Der Kampf um die Formel-1-Weltmeisterschaft 2018 ist so gut wie entschieden. Lewis Hamilton kann schon beim kommenden Rennen in Austin vorzeitig die Titelverteidigung sicherstellen. Ferrari scheint Mercedes vier Rennen vor Schluss nichts mehr entgegenzusetzen zu haben. Etwas, das vor zwei Monaten so nicht abzusehen war. Liberty Medias Ross Brawn hat seine eigene Theorie was den Absturz der Scuderia und ihres Titelanwärters Sebastian Vettel angeht.

Brawn zeichnete zwischen 1997 und 2006 als Technischer Direktor Ferraris zusammen mit Teamchef Jean Todt, Chefdesigner Rory Byrne und Rekordweltmeister Michael Schumacher für die größten Erfolge der Teamgeschichte verantwortlich. Der Brite weiß also, wovon er spricht, wenn es um Maranello geht. Er glaubt, dass die Italiener im Sommer durch ein Ereignis abseits der Rennstrecke aus der Bahn geworfen wurden.

"Es gibt keinen Zweifel daran, dass der Schock durch den plötzlichen Tod ihres Anführers, Sergio Marchionne, der innerhalb des Teams so eine wichtige Bezugsperson war, gewaltige Folgen hatte. Und das ist völlig nachvollziehbar", so der 63-Jährige. Marchionne war am 25. Juli nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Der Top-Manager hatte die Geschicke des Fiat-Chrysler-Konzerns seit 2004 geleitet.

Ferrari schmeißt WM wie 2017 weg - aber doch anders

Brawn kann sich das sportliche Hintertreffen gegenüber Rivale Mercedes nach einer so starken ersten Saisonhälfte nicht anders erklären. "Wie letztes Jahr ist Ferrari im September und Oktober vom rechten Weg abgekommen. Bis Monza schien die Scuderia noch dazu in der Lage, bis zum Ende um beide Titel zu kämpfen", weiß auch er.

Zwar hat Ferrari die Weltmeisterschaft zum gleichen Zeitpunkt wie 2017 verloren, doch letztes Jahr kosteten Defekte in Sepang und Suzuka die Chance auf den WM-Titel. "Im Vergleich zum letzten Jahr hat sich Ferraris Zuverlässigkeit verbessert. Wo also liegt dann das Problem?", spannt Brawn den Bogen zum Tod Marchionnes.

Formel 1 2018: Top-Themen nach dem Japan GP (10:08 Min.)

Brawn attestiert Ferrari Top-Auto: Starkes Paket

"Selbst bei einer oberflächlichen Analyse von der Art wie sich das Auto verhält, ist offensichtlich, dass Ferrari ein sehr starkes technisches Paket hat", lobt Brawn seinen ehemaligen Arbeitgeber. „Das ist den Anstrengungen der vergangenen paar Jahre zu verdanken, welche es dem Team ermöglicht haben, den technischen Rückstand auf Mercedes zu schließen, der sich seit Einführung der Power Units 2014 entwickelt hatte.“

Am Auto und der Arbeit der Ingenieure liegt es laut Brawn also definitiv nicht. Seine Dienstzeit bei Ferrari hat ihm allerdings auch gelehrt, dass mehr dazu gehört, um in der Formel 1 den Klassenprimus zu stellen. Nachdem er Schumacher ein Jahr später von Benetton zu Ferrari folgte, dauerte es drei Jahre, bis das Team erstmals die Konstrukteurs-WM gewann. Für den ersten Fahrertitel brauchte man noch eine Saison mehr.

Brawn spricht aus Erfahrung: Schuldzuweisungen für Ferrari der falsche Weg

Dass bei Ferrari schnell mal der Haussegen schief hängt, wenn die Erfolge ausbleiben, ist nichts Neues. Schon Größen wie Alain Prost und Fernando Alonso scheiterten bei Ferrari und was einst als Traumehe begann, endete im Rosenkrieg. Letzteren wittert man mittlerweile auch zwischen Vettel und seinem Team, allen voran Teamchef Maurizio Arrivabene, der selbst unter hohem Erfolgsdruck steht.

"Da ich in meiner Zeit mit Ferrari selbst Krisen erlebt habe, weiß ich, dass das die Zeit ist um die Köpfe zusammenzustecken, vereint zu bleiben und nach vorne zu schauen", so Brawn. "Und zwar ohne sich in gegenseitige Schuldzuweisungen zu flüchten und das blame game zu spielen." Obwohl 2018 nach einem vielversprechenden Beginn erneut zu einer Pleite wurde, glaubt er, dass das Team sich in den ausstehenden vier Rennen seine Siegermentalität zurückholen kann.

"Die Fahrer, die Ingenieure, das Management, sie alle gewinnen und verlieren zusammen. Das ist in jedem Sport eine ungeschriebene Regel, nicht nur in der Formel 1. Das weiß auch in Maranello jeder. Es ist jetzt die Zeit gekommen, die Wende zu schaffen und eine Saison, die viel Positives hatte, mit Stil zu beenden", macht Brawn der Scuderia Mut.