Der Dreikampf zwischen den Top-Teams wird in der Formel 1 wieder mehr zu einem Zweikampf. Obwohl Red Bull vor einer Woche den Österreich GP gewann, kann das nicht über die kleine Formschwäche hinwegtäuschen. Glückliche Umstände halfen Max Verstappen. In Großbritannien sieht es erneut nach einem Zweikampf zwischen Ferrari und Mercedes aus. Doch wer hat die Nase vorne? Und kommt Red Bull im Rennen wieder zurück? Die große Motorsport-Magazin.com-Trainings-Analyse aus Silverstone.

Natürlich waren nach Spielberg einmal mehr die Reifen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Wie schon in Barcelona und Le Castellet brachte Pirelli auch noch Silverstone die dünneren Reifen mit. Die 0,4 Millimeter dünnere Lauffläche soll überhitzen und dadurch Blistering vermeiden. Bei 51 Grad Streckentemperatur gab es im zweiten Freien Training gleich den Härtetest.

Ferrari überrascht: Plötzlich schneller als Mercedes

Wie in Spanien und Frankreich wurde auch in England ein neuer Asphalt verlegt, der besonders schonend zu den Reifen ist und gleichzeitig mehr Grip bietet. Diese Kombination erfordert die Spezial-Reifen. Die Rundenzeiten legitimieren den Schritt: Freitags-Schnellster Lewis Hamilton fuhr schon eine Sekunde schneller als im Freitagstraining 2017. Dabei sorgt die zusätzliche DRS-Zone durch Kurve eins und zwei für zusätzliche Belastung auf den Reifen.

Doch die erste Bilanz fällt positiv aus: Trotz der tropischen Temperaturen und den genannten Faktoren konnte Pirelli am Freitag weder Blistering, noch Graining feststellen. Der Plan ging offenbar auf.

Wie nicht anders zu erwarten war, ging die Freitagsbestzeit an Mercedes. Allerdings konnte Hamilton seine Zeit aus dem 1. Training am Nachmittag nicht mehr wiederholen. Stattdessen überraschten Ferrari und Sebastian Vettel bei den höheren Temperaturen.

Aus mehreren Gründen ein ungewöhnliches Bild: Streckencharakteristik, Asphalt und Reifen sollten in der Theorie eigentlich Mercedes entgegenkommen. Dazu ist vor allem Vettel am Freitag meist noch ein ganzes Stück weg. "Es darf ja auch mal gut sein zur Abwechslung", scherzte der Ferrari-Star.

Vettel kam ausnahmsweise schon etwas früher in den berüchtigten Rhythmus, der ihm sonst im Training oftmals fehlte. Es war aber nicht nur der Rhythmus, der Vettel half. Ferrari brachte auch einige Upgrades mit nach Silverstone: Ein überarbeiteter Unterboden, eine leicht geänderte Motorabdeckung und neue Aero-Elemente am hinteren Radträger. "Alles, was wir ans Auto gepackt haben, schien funktioniert zu haben", freute sich Vettel. "Es war ein kleiner Schritt in die richtige Richtung."

Aber auch bei Mercedes war man nach dem Großbritannien-Auftakt gut gelaunt - zumindest auf der einen Seite der Garage. "Ich bin heute mit den Soft- und Medium-Reifen gefahren", erzählt Lewis Hamilton. "Die weichen Reifen fühlten sich besser an als die Medium und sie scheinen auch zu halten. Das ist beeindruckend, wenn man sich die Kräfte ansieht, denen sie auf dieser Strecke ausgesetzt sind."

Trotzdem gute Stimmung bei Mercedes - bei einem Mercedes

Bei Teamkollege Valtteri Bottas lief es allerdings nicht ganz so rund wie beim vierfachen Formel-1-Weltmeister: "Wir haben die weichen Reifen heute ordentlich zum Arbeiten gebracht. Aber als die Streckentemperatur 50 Grad überstiegen hat, hatten wir ein paar Schwierigkeiten mit Überhitzung und wir erwarten ähnliche Bedingungen für den Samstag und den Sonntag."

Reifen-Fakten laut Pirelli:

  • Delta zwischen Soft und Medium: 1,0 Sekunden
  • Delta zwischen Medium und Hard: 1,0 Sekunden
  • Abbau Soft: ca. 0,15 Sekunden pro Runde
  • Abbau Medium/Hard: Nicht vorhanden
  • Erwarteter Startreifen Top-Teams: Soft
  • Erwartete Strategie: 1 Stopp, 2 Stopps möglich
  • Blistering: Auf keiner Mischung vorhanden
  • Graining: Auf keiner Mischung vorhanden

Silverstone: Mercedes vs. Ferrari im Longrun-Check

Tatsächlich spiegelt sich das auch in den Longruns wider. Während Hamilton auf dem Soft-Reifen im Schnitt auf 1:33,2 Minuten kam, musste Bottas schon vier Zehntelsekunden abreißen lassen. Der Vergleich mit Vettels Longrun auf Soft hinkt, weil der Ferrari-Pilot die Soft-Pneus am Ende mit leerem Tank und nur für wenige Runden fuhr.

Formel 1 Silverstone: Longrun auf Soft-Reifen

FahrerGefahren gegenStint-LängeReifen-AlterDurchschntl. Zeit
VettelEnde4111:31,454
HamiltonAnfang8171:33,222
BottasAnfang7131:33,608
RäikkönenAnfang13221:33,901
RicciardoAnfang6131:34,242

Kimi Räikkönen war in seinem Soft-Run mit 1:33,9 Minuten schon deutlich langsamer. Allerdings hinkt der Vergleich andersrum: Räikkönen fuhr mit Abstand die meisten Runden auf dem Soft-Reifen. Nimmt man nur die ersten Runden des Iceman, die sich mit den Mercedes-Runden überschneiden, ergibt gibt sich ein Schnitt von 1:33,6 Minuten - also Bottas-Niveau.

Auf den Medium-Reifen sieht es hingegen für Ferrari besser aus - auch wenn die vergleichbaren Medium-Runs deutlich kürzer ausfielen und deshalb nicht besonders repräsentativ sind. Nur Vettel fuhr einen langen Run auf Medium, allerdings fuhr er mit vollem Tank, während die anderen mit leeren Autos unterwegs waren.

Formel 1 Silverstone: Longrun auf Medium-Reifen

FahrerGefahren gegenStint-LängeReifen-AlterDurchschntl. Zeit
RäikkönenEnde3121:32,020
HamiltonEnde3121:32,631
RicciardoEnde5181:33,366
VettelAnfang17241:33,477

Räikkönen kam auf einen Schnitt von 1:32,0 Minuten, Lewis Hamilton musste sich hier schon sechs Zehntelsekunden abnehmen lassen. Wie immer splittete Mercedes die Reifen-Strategien am Freitag, so dass Bottas als einziger Top-Pilot auf Hard einen Run fuhr. Der Wert von 1:33,6 ist deshalb eher etwas für die Statsitik.

Red Bull in Silverstone völlig von der Rolle

Warum Red Bull bei den Longruns nicht erwähnt wurde? Weil die Bullen selbst in ihrer Parade-Disziplin jenseits von Gut und Böse lagen. Da hilft auch Dr. Helmut Marko nur noch Sarkasmus: "Wir sind konstant: Konstant langsam im Longrun, konstant langsam auf eine Runde, konstant langsam auf Medium und konstant langsam auf Soft."

"Wir müssen noch drastischere Setup-Änderungen vornehmen als schon in Österreich", fordert Red Bulls Motorsportberater nun. Der Vergleichstest zweier Flügel fiel aus, weil Max Verstappen schon in seiner ersten Runde im 2. Freien Training crashte.

Doch in Österreich half nicht nur das geänderte Setup: Am Rennsonntag war der Asphalt rund 20 Grad heißer als noch am Freitag. Dadurch änderte sich alles. "Bei 51 Grad am Freitag kann da nicht mehr viel kommen", weiß auch Marko. Die Bedingungen werden sich nicht drastisch ändern. Und Rennglück alleine hilft bei diesem Rückstand auch nur in begrenztem Rahmen.

Fazit: Nachdem Red Bull zuletzt immer stärker in das Duell zwischen Ferrari und Mercedes reinfunkte, scheinen die Bullen nun etwas zurückzufallen. In Silverstone stehen die Zeichen ganz klar auf Ferrari vs. Mercedes - und das enger als erwartet. "Sollte vor dem Wochenende jemand geglaubt haben, dass dies eine Spazierfahrt für uns wird, dann wurde er heute eines Besseren belehrt", bilanziert Mercedes' Technik-Chef James Allison.

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