Pierre Gasly bietet sich 2019 bei Red Bull die Chance seines Lebens: An der Seite von Max Verstappen kann er in der Formel 1 zu einem echten Top-Piloten avancieren. Ein schneller Aufstieg, den vor nicht allzu langer Zeit niemand so hätte kommen sehen. Denn um ein Haar hätte sich Gasly noch vor dem Beginn seiner F1-Karriere bei Red Bull selbst aus dem Kader gekickt.

Durch eine unbedachte Äußerung gegenüber dem spanischen Fernsehen zog er 2016 den Unmut Dr. Helmut Markos auf sich. Wohl auch deshalb gab dieser Daniil Kvyat den Vorzug, als es bei Toro Rosso um die Fahrerfrage für die darauffolgende Saison ging. Über den Umweg Super Formula fand Gasly schlussendlich doch noch seinen Weg in die Königsklasse.

Im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin sprach er während des diesjährigen Triple Headers über den Kardinalsfehler der ihm fast die Karriere kostete, über die Herausforderungen des Rookie-Daseins und über seinen selbst für ihn unerwartet starken Einstand.

Motorsport-Magazin.com: Pierre, wie schätzt du deinen persönlichen Start in deine erste komplette F1-Saison ein? Also einmal ganz abgesehen vom Auto, wirklich nur deine reine, eigene Performance.
Pierre Gasly (überlegt lang): Ich denke, es war positiv. Um ehrlich zu sein, habe ich diese starken Ergebnisse dieses Jahr mit Toro Rosso und Honda nicht erwartet. Denn es ist eine große Herausforderung. Alles ist neu und meine erste vollständige Saison in der Formel 1. Da geht es viel darum, zu lernen und jedes Wochenende einfach nur deine Erfahrungen zu sammeln. Bahrain Platz vier, Monaco Platz sieben - das war beides mehr als ich erwartet hatte. Und auch mehr als das Team erwartet hatte. Das war wirklich sehr, sehr gut. Ich fühle mich auch immer wohler, auch wie ich mit dem Team arbeite. Ich fühle mich sehr viel besser als am Ende vergangenen Jahres oder noch zu Beginn dieser Saison. Ich würde also sagen, dass es positiv ist und gut läuft.

Was würdest du sagen, ist aktuell noch deine größte Schwäche?
Pierre Gasly: Das Schwierige an der Formel 1 ist, dass ich die vergangenen fünf Jahre jedes Wochenende um Podien gekämpft habe, um Siege, um Meisterschaften. Und jetzt muss ich akzeptieren, dass Platz zwölf manchmal das Beste ist, was ich erreichen kann. Manchmal fährst du auf eine Art, die dir in der GP2 den Sieg gebracht hätte, aber in der F1 ist mit dem Auto, das wir haben, damit eben nur P12 möglich. Das bringt dir nicht dieselbe Genugtuung. Als Rennfahrer brauchst du einfach die Ergebnisse. Das macht dich happy. Es ist schwierig, das zu akzeptieren. Es bringt dich dazu, es manchmal zu übertreiben, weil du einfach die Punkte, die Top-10 willst. Das ist schwierig zu akzeptieren. Das ist das eine, das härteste, denke ich.

Pierre Gasly gab 2017 in Malaysia sein F1-Debüt, Foto: Sutton
Pierre Gasly gab 2017 in Malaysia sein F1-Debüt, Foto: Sutton

Gasly: Manchmal muss ich mich selbst bremsen

Und dann geht es natürlich einfach um Erfahrung. Ich weiß, dass dieses Übertreiben, um ein Ergebnis zu bekommen, bei mir immer schon ein Thema war. Ich bin konkurrenzfähig und brauche einfach dieses Ergebnis da auf dem Papier, um zufrieden zu sein. Elfte Plätze reichen da nicht. In dieser Lage, in der wir uns befinden - nicht ganz so konkurrenzfähig - muss ich mich deshalb selbst ein bisschen bremsen und akzeptieren, dass wir dieses Wochenende vielleicht einmal keine Punkte anschreiben werden und damit zurechtkommen.

Wir haben etwas Ähnliches zuletzt auch bei Pascal Wehrlein gesehen. Immer wenn das Auto dabei war, war er gut. Eine Ecke besser als sein Teamkollege. Wenn das Auto nicht gut war, sah es etwas so aus, als würde er sich davon mit herunterziehen lassen ...
Pierre Gasly: Mich zieht es nicht so runter, es ist mehr das Versuchen, es zu kompensieren. Das ist etwas anders, denke ich. Aber es ist etwas, das schon immer in mir steckte. Ich will alles gewinnen und die Dinge nicht nur großartig, sondern perfekt machen und bin deshalb manchmal über dem Limit. Aber wie gesagt - in den unteren Kategorien bekommst du ein exzellentes Ergebnis wenn du einen exzellenten Job machst. In der Formel 1 bringt dir ein exzellenter Job manchmal nur P11 oder P12. Das ist so schwierig, zu akzeptieren. Aber es sind im Paddock einfach alle so konkurrenzfähige Jungs.

Gasly: Nichts schlägt das Gefühl, Formel-1-Auto zu fahren

Dieses Problem ist in der Formel 1 wegen der so anfälligen Pirelli-Reifen sogar noch größer. Denn normalerweise siehst du, wenn du übertreibst, nur einen Fehler. Und das war es. Aber wenn du es hier machst, dann siehst du den Fehler vielleicht nicht, aber du überhitzt die Reifen und die nächsten Kurven sind dann einfach ...
Pierre Gasly: Ja, genau. Schwierig. Die Reifen machen es auch nicht so einfach. Aber auch die Performance-Unterschiede zwischen den Teams sind manchmal einfach zu groß. Jeder im Paddock sollte jedes Wochenende Chancen haben, Punkte zu holen. Die Unterschiede in Sachen Performance sollten kleiner sein. Das wäre spannender für alle.

Das, was du da beschreibst, geht eigentlich jedem so, der in die F1 kommt. Außer vielleicht damals bei Lewis mit McLaren oder manch einem bei Red Bull. Man gewinnt und kommt in die Formel 1, kommt deshalb in die Formel 1. Aber was ist am Ende besser? Mal ehrlich: In der GP2 oder Super Formula gewinnen? Oder in der Formel 1 auf P8 zu fahren?
Pierre Gasly: Für mich schlägt nichts das Gefühl, ein Formel-1-Auto zu fahren. Es ist eine ähnliche Frage, wie sie mir auch mein bester Freund im stellt (lacht). Nein ... F1 ist klar das Beste. Es ist einfach großartig, diese Autos zu fahren. Sie sind die schnellsten auf der Welt. Unglaublich, in so einem Umfeld zu sein. Aber als Wettbewerbsperson sehe ich es als Gelegenheit, mich weiterzuentwickeln. Natürlich will ich mal wieder in einer Position sein, um diese Top-Platzierungen zu kämpfen, um Podien und Siege. An jedem Wochenende und so schnell wie möglich. Aber gerade nehme ich es als Gelegenheit, mich als Fahrer weiterzuentwickeln und in der Formel 1 meine Erfahrungen zu sammeln.

In Bahrain erzielte Pierre Gasly einen sensationellen vierten Platz, Foto: Sutton
In Bahrain erzielte Pierre Gasly einen sensationellen vierten Platz, Foto: Sutton

Platz vier im zweiten Rennen mit Honda nie erwartet

Du hast vorhin schon gesagt, dass du nicht erwartet hast, diese großen Ergebnisse so schnell zu erzielen. Die letzte Saison fing ja mit den Motoren wie ein Albtraum für dich an. Diese Saison kam dann die Entscheidung mit dem Wechsel auf Honda-Motoren, die vorher bei McLaren waren, wo man gesehen hat, was damit bei McLaren passiert ist. Was hast du da gedacht und erwartet wenn du ehrlich bist?
Pierre Gasly: Auf gewisse Weise ... wenn man die Resultate ansieht. Es stimmt, das McLaren ein großes Team ist. Sie haben viele Jahre um Meisterschaften und Siege gekämpft und sind ziemlich in Probleme geraten. Aber Toro Rosso hat einen top Job gemacht, mit Honda zu kommunizieren und zu versuche, das Beste herauszuholen. Deshalb hatte ich tatsächlich schon das Gefühl, dass die Beziehung gut und ziemlich stark werden würde. Aber klar, in Sachen Performance habe ich erwartet, dass es zu Beginn etwas schwierig sein würde. Denn das ist die Formel 1. Da bringst du die Performance nicht in nur drei Monaten voll zurück, über den Winter.

Ich wusste also, dass es schwer werden würde und deshalb habe ich auch nicht erwartet, dass wir schon im zweiten Rennen Vierter werden können. Denn vorher war ihr bestes Ergebnis P5 mit McLaren - innerhalb von drei Jahren. Ich habe nicht erwartet in nur zwei Rennen schon das beste Honda-Ergebnis geholt zu haben. Ich erwartete es auch in Sachen Zuverlässigkeit schwieriger, denn da hatten sie auch Probleme. Ich habe ähnliche Phasen wie in den vergangenen Jahren erwartet. Aber am Ende lief es besser als erwartet.

Und auch besser als mit Renault da am Ende 2017 ...
Pierre Gasly: Ja, das waren echt schwierige Zeiten. Ich bin in Mexiko das Qualifying gar nicht gefahren, an einem Wochenende sind drei Motoren kaputtgegangen. Strafen und all sowas.

Gaslys F1-Debüt mit Renault-Defektserie 2017 richtig hart

Ja, ich erinnere mich noch an Mexiko. Es war Training und du bist im Auto gesessen und hast gerätselt, was jetzt passieren würde. Du hast einfach fünf Minuten da gesessen und ...
Pierre Gasly: Ja... ja, genau! Als F1-Fahrer willst du so viel fahren wie nur möglich und da war das schon ziemlich hart.

Das erste Ziel für einen F1-Fahrer ist immer der Teamkollege. Du hast ihn dieses Jahr ziemlich oft geschlagen. Siehst du dich jetzt als den Teamleader? Gegen den Le-Mans-Sieger? WEC-Champion?
Pierre Gasly: Ich stufe Brendon sehr hoch ein. Wie du schon sagst: Er hat einige klasse Leistungen aus der Vergangenheit vorzuweisen. WEC-Meister, Sieger der 24 Stunden. Er hat all diese Rennen gewonnen. Er ist einer von nur diesen drei Fahrern in der Formel 1, die hier fahren und Le Mans gewonnen haben. Mit Fernando, Hülkenberg und eben Brendon. Du musst ein toller Fahrer sein, um das erst einmal zu erreichen. Aber ich denke, dass ich zum Saisonstart konstanter schnell gewesen bin als er. Natürlich ist das erste Ziel, ihn zu schlagen. Auch wenn wir super miteinander auskommen, will auch er mich jedes Wochenende schlagen. Er weiß, dass für mich dasselbe gilt. Wir wissen, dass das wichtig ist. Denn für uns beide ist es die erste volle F1-Saison. Da ist es wichtig, eine starke Performance zu zeigen.

Beinahe hätte es sich Pierre Gasly mit Motorsportberater Helmut Marko verscherzt, Foto: LAT Images
Beinahe hätte es sich Pierre Gasly mit Motorsportberater Helmut Marko verscherzt, Foto: LAT Images

Gasly bei Red Bull von Zero to Hero

Es sieht jetzt so aus, dass du ein ziemlich bedeutender Teil der Red-Bull-Familie bist. Dr. Helmut Marko wollte ja zum Beispiel auch dein Feedback zum Honda-Motor. Du bist also in einer ziemlich guten Situation. Aber es gab auch einmal einen Zeitpunkt in deiner Karriere, zu dem es in der Red-Bull-Familie nicht so prickelnd für dich aussah. Als du diese kleine Auseinandersetzung mit Dr. Marko hattest - und wir wissen alle, dass das nicht unbedingt eine gute Sache ist ... Kannst du mal klarstellen, was genau da passiert ist und wie es sich wieder aufgelöst hat?
Pierre Gasly: Du meinst nach Singapur? Da hat er mich angerufen und mich gefragt, was ich da gesagt habe. Das war ein kurzes Telefonat. Nur eine Minute. Er wollte wissen, was ich den spanischen Medien gesagt habe. Ich habe gesagt, dass sie gesagt haben, vermutlich werde ich in Singapur fahren. Ich erinnere mich noch gut daran, denn es hat solch ein Chaos angerichtet. Sie sagten, ich würde in Singapur fahren. Es gebe diese Gerüchte im Fahrerlager. Was ich dazu sagen würde. Und ich habe diese Worte gesagt: 'Hoffentlich ist es wahr. Mir würde es gefallen, denn mein Ziel ist es, im Toro Rosso zu sein. Aber es ist nicht meine Entscheidung. Deshalb müsst ihr Helmut fragen, ob es stimmt.'

Ich weiß nicht mehr genau, wer es war. Aber die Worte waren dann irgendwie anders und es hat so viel Lärm angerichtet. Ein paar Medien haben daraus News gemacht, die kompletter Schwachsinn waren. Er hat mich dann gefragt, ob ich das und das gesagt habe. Ich habe gesagt 'Nein, hör' zu. Ich habe das so gesagt. Das waren die Worte, die ich benutzt habe.' Du kannst dort anrufen und fragen, dass sie es klarstellen. Für mich war das ziemlich schlechte Publicity, zumal ich sowieso nicht der Typ bin, der in den Medien Mist erzählt. Ich halte lieber den Mund als etwas zu sagen, das nicht stimmt. Und ich habe nie gesagt, dass ich ihn (Daniil Kvyat, Anm. d. Red.) ersetzen werde. Das hat deshalb nichts mit Helmut für mich verändert.

Aber hattest du zu einem Zeitpunkt mal Angst davor? Dass das etwas anrichten könnte?
Pierre Gasly: Nein, ich dachte nie wirklich, dass es aus sein würde. Am Ende zählt das Ergebnis. Und in fünf Saisons war ich vier Mal in den Top-2 der Meisterschaft und ich war in allen Serien, in denen ich gefahren bin, immer unter den ersten drei. Formel 4, 2-Liter, 3.5, GP2, Super Formula. Ich war immer in den Top-3. Ich wusste, dass ich es schaffe, solange ich konkurrenzfähig bin. Wenn du schnell bist kannst du dir das Eis aussuchen. Das Wichtigste ist, konkurrenzfähig zu sein. Darauf konzentriere ich mich.