Ross Brawn ist seit Beginn des Jahres einer der drei neuen Formel-1-Bosse. Auf ihm ruhen große Hoffnungen: er soll die Königsklasse des Motorsports noch königlicher machen. Wie er das anstellen will, verrät er Motorsport-Magazin.com im Exklusiv-Interview.

MSM: Herr Brawn, Sie haben Anfang des Jahres ihren Job als 'Geschäftsführer Motorsport' in der Formel 1 angetreten. Können Sie uns diesen Job einmal genau erklären?
Ross Brawn: Meine Ambition ist es, Struktur in die Entwicklung der technischen und sportlichen Regularien der Formel 1 zu bringen. Und mein Hauptziel ist es, ein Team zusammenzustellen, das gut durchdachte Ideen und Vorschläge einbringt, die dazu führen sollen, den Sport zu verbessern. Was meine ich damit, wenn ich sage, den Sport zu verbessern? Wir brauchen ökonomische Nachhaltigkeit. Daher müssen wir die Kosten im Auge behalten, die anfallen, um in der Formel 1 teilzunehmen. Wir brauchen einen engen Wettbewerb, daher müssen wir uns anschauen, wie wir vielleicht den Abstand zwischen der Spitze und dem hinteren Feld reduzieren können. Zudem wollen wir Autos haben, die gut aussehen und auch gegeneinander racen können. Sie brauchen bestimmte aerodynamische Charakteristika, damit man nah hinter dem Vordermann fahren kann. Es geht einfach darum, einen strukturierteren Ansatz mit einem angemessenen Plan für die nächsten ein, zwei, drei oder fünf Jahre zu bringen, wie wir das Racing wieder besser gestalten können.

Es gibt aktuell ein gutes Beispiel: der derzeitige Motor gefällt den Fans nicht besonders gut. Er ist ein Wunder moderner Ingenieurskunst: er ist unglaublich effizient, die Leistung, die er produziert und die Menge an Benzin, die verbraucht wird, sind ziemlich bemerkenswert. Aber den Fans fehlt, dass die Motoren Lärm machen und sie verstehen die Technologie nicht. Sie sind nicht überzeugt davon, dass Technologie in der Formel 1 benötigt wird. Als dieser Motor konzipiert und designet wurde, wo standen auf der Checkliste die Faktoren Fananreiz, Lärm, Sensationsgier, Begeisterung und Leidenschaft? Nichts dieser Dinge wurde berücksichtigt. Daher haben wir eine Gelegenheit verpasst. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass die Leute mit dem Ausgang unzufrieden waren, anstatt es vorzeitig erkannt und angegangen zu haben. Aber sobald das Ergebnis fertig ist, kostet es Millionen, die Motoren zu ändern. Daher will ich Struktur und Ordnung dort hinein bringen, wie sich der Sport weiterentwickelt und wohin es in technischer und in sportlicher Seite hin geht.

Wissen Sie noch, was Ihre erste Amtshandlung war?
Ja, ich musste mich um die Organisation der Pässe kümmern, weil ich der einzige im Management-Team war, der die Leute in der Formel 1 schon kannte. Daher musste ich eine Liste mit Leuten erstellen, die einen Pass ausgehändigt bekommen. Und ich sehe, Sie haben einen Pass. [lacht] Nein, um die Medien muss ich mich nicht kümmern, das macht die FIA.

Ross Brawn will die Power-Units salonfähig machen, Foto: Mercedes/Honda/Renault
Ross Brawn will die Power-Units salonfähig machen, Foto: Mercedes/Honda/Renault

Es ist kein Geheimnis, dass die Formel 1 nicht besonders reaktionsfreudig ist. Die Strukturen sind zerfahren, der Regelgebungsprozess mit Strategiegruppe, Formel-1-Kommission und Motorsportweltrat langwierig. Als Reformer hat man es nicht leicht. Fühlen Sie sich dadurch in Ihrem Job behindert?
Nein, ich fühle mich nicht behindert. Es benötigt seine Zeit, alles ordentlich zu überprüfen. Wir wissen, wo wir jetzt mit dem Motor stehen. Wir haben einen Zeitplan, beziehungsweise ein Programm, einen neuen Motor 2021 einzuführen. Das schafft wiederum den Zeitplan für eine Menge anderer Dinge. Wenn wir zum Beispiel ein Monocoque haben wollen, das im Großen und Ganzen ein Einheitsteil ist, damit wir nicht so hohe Ausgaben für die Chassis-Entwicklung haben, dann wäre es ideal, diese Regeln gleichzeitig einzuführen. Denn der Motor könnte dann eine standardisierte Schnittstelle mit Chassis und Getriebe haben. Hier könnte man eine Situation schaffen, in der die Chassis gleich oder sehr ähnlich sein könnten.

Unsere Philosophie ist es, die Teams jene Bereiche entwickeln zu lassen, die die Fans verstehen können. Die Fans verstehen die Aerodynamik, können die Unterschiede der Autos sehen und die Performance wertschätzen. Was der Fan nicht weiß, ist, welche Art von Kohlefaser innerhalb der Sicherheitszelle verwendet wird. Das ist eine Herausforderung für die Ingenieure, die versteckt ist. Wenn also ein Team eine bestimmte Art Kohlefaser für die Sicherheitszelle entwickelt hat, bekommt das niemand mit. Sie mögen dadurch einen Vorteil haben, weshalb sie das auch machen - und das verstehe ich. Aber wir sollten versuchen, den Sport etwas ökonomischer zu gestalten, damit das Geld für Dinge ausgegeben wird, die den Sport auch promoten.

Ich bin nicht allzu besorgt, was das Timing angeht. Ich glaube, das Timing ist gut. Wir müssen nur sicherstellen, dass jede Entscheidung, die von jetzt an getroffen wird, auch die Fans in Betracht zieht, genauso wie die kommerzielle Nachhaltigkeit, das Racing, die Leidenschaft für den Sport. Wir können sicherstellen, dass keine Entscheidungen getroffen werden, die diese Faktoren nicht in Betracht ziehen. Wir können daher sofort einen gewissen Einfluss nehmen, und wir können später einen sehr großen Einfluss nehmen, wenn wir diese sportlichen und technischen Ideen fördern.

Sie haben den Zeitplan der neuen Motoren. Eigentlich geht das aktuelle Motoren-Reglement noch bis einschließlich 2020. Würde es nicht Sinn machen, die neuen Motoren ein Jahr früher zu bringen, damit nicht gleichzeitig Power Units weiterentwickelt und die neuen Motoren entwickelt werden müssen?
Dieser Aspekt muss betrachtet werden. Je länger es dauert, einen neuen Motor zu entwickeln, desto länger laufen bei den Herstellern Parallel-Programme. Und Parallel-Programme sind teuer. Man versucht, den aktuellen Motor weiter zu entwickeln und gleichzeitig den neuen zu entwickeln. Daher können diejenigen mit den größten Ressourcen den größten Vorteil daraus ziehen. Als Teil dieser Debatte, die wir derzeit um den neuen Motor führen, gibt es nicht nur eine technische, sondern auch eine sportliche Seite. Es ist schwierig, wie wir Ressourcen und Kosten kontrollieren und wie wir die Leasingkosten für private Teams kontrollieren können. Ich möchte, dass jeder seinen Fokus auf 2021 behält. Wenn wir die Antworten zu all unseren Fragen haben, dann macht es Sinn, dass wir das auch früher machen. Aber wir sollten da keine Verwirrung reinbringen, in dem wir uns fragen, ob der neue Motor 2020 oder 2021 kommen soll. Wir haben uns für 2021 verpflichtet, aber wenn wir technische Lösungen finden und dann alle übereinstimmen, es ein Jahr früher einzuführen, warum nicht?

Ross Brawn im Interview mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton
Ross Brawn im Interview mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton

Wenn wir konkret werden: soll die nächste Motorengeneration auf dem aktuellen 1,6-Liter V6-Motor basieren?
Ich glaube, die Architektur wird sehr ähnlich sein. Es gibt eine romantische Sichtweise, wir könnten zurückkehren zu V10- oder V12-Motoren. Aber ich glaube nicht, dass wir das machen können. Es gab enorme Ausgaben von Teams und Herstellern rund um diese Motoren. Wir wollen nicht, dass das verschwendet wird und die Prüfstände nutzlos werden. Wir sind dran, eine Lösung zu finden, um die Ziele zu erreichen, ohne alles auseinanderzureißen, was bereits getan wurde. Ich habe das Gefühl, dass wir das können. Was sind diese Ziele? Wir wollen dieselbe Leistung, wir wollen mehr Emotion für die Motoren und wir wollen ökonomisch besser werden, was die Entwicklung der Motoren und was die Versorgung mit Motoren angeht. Ich glaube, das können wir mit einer ähnlichen Architektur zum aktuellen Verbrennungsmotor erreichen.

Also ein Turbolader mehr und dafür keine MGU-H mehr?
Das ist eine Entscheidung, die wir immer noch treffen müssen. Eine Richtung kristallisiert sich langsam heraus, aber ich glaube nicht, dass die Teams und Hersteller ihre Argumente entwickelt haben. Ich habe schon eine persönliche Idee, wie ich glaube, dass ein Motor sein muss. Aber es kann sein, dass eine ordentliche Analyse und gute Argumente dann in eine andere Richtung gehen. Wir müssen uns die Ziele vor Augen halten: Die ökonomische Nachhaltigkeit, die Fans sollen sich damit arrangieren können und wir sollten Regeln haben, mit denen es auch unabhängigen Motorenherstellern gelingen kann - das ist ein wichtiger Faktor. Wenn wir all diese Faktoren berücksichtigen, dann entwickelt sich die Definition der Spezifikation von selbst. Wenn du diese Dinge erreichen willst, dann wird die Debatte darüber einfacher, weil es weniger Streit gibt. Wenn du die MGU-H behalten möchtest: warum ist sie ökonomisch günstiger, warum zieht sie die Fans an? Warum zieht sie unabhängige Hersteller an? Wenn man diese Fragen nicht beantworten kann, dann ist der Rückschluss daraus, dass es nicht richtig ist, die MGU-H zu haben.

Die Idee hinter dem aktuellen Motorreglement war es, effizientere Motoren zu bauen. Downsizing war für die Automobilhersteller wichtig, also wollte man es auch in der Formel 1. Müssen wir jetzt weg von der Effizienz?
Ich glaube nicht, dass Effizienz das Hauptziel sein sollte. Wir haben andere Hauptziele, die erreicht werden müssen. Wenn wir diese Hauptziele erreichen, dann können wir es machen, dann ist es großartig, wenn es gleichzeitig noch die Hersteller und Ingenieure zusätzlich anzieht. Wir müssen aber sicherstellen, dass die Fans für den Motor begeistert werden. Und das können wir schaffen.

In den letzten Monaten gab es in der Welt des Motorsports interessante Entwicklungen: Mercedes steigt aus der DTM aus und dafür in die Formel E ein. Porsche geht ebenfalls in die Formel E und opfert das WEC-Programm dafür. Bei Audi ist im Prinzip das Gleiche passiert. Muss die Formel 1 nun mehr elektrifiziert werden, um Hersteller anzuziehen oder ist das Gegenteil der Fall?
Die F1 darf niemals die Elemente verlieren, die den Fans gefallen und sie anziehen. Daher müssen wir verstehen, was sie lieben und was sie dazu bringt, Formel 1 zu schauen. Hier dürfen wir nie Kompromisse eingehen. Die Energie und der Lärm des Motors ist Teil ihrer Leidenschaft. Wir sind die Spitze des Motorsports. Der Anblick eines Formel-1-Autos, wie es mit dieser Geschwindigkeit, mit dieser Power, mit dieser Energie und der Brutalität durch eine Kurve fährt, das ist Teil der Magie der Formel 1. Bei diesen Zielen sollten wir keine Abstriche machen, sonst haben wir irgendetwas dazwischen. Ich verstehe den Reiz der Formel E: die Formel E ist ein Event. Man schaut sich nicht ein Formel-E-Auto an, weil es aufregend ist. Man geht dorthin, weil es ein Festival, eine gute Show ist. Ich habe mir die Formel E einmal angesehen: wenn das Auto durch eine Kurve fährt, dann stellen sich bei mir die Nackenhaare nicht auf. Wenn ich in Monaco an der Schwimmband-Schikane bin, dann stockt mir der Atem. Darum geht es in der Formel 1. Es gibt aber immer Raum für beides. Aber wir dürfen uns nicht anpassen und zwischen die beiden geraten. Wir dürfen bei der Performance eines F1-Autos niemals Kompromisse eingehen. Das ist der ultimative Motorsport, das ultimative Auto, das schnellste Auto auf dem Planeten. Wir müssen sicherstellen, das zu schaffen.

Lautet somit das Fazit, dass die Power Units in der Formel 1 gescheitert sind?
Nicht wirklich. Sie sind ein Wunder an Ingenieurskunst. Aber ich glaube nicht, dass die Ziele klar waren. Die Lehren, die wir daraus ziehen müssen, ist, dass wir alles 360 Grad betrachten müssen. Den Zielen wurde nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Es wurde zu einem Wettbewerb der Ingenieure, kein sportlicher.

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