vorbei.

Ferrari geht in Sotschi strategisch unter

Und so begann Ferraris strategischer Selbstmord. Weil sich Leclerc der Tatsache bewusste wurde, dass es für ihn immer schwieriger werden würde, die Abmachung durchzusetzen, wollte er den strategischen Vorteil. Er wollte früher zum Stopp als Vettel, um mit einem Undercut vorbeizukommen.

In Runde 22 wechselte Leclerc von Soft auf Medium. Dann begann Sebastian Vettel über seine Reifen zu schimpfen. Der Deutsche wusste, dass er so schnell wie möglich zum Stopp kommen müsste, um die Führung nicht zu verlieren. Doch Vettel durfte erst in Runde 26, als vier Runden nach Leclerc kommen. Zu viel: Leclerc ging dank des Undercuts wieder an Vettel vorbei.

Und dann begann das ganz große Drama: Weil Vettels Bolide direkt nach dem Boxenstopp Probleme mit dem Hybridsystem bekam, musste er seinen SF90 auf der Strecke abstellen. Als wäre das noch nicht genug, musste die Rennleitung für die Bergung auch noch eine VSC-Phase ausrufen.

Vettels kaputter Ferrari am Haken, Foto: LAT Images
Vettels kaputter Ferrari am Haken, Foto: LAT Images

Für Ferrari war der Super-GAU perfekt, weil Lewis Hamilton noch nicht zum Stopp gekommen war. Unter VSC-Bedingungen kostet der Reifenwechsel viel weniger Zeit. 25 Sekunden verliert man unter normalen Bedingungen bei einem Stopp. Fährt man während einer VSC-Phase an die Box, beträgt der Zeitverlust etwa halb so viel.

Hamilton blieb deshalb also auch nach seinem Stopp vor Leclerc. Jetzt könnte man sagen: Pech gehabt. Wer weiß schon, wann ein Safety Car kommt? Doch Ferrari hat leichtfertig mit der Gefahr gespielt - der Streit zwischen Vettel und Leclerc war der Auslöser.

Ferrari verliert im Streit das Rennen aus den Augen

Im Gegensatz zu Ferrari fuhr Mercedes auf den Medium-Reifen los. Es war klar, dass die Silberpfeile strategisch etwas anders machen mussten, um eine Chance zu haben, an den Ferraris vorbeizugehen. Auf der Strecke waren Hamilton und Bottas chancenlos. In Sotschi gibt es ohnehin kaum Überholmöglichkeiten, mit dem großen Topspeed-Defizit tut sich Mercedes zusätzlich schwer.

Ohne DRS und Windschatten war Mercedes auf den beiden langen Geraden rund sieben Stundenkilometer langsamer. Genau deshalb setzte die Truppe von James Vowles auf eine alternative Strategie.

Mercedes pokerte in Sotschi und gewann, Foto: LAT Images
Mercedes pokerte in Sotschi und gewann, Foto: LAT Images

Der Overcut funktioniert in der Regel unter normalen Umständen nicht. Mercedes hatte deshalb zwei Möglichkeiten: Entweder den Vorteil des haltbareren Reifens ausnutzen und so lange wie möglich fahren, um dann auf ein Safety-Car oder eine VSC-Phase zu hoffen, oder am Ende des Stints den Ferrari Druck machen und dann einen Undercut versuchen.

Doch der Undercut ist in Russland deutlich weniger effektiv wie noch in Singapur. Auch, weil Pirelli 2019 härtere Reifenmischungen mit an das Schwarze Meer brachte. Um den Undercut zu versuchen, musste man schon im Heck der Ferraris stecken. Und selbst dann bestünde die Chance nur auf einen Piloten. Beide hätte man niemals bekommen.

Ferrari-Streit zwischen Leclerc und Vettel hilft der Mercedes-Strategie

Doch Ferrari machte Mercedes ein Geschenk und holte beide Fahrer früher rein als nötig. "Wir hatten nach dem richtigen Timing gesucht, um die Positionen zu tauschen, das haben wir gemacht, als Sebastian an die Box kam", verriet Leclerc nach dem Rennen.

Teamchef Mattia Binotto widersprach: "Wir haben die Strategie nicht gewählt, um die Plätze zu tauschen. Charles hatte mit seinen linken Hinterreifen Probleme, Sebastian dann etwas später." Der Blick auf die Rundenzeiten bestätigt diese These nicht: Leclercs Zeiten waren bis zu seinem Stopp völlig konstant.

Von hinten kam Hamilton etwas näher an Leclerc, das stimmt, aber der Mercedes-Pilot war noch nicht in Schlagdistanz. Hamilton holte auch nicht in Riesenschritten auf. Von Runde zehn bis Runde 21 schrumpfte der Abstand von 3,6 auf 2,6 Sekunden. Auch kurz vor dem Stopp gab es keine dramatische Entwicklung.

Der Boxenstopp für Leclerc machte Sinn, um an Vettel vorbeizugehen. Aber er machte keinen Sinn für das Rennen gegen Mercedes. Was anschließend mit Vettel passierte, machte es noch schlimmer. Auch der Deutsche kam ohne Not zum Stopp. Seine Rundenzeiten ließen zwar ganz leicht nach, der Vorsprung auf Hamilton hätte aber einen Reifenwechsel zu diesem Zeitpunkt niemals erfordert.

Zwischen Runde 17 und 25 verlor Vettel 2,1 Sekunden auf Hamilton. Als der Ferrari-Pilot zu seinem Reifenwechsel abbog, hatte er aber noch komfortable 5,1 Sekunden Vorsprung. Weil Vettel aber ein Rennen gegen Leclerc und nicht gegen Hamilton sah, wollte er zum Stopp.

Somit hatte Ferrari Mercedes in genau die Situation gebracht, auf die Mercedes spekuliert hatte. Wären Vettel und Leclerc so lange wie möglich draußen geblieben, hätte man im schlimmsten Fall Platz zwei an Hamilton verloren. So aber ging man das Risiko ein, bei einem Safety Car gleich beide Plätze zu verlieren.

Ferrari verschätzt sich mit zweitem Reifen-Stopp für Leclerc

Und durch den früheren Stopp hatte Leclerc noch einen weiteren Nachteil: Seine Medium-Reifen waren in der zweiten Rennhälfte älter als die Softs der Mercedes-Piloten. Durch das von George Russell verursachte Safety Car wurde das noch einmal von Bedeutung.

Denn Ferrari traute den angefahrenen Mediums beim Restart nicht. Deshalb setzte man alles auf eine Karte und holte Leclerc noch einmal zum Stopp. Dadurch verlor er zwar eine weitere Position an Bottas, doch auf den frischen Softs erhoffte man sich auch noch eine Chance auf den Sieg. Das Risiko wurde nicht belohnt: Trotz frischeren Reifen und trotz Topspeed-Vorteil biss sich Leclerc die Zähne an Bottas aus.

Fazit: Entweder hätten die beiden Ferrari-Piloten sofort nach dem Start tauschen müssen, oder erst wieder ganz am Ende. Weil Vettel sich aber nicht an die Abmachung hielt, war es für einen Platztausch im ersten Stint zu spät. Anschließend entbrannte ein Strategie-Kampf zwischen den beiden Ferrari-Piloten, der Mercedes in die Karten spielte.