Zugegeben, allzu viel gibt es bei diesem Japan GP 2018 nicht zu analysieren: Lewis Hamilton dominierte vom 1. Freien Training bis zur Zieldurchfahrt, sein 71. Formel-1-Sieg schien nie auch nur ansatzweise in Gefahr. Deshalb beschäftigt sich die Rennanalyse aus Suzuka diesmal mit Sebastian Vettels Horrorwochenende. Was ging alles schief? Wo hätte er ohne Fehler am Fließband landen können? Motorsport-Magazin.com rollt sein Wochenende von vorne auf.

Der Freitag begann für Vettel selbst etwas ruhiger. Kein Mauer-Kontakt, kein Verbremser, der einen Reifensatz ruiniert hat, kein Dreher. Stattdessen drehte der Ferrari-Star munter seine Runden. Nur schnell genug waren sie nicht. Die Zeichen standen am Freitag eher auf Red-Bull-Verteidigung als auf Mercedes-Angriff.

Der Rückstand auf Mercedes war exorbitant. Mehr als acht Zehntelsekunden fehlten Vettel auf die Bestzeit von Hamilton. Im Longrun sah es nicht viel besser aus. Auf den Supersoft-Reifen war Vettel im Schnitt 0,75 Sekunden langsamer als sein Titelrivale.

Formel 1 Japan 2018, Longruns Supersoft

FahrerGefahren gegenReifen-AlterStint-LängeDurchschntl. Zeit
HamiltonAnfang1591:34,394
BottasAnfang1681:34,978
VettelAnfang15111:35,144
RicciardoAnfang1371:35,181
VerstappenAnfang1661:35,201

Nur auf den Soft-Reifen lief es ein wenig besser. Hier fehlten 'nur' drei Zehntelsekunden auf den Mercedes-Piloten. Allerdings hatte Vettel schon nach wenigen Runden relativ heftiges Blistering. "Wir strapazieren unsere Reifen stärker als die andere", bestätigte er.

Formel 1 Japan 2018, Longruns Soft

FahrerGefahren gegenReifen-AlterStint-LängeDurchschntl. Zeit
HamiltonEnde1671:33,482
VettelEnde1771:33,771
RicciardoEnde1481:33,889
BottasEnde1461:34,018
VerstappenEnde1691:34,317
RäikkönenMitte24141:35,196

Von Freitag auf Samstag fand Ferrari offenbar etwas. Im 3. Freien Training war der Heppenheimer schon deutlich näher dran an Hamilton. Allerdings waren die Bedingungen nicht ganz repräsentativ, weil es zwischendurch leicht regnete und das Training am Ende nach dem Unfall von Nico Hülkenberg vorzeitig beendet werden musste. Trotzdem: Der Trend stimmte Vettel am Samstag positiv.

Ferrari und Vettel verhauen Qualifying komplett

Allzu lange hielt die positive Stimmung aber nicht. Im Qualifying machte Ferrari im Q2 den ersten kleinen Fehler. Während sich Mercedes auf den Soft-Reifen für Q3 qualifizierte, setzte Ferrari auf Supersoft. Die Pace hätte Ferrari gehabt. Weil am Ende von Q2 leichter Regen einsetzte, qualifizierte sich sogar Romain Grosjean auf Soft-Reifen für Q3.

Spätestens im Q3 dürfte Vettels Laune am Nullpunkt angekommen sein. Als einziges Team wählte Ferrari die Intermediate-Reifen zu Beginn der Session. Tatsächlich aber war vom leichten Nieseln vom Ende von Q2 längst nichts mehr zu sehen, die Strecke war wieder staubtrocken. Während die anderen Teams überlegten, auf Intermediates rauszugehen, aber allesamt auf Slicks setzten, ließ Ferrari Vettel und Räikkönen auf den grünen Pirelli-Pneus raus.

Formel 1 2018: Top-Themen nach dem Japan GP (10:08 Min.)

Schon beim Warten am Boxenausgang funkte Vettel, dass es zu trocken für Intermediates war. Nach einer Installationsrunde kamen Vettel und Räikkönen zum Reifenwechsel zurück. Währenddessen setzten Hamilton und Co schon ihre ersten Rundenzeiten.

Als Räikkönen und Vettel dann auf Supersoft-Reifen auf Zeitenjagd gingen, begannen die Bedingungen gerade wieder etwas schlechter zu werden. Doch die Strecke war noch trocken genug für Bestzeiten. Kimi Räikkönen reihte sich nach einem kleinen Fehler immerhin noch auf Rang vier hinter Max Verstappen ein, Sebastian Vettel verpatzte seine Runde mit einem Fehler in Spoon völlig.

Es sollte ein folgeschwere Fehler sein, wie sich schnell herausstellte. Als die Piloten ihre zweiten Versuche setzen wollten, begann es wieder richtig zu regnen. An Verbesserungen war nicht mehr zu denken. "Im Nachhinein ist das immer einfach und von außen sowieso", verteidigte Vettel die Ferrari-Strategie. "Wir dachten, dass die Strecke ein bisschen nässer gewesen wäre."

Doch die meisten Plätze verlor Vettel durch seinen Fehler in Spoon. "Mein Fehler in Spoon hat mich die Chance gekostet, mich besser zu qualifizieren in dem einen Versuch, den ich hatte", gestand Vettel selbst. Besonders bitter: Dadurch konnte Ferrari den Samstags-Aufschwung nicht zeigen. "Ich denke, es wäre besser als gestern gewesen, wir haben einen Schritt gemacht. Schade, dass wir das nicht bestätigen konnten. Es war nicht unser Tag, nicht unser Qualifying", konstatierte Vettel.

Vettels legt furiosen Rennstart hin

Dank Esteban Ocons Strafversetzung konnte der Deutsche immerhin von Startplatz acht aus ins Rennen gehen. Und Vettel legte los wie die Feuerwehr: Brendon Hartley hatte er bereits nach wenigen Metern überholt, Pierre Gasly wurde noch in den Esses zu seinem nächsten Opfer. Romain Grosjean musste vor der Spoon-Kurve dran glauben.

Weil Max Verstappen sich in der Schikane verbremste und beim Weg zurück auf die Strecke Kimi Räikkönen abdrängte, kam Vettel in Runde eins auch noch an seinem Teamkollegen vorbei. Für den WM-Zweiten ging es in einer Runde von Platz acht auf Platz vier.

Danach beruhigte sich der Vorwärtsdrang ein wenig, an Verstappen ging es nicht so schnell vorbei. Da kam die Safety-Car-Phase in Runde vier wie gerufen für Vettel. Beim Restart machte er allerdings einen kleinen Fehler beim Rausbeschleunigen aus der Schikane und stand leicht quer. Direkt beim Restart konnte er nichts ausrichten.

Doch Vettel sparte sich Batterie und nutzte die Power für einen Angriff in Spoon. Aus der Haarnadel kam er gut heraus, setzte die Zusatz-Energie ein und sah, dass Verstappen Energie sparen muss, weil seine Leuchte auf der Zufahrt zu Spoon blinkte.

Verstappen crash mit Vettel

Verstappen ließ die Tür ein kleines Stück offen, Vettel stach hinein - war allerdings noch zu weit zurück für einen Angriff. Zuerst traf Vettels rechtes Vorderrad Verstappens Red Bull am linken Vorderrad, dann rutschte der Ferrari noch weiter am Red Bull entlang und traf ihn schließlich noch am linken Hinterrad.

Max Verstappen gab seine Position nicht so einfach an Sebastian Vettel ab, Foto: Sutton
Max Verstappen gab seine Position nicht so einfach an Sebastian Vettel ab, Foto: Sutton

Während der Red Bull 'nur' einige Zentimeter in die Luft befördert wurde und etwas Schaden von der Kollision nahm, aber ohne großen Zeitverlust davonkam, drehte sich Vettel in die Auslaufzone. Dabei musste er - mit Ausnahme von Kevin Magnussen - das gesamte Feld passieren lassen und fand sich am Ende von Runde sieben auf Rang 19 wieder.

"Er hat mich gesehen, hat seine Linie verteidigt, aber mir dann keinen Platz mehr gelassen", beschwerte sich Vettel über Verstappen. "Die Lücke war da, wenn ich da nicht reinfahre, kann ich auch auf dem Sofa sitzen oder Experte werden. Ich habe mit anderen Autos gekämpft und hatte keine Probleme. Es ist immer wieder ein Problem bei ihm [Verstappen]."

Die Kommissare beließen es bei einem Rennunfall, griffen nicht mit einer Strafe durch. Eher glücklich für Vettel, wie die meisten meinen. Ihm half dabei wohl die Richtlinie der FIA, die vor einiger Zeit ausgegeben wurde, die besagt, dass nur noch Strafen ausgesprochen werden, wenn ein Pilot ganz klar schuld ist. Vettels Argument, es hätte mit anderen Piloten an dieser Stelle auch funktioniert, zieht nicht wirklich - wie sein restliches Rennen beweist.

Aufholjagd beginnt von vorne: Vettel auf P19

Vettels Aufholjagd begann von vorne. Alle Chancen auf ein Top-Resultat waren jedoch dahin. 20 Sekunden fehlten ihm nun auf die Spitze, dazu nahm sein Bolide Schaden von der Kollision. Lange blieb Vettel aber nicht auf Platz 19. In Runde 10 hatte er bereits Stoffel Vandoorne überholt. Zwei Runden später holte er sich gleich zwei Plätze: Sergey Sirotkin und Marcus Ericsson mussten dran glauben. In Runde 13 fiel auch noch Lance Stroll hinter Vettel zurück.

Mit seinem zukünftigen Teamkollegen Charles Leclerc hatte Vettel etwas mehr zu kämpfen. Doch nach etwas mehr als drei Runden war auch der Sauber-Pilot fällig. In Runde 15 lag Vettel bereits wieder auf Rang 14. Landsmann Nico Hülkenberg gab Rang 13 vergleichsweise einfach her. Nur eine Runde konnte er sich gegen Vettel wehren.

Viel Gegenwehr hatte Sebastian Vettel bei seiner Aufholjagd nicht, Foto: Sutton
Viel Gegenwehr hatte Sebastian Vettel bei seiner Aufholjagd nicht, Foto: Sutton

Fernando Alonso schenkte seine Position wie Leclerc nicht her. Auch hinter dem McLaren-Fahrer verbrachte Vettel immerhin drei Runden. In Runde 19 war er aber auch am Altmeister vorbei - Rang zwölf.

Als nächster stand Brendon Hartley auf dem Plan. Auch mit ihm hatte Vettel nur wenig Probleme. Carlos Sainz erwies sich schon als etwas hartnäckiger. Fünf Runden lang hing Vettel hinter ihm fest, ehe der Deutsche in Runde 26 in die Boxengasse abbog. Der Reifenwechsel von Supersoft auf Soft warf ihn auf Rang 16 zurück. Sergey Sirotkin erwies sich erneut als willkommenes Opfer, Rang 15 in Runde 28. Ein Runde später überholte er Nico Hülkenberg zum zweiten Mal, dazu noch Marcus Ericsson. Brendon Hartley fiel durch seinen Boxenstopp wieder hinter Vettel zurück. Rang zwölf.

Esteban Ocon und Charles Leclerc kassierte Vettel dann wieder auf der Strecke. In Runde 32 kam Sainz, an dem sich Vettel vor seinem Stopp die Zähne ausgebissen hatte, zum Reifenwechsel. Der Renault-Pilot fiel hinter Vettel zurück. In Runde 33 musste Romain Grosjean erneut dran glauben.

Abgesehen von ein paar Piloten setzte sich angesichts des großen Geschwindigkeitsüberschusses niemand richtig zur Wehr. Das offenbarte das größte Problem der Formel 1 einmal mehr. Es ist eine Zweiklassengesellschaft, in der es sich nicht einmal rentiert, sich gegen einen Ferrari zu verteidigen. Deshalb zieht Vettels Argument beim Verstappen-Unfall auch nicht. Für den Niederländer rentiert es sich in der Regel, sich gegen einen Ferrari zu verteidigen.

Für Vettel war die Aufholjagd damit beendet. Nach allen Boxenstopps lag er gut 40 Sekunden hinter Teamkollege Räikkönen, der auf Rang fünf fuhr. Auf die Spitze fehlten sogar über 60 Sekunden. Vettel trauert nicht nur den WM-Punkten hinterher. "Einen Mercedes hätten wir heute gepackt", glaubt er.

Wie gut war der Ferrari in Japan?

Während Hamilton an der Spitze alles kontrollierte, musste sich Bottas bis zuletzt gegen Verstappen erwehren. "Ich hatte ein ziemlich gutes Gefühl", sagte Vettel nach dem Rennen. "Die erste Runde war stark und ich war auch schneller als Max. Auch wenn es schwierig war ihn zu überholen, ich konnte mit meinem Auto spielen und die Reifen ziemlich gut am Leben halten. Aber mit dem Schaden und im Verkehr werden wir es nie wissen, was möglich gewesen wäre. Aber mit dem, was ich im Rennen hatte, war ich zufrieden."

Auch wenn Vettel am Ende noch die schnellste Rennrunde fuhr: Selbst ohne Verkehr konnte er nach dem Überholmanöver keine Zeit auf Hamilton gutmachen. Stattdessen verlor er noch mehr als zehn Sekunden. Ob das repräsentativ ist? Vettels Auto war beschädigt, beide fuhren auf unterschiedlichen Reifen, für beide ging es um nichts mehr.

Wie viel die Beschädigung kostete, weiß Vettel nicht. "Ich habe nur meine Trümmerteile gesehen, als ich in Spoon noch einmal rausgekommen bin", scherzte er. "Es war auf jede Fall viel Schaden am Auto."