Das Qualifying-Ergebnis als solches mag in Silverstone vorhersehbar gewesen sein. Zwei Mercedes, ein Ferrari, zwei Red Bull, ein Ferrari. Gut, Pierre Gasly hätten wohl die wenigsten vor Sebastian Vettel vermutet, aber weltbewegend ist die Reihenfolge insgesamt nicht. Allerdings sind die Top-Autos deutlich näher beisammen, als anzunehmen war.

Charles Leclerc fehlten im Ferrari nur 0,079 Sekunden auf Valtteri Bottas und damit Startplatz eins. Max Verstappen qualifizierte sich auf Rang vier auch nur zwei Zehntel hinter dem Polesetter. Und dabei spuckte dem Red-Bull-Piloten sogar noch der Honda-Antrieb in die Suppe. Der Turbo bekam im unteren Drehzahlbereich nicht genügend Unterstützung von der MGU-H. "Wir hätten um Pole kämpfen können, wenn alles perfekt gelaufen wäre", ärgerte sich Verstappen.

Mit diesen Abständen hätte im Vorfeld niemand gerechnet. Silverstone scheint dem Silberpfeil eigentlich wie auf den Leib geschneidert. In den zahlreichen Kurven hat Ferrari Probleme, in den Power-Sektionen Red Bull. Mercedes ist überall gut.

Doch Red Bull hat mit dem Honda-Antrieb nicht mehr so viel Probleme auf Hangar-Straight und Co. "Wir haben plötzlich einen guten Kompromiss beim Abtrieb gefunden, den wir die letzten Jahre nicht hatten", freute sich Verstappen.

Bei Ferrari wäre sogar Pole drinnen gewesen, wären die Reifen nur nicht schon auf eine Runde in die Knie gegangen. Im letzten Sektor überhitzten der Scuderia die sensiblen Pirelli-Pneus. Nach den ersten beiden Sektoren war Leclerc noch vor Bottas und Hamilton, erst im letzten Sektor verlor er die Pole.

Formel 1 Silverstone, Sektorzeiten im Qualifying

Sektor 1Sektor 2Sektor 3
1Leclerc27,366Bottas34,408Hamilton23,07
2Hamilton27,449Hamilton34,486Bottas23,171
3Bottas27,466Leclerc34,487Verstappen23,253
4Hulkenberg27,495Verstappen34,516Leclerc23,284
5Verstappen27,507Gasly34,652Gasly23,294
6Vettel27,546Vettel34,748Norris23,349
7Gasly27,55Grosjean34,851Vettel23,39
8Ricciardo27,571Norris34,932Sainz23,423
9Raikkonen27,662Sainz34,96Giovinazzi23,452
10Stroll27,678Albon34,987Grosjean23,492
11Sainz27,718Ricciardo35,051Albon23,506
12Albon27,734Perez35,067Ricciardo23,523
13Norris27,756Hulkenberg35,115Magnussen23,531
14Giovinazzi27,78Giovinazzi35,143Raikkonen23,594
15Perez27,788Magnussen35,157Hulkenberg23,599
16Grosjean27,836Raikkonen35,18Kvyat23,632
17Kvyat27,847Kvyat35,181Stroll23,69
18Magnussen27,892Stroll35,246Perez23,754
19Russell28,154Russell35,725Russell23,886
20Kubica28,268Kubica35,894Kubica23,996

Die Abstände täuschen aber ein wenig: Bottas fuhr seine schnellste Runde im ersten Versuch. Hamilton erwischte ausgerechnet auf seiner Heimstrecke eines seiner schlechteren Qualifyings. Er brachte seine Runde nicht komplett zusammen. Die Summe seiner schnellsten Sektorzeiten hätte für Pole Position gereicht.

Trotzdem: Der kleine Vorsprung überrascht. Bei Ferrari selbst wertet man das auch als Erfolg. "Dank unserer Arbeit im Simulator haben wir über Nacht das Setup überarbeitet. Die Fahrer hatten deshalb mehr Vertrauen in das Auto, vor allem weil es besser ausbalanciert war, speziell auf der Vorderachse, wo wir gestern Probleme hatte", freut sich Ferrari Teamchef Mattia Binotto.

Doch noch immer war die Vorderachse nicht perfekt. Die Reifen gingen im letzten Sektor ein, weil Leclerc noch immer Untersteuern hatte. "Es war besser als am Freitag, aber noch nicht perfekt", berichtet Leclerc. "Wenn wir das Problem lösen, holen wir noch richtig viel Zeit." Doch eine schnelle Lösung gibt es offenbar nicht, das Frontflügelkonzept schränkt die Scuderia ein.

Reifen-Poker zwischen Ferrari, Mercedes und Red Bull

Und wenn die Reifen schon auf eine Runde zum Problem werden, wie sieht es dann erst im Longrun aus? Tatsächlich gibt es zwei Ebenen auf Reifenseite. Durch die hohen Kräfte werden die Reifen besonders hart rangenommen und leiden mehr unter Verschleiß als unter Abbau. "Der kriegt hier so viel auf die Fresse, irgendwann ist er tot", formuliert es Nico Hülkenberg recht anschaulich.

Deshalb müssen die Reifen im Rennen ohnehin ganz anders behandelt werden. Die Frage ist, wie sehr Ferrari dauerhaft Tempo rausnehmen muss, damit die Pneus nicht überhitzen. Denn was auf eine Runde nur im letzten Sektor ins Gewicht fällt, hat im Dauerlauf Auswirkungen auf die gesamte Runde. Dauerhaftes Überhitzen kann man sich nicht leisten. Dazu kommt das Verschleiß-Problem, das bei Ferrari im Training sehr ausgeprägt war.

Am Freitag sahen Ferraris Longruns katastrophal aus. Allerdings muss man hier etwas einschränken. Von Leclerc gab es keine relevanten Daten, weil der Monegasse die Reifen in umgekehrter Reihenfolge wie die Konkurrenz fuhr. Vettels Daten sahen schlecht aus, aber Vettel sah auch im Qualifying schlecht aus. Der Deutsche konnte keinen konkreten Grund nennen, in allen Kurven verlor er ein wenig auf seinen Teamkollegen. Am Ende summierte sich sein Rückstand auf den Feind im eigenen Team auf eine halbe Sekunde.

Formel 1 Silverstone 2. Training, Longruns auf Soft

FahrerGefahren gegenReifenalterStintlängeDurchschntl. Zeit
LeclercEnde1231:31,435
HamiltonAnfang1231:31,838
VerstappenAnfang1461:32,392
GaslyAnfang1671:32,786
VettelAnfang1781:32,724

Formel 1 Silverstone 2. Training, Longruns auf Medium

FahrerGefahren gegenReifenalterStintlängeDurchschntl. Zeit
HamiltonEnde20111:30,988
BottasEnde1981:31,269
GaslyEnde1551:31,660
VerstappenEnde1881:31,676
VettelEnde1331:31,966
LeclercAnfang18101:32,629

Trotzdem ist schwer zu glauben, dass Ferrari im Dauerlauf Favorit ist. Dazu starten Leclerc und Vettel als einzige der Top-Piloten auf den Soft-Reifen. Mercedes und Red Bull qualifizierten sich im Q2 auf den Mediums. Sebastian Vettel musste die weichen Reifen aufziehen, weil er Gefahr lief, im Q2 auszuscheiden. Leclerc hingegen verbesserte seine Medium-Zeit, die locker für das Weiterkommen gereicht hätte, etwas überraschend.

"Das war aber geplant, um eine weitere Variable hinzuzufügen", erklärt Binotto und fügt an: "Wir wissen alle, dass es ein langes Rennen wird, in dem der Reifenverschleiß für alle eine große Rolle spielen wird, aber unsere Hoffnung ist, dass wir das richtige Setup gefunden haben, dass es uns erlaubt, gut über einen langen Stint zu kommen."

Der Plan ist klar. "Ich will am Start den Vorteil der weichen Reifen nutzen und an den Mercedes vorbeigehen", verrät Leclerc. "Auch wenn sie dann schneller sein mögen, auf dieser Strecke ist überholen sehr schwer."

Pirelli-Prognose stützt Ferraris Strategie für Silverstone

Laut Pirelli ist der Ferrari-Plan auch aus Strategiesicht gar nicht so dumm. Die Italiener rechnen vor: Die schnellste Strategie ist ein Zweistopp-Rennen, mit zwei kurzen Soft-Stints und einem langen Stint auf den harten Reifen. Die zweitschnellste Strategie, so die Simulationen, sei ein Zweistopp-Rennen mit einem Stint auf Medium, einem auf Soft und einem auf Hard.

Pirelli-Prognose: Rennstrategien für das Formel-1-Rennen in Silverstone

  • Schnellste: Zweistopp, 2 Stints auf Soft (13+13 Runden), auf Hard ins Ziel
  • 2. Schnellste: Zweistopp, 1 Stint auf Medium (15 Runden), 1 Stint auf Soft (13 Runden), auf Hard ins Ziel
  • 3. Schnellste: Dreistopp, 3 Stints auf Soft (8+11+11 Runden), auf Hard ins Ziel

Das Problem: Nicht wenige glauben, dass es beim Verschleiß auch mit einem Stopp geht. Und der Abbau scheint nicht so dramatisch. "Man kommt nach dem anfänglichen Drop auf ein gewisses Plateau", erklärt Hülkenberg. Die Konkurrenz kann deshalb die Ferrari-Strategie nicht so recht nachvollziehen. "Es ist interessant, dass Ferrari auf Soft startet", meint Red Bull Teamchef Christian Horner. "Es könnte die Sache interessant machen, weil es sie in die Region von zwei Stopps bringt."

Mercedes wegen Red Bull in der Strategie-Zwickmühle?

Normalerweise ist das kein riesiger Nachteil, weil die Konkurrenz dann oft nachzieht. Das gab es bereits öfter in der jüngeren Vergangenheit: Immer wenn Ferrari mit aggressiverer Strategie fuhr, um irgendeine Chance zu haben, zog Mercedes im Rennen einfach nach. Dann war man weiterhin auf der Strecke vorne, hatte aber kein Risiko, Strategisch in eine Falle zu laufen.

Genau das wurde aber Ferrari in Österreich zum Verhängnis, als plötzlich drei Teams siegfähig waren. Als Bottas zum Stopp kam, zog Ferrari mit Leclerc nach, obwohl es noch gar nicht nötig war. Davon profitierte am Ende Verstappen, den Ferrari zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf der Rechnung hatte. Heißt für Silverstone: Mercedes kann nicht unbedingt nachziehen, wenn Ferrari früh zum Stopp kommt, weil auch noch Red Bull Chancen hat.

Und die Bullen sind nicht zu unterschätzen. "Normalerweise ist unsere Rennpace besser", weiß auch Max Verstappen. Deshalb könnte der Großbritannien GP durchaus interessanter werden, als im Vorfeld angenommen.

Allerdings war Mercedes am Freitag in den Longruns auch Red Bull deutlich überlegen. Da allerdings hatte Verstappen noch mit seinem Bullen zu kämpfen. Eine Setup-Änderung über Nacht machte aus dem 'schlechtesten Freitag der Saison' einen Kandidaten für Pole Position.

Fazit: Die Ausgangssituation für den GP ist tatsächlich spannender als erwartet. Die besten Karten hat aber natürlich Mercedes: Das schnellste Auto geht mit den Medium-Reifen von den besten Positionen aus ins Rennen. Aber Red Bull ist im Renntrimm nicht zu unterschätzen. Ferraris Longrun-Performance ist die große Unbekannte, dazu kommt der mögliche Soft-Nachteil. Selbst wenn der Start für Leclerc perfekt verlaufen sollte, könnte es sein, dass Ferrari dem Gegner nicht die eigene Strategie obstruieren kann, weil mit Mercedes und Red Bull gleich zwei Teams in Lauerstellung sind, die auch gegeneinander fahren.