Der Belgien GP 2017 war ein Kracher: 44 Runden lang duellierten sich Lewis Hamilton und Sebastian Vettel an der Spitze. Zweimal konnte sich der Ferrari direkt neben Hamilton setzen - vorbei kam er aber nicht. Wäre Vettel in freier Fahrt schneller gewesen als Hamilton? Wie konnte der WM-Zweite den WM-Führenden hinter sich halten? Warum gab es am Ende unterschiedliche Taktiken? Die Motorsport-Magazin.com-Rennanalyse erklärt die Rennschlacht in den Ardennen.

Die erste große Chance bekam Vettel nach dem Start. Wer in Spa-Francorchamps als Erster aus der La Source Haarnadel kommt, ist nicht unbedingt der Gewinner des Starts. Auf der ewig langen Kemmel-Geraden kann er leicht zum Opfer werden - besonders seit dieser Saison.

Eau Rouge hat aus Fahrer-Sicht ihren Reiz verloren. Doch das macht das Racing auf der Ardennen-Achterbahn umso besser. Weil die neuen Boliden dank breiterer Reifen und mehr Abtrieb deutlich mehr Grip haben, geht die einstige Mutkurve heute locker vollgas. Sogar mit vollem Tank - und auch im Windschatten. Statt einer Highspeed-Kurve, die Überholen erschwert, gibt es jetzt eine ewig lange gerade.

Vettel trotz Windschatten 5,0 km/h langsamer als Hamilton

Nach dem Start beschleunigte Vettel stark aus La Source, klebte schon am Eingang von Eau Rouge in Hamiltons Heck und kam oben in Raidillon noch näher. Hamilton verteidigte sich, Vettel ging daneben, kam aber nicht vorbei. Im höchsten Motor-Modus erreichte der Mercedes auch ohne DRS satte 322,9 Stundenkilometer am Ende der Kemmel-Geraden. Vettel konnte - nicht mehr im Windschatten - nicht viel entgegensetzen. Bei ihm blieb der Tacho schon bei 317,9 km/h stehen.

Nicht nur der Motor ist aber für die erfolgreiche Abwehr verantwortlich: Mercedes ging beim Setup einen Kompromiss ein. Statt alles auf Qualifying-Performance zu setzen, opferten die Silberpfeile etwas an Samstags-Pace für das Rennen. Die Flügel wurden flacher gestellt, um auch ohne DRS noch stark auf der Geraden zu sein. Diese Entscheidung sollte sich später im Rennen noch einmal bezahlt machen.

Vettel konnte zwar an Hamilton dran bleib, fiel aber - als die Überholhilfe freigegeben wurde -, aus dem DRS-Fenster raus. Der Abstand zwischen den WM-Duellanten schwankte zwischen 1,0 und 1,8 Sekunden - gerade genug für Hamilton, um die rote Gefahr hinter sich zu halten.

In Runde 12 eine kleine Überraschung: Mercedes holte Hamilton als ersten der Führungsgruppe an die Box zum Reifenwechsel. "Wir hatten Angst vor dem Undercut", so Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Auf kaum einer Strecke ist der Undercut so wirkungsvoll wie Spa. Die Ultrasoft-Reifen der Start-Phase gingen langsam in die Knie, gleichzeitig ist die Runde die längste im Kalender, so dass man nicht so schnell reagieren kann.

Wie extrem der Undercut in Spa funktioniert, zeigt das Force-India-Beispiel: Esteban Ocon fuhr knapp vor Sergio Perez. Der Mexikaner durfte zuerst stoppen, musste aber noch eine Fünf-Sekunden-Strafe absitzen. Zwei Runden später durfte Ocon Reifen wechseln - und kam hinter Perez raus.

Zwei Runden nach Hamilton stoppte auch Vettel. Wie der Titelrivale ging auch Vettel auf Soft-Reifen. Damit war klar: Beide würden unter normalen Bedingungen nicht noch einmal stoppen. Laut Pirelli war eine Einstopp-Strategie mit Ultrasoft und Soft die schnellste Lösung.

Ferraris Auferstehung aus Soft-Reifen

Auch auf Soft-Reifen änderte sich das Bild an der Spitze nicht. Vettel fuhr konstant zwischen ein und zwei Sekunden hinter Hamilton her. Und das ist für Hamilton das Problem: "Normalerweise dürfte er nicht so nah hinter mir herfahren können", so der Mercedes-Pilot. Vettel konnte auch im kurvigen Mittelsektor in Dirty Air an Hamilton dran bleiben.

"Wir haben das Rennen am Samstag mit der Pole gewonnen", so Hamilton zu Motorsport-Magazin.com. "Mit der Rennpace haben wir es sicher nicht gewonnen." Auf den Ultrasoft-Pneus war das durchaus absehbar, Vettel fuhr am Freitag den schnellsten Longrun auf den pinken Reifen.

Erstaunlich hingegen war Vettels Pace auf den Soft-Reifen. Am Freitag sah alles danach aus, als würde Mercedes auf den Soft-Reifen der Konkurrenz davonfahren. Das Wetter könnte Ferrari geholfen haben. Das Arbeitsfenster der Soft-Reifen ist deutlich höher als das der Ultrasoft- und Supersoft-Reifen. Im Rennen war es ein wenig wärmer als beim Training am Freitag.

Trotzdem: Vettel konnte seinen möglichen Performance-Vorteil nicht ausnutzen, weil Hamilton vorne fehlerfrei blieb. Dann kollidierten die beiden Force-India-Piloten und sorgten für ein Safety-Car. Hamilton beschwerte sich, hätte das Rennen viel lieber mit dem Virtuellen Safety-Car neutralisiert gesehen.

"Es sah schlecht aus, aber am Ende hat es uns geholfen", meint Toto Wolff. Hamiltons Hinterreifen zeigten zu diesem Zeitpunkt schon Blistering. Mercedes überlegte, Hamilton noch einmal zum Stopp zu holen. Doch das Safety-Car änderte alles.

In Runde 30 kam Berned Mayländer in seinem AMG GT auf die Strecke. Sowohl Vettel, als auch Hamilton entschieden sich dazu, noch einmal Reifen zu wechseln. "Als Führender kannst du beim Saftey-Car eigentlich nur verlieren", meint Wolff. Der Führende muss sich überlegen, ob er zum Stopp kommt. Kommt nur er, nicht aber der Zweite, verliert er Trackposition. Wie Lewis Hamilton einst in Monaco. Dabei ist Trackposition in Spa natürlich wesentlich weniger wichtig als im Fürstentum. Kommt der Führende nicht zum Stopp, der Zweitplatzierte aber schon, hat der Zweite später den Reifen-Vorteil.

Blistering hilft Mercedes bei Strategie-Entscheidung

Doch beide Teams holten ihre Piloten rein, bei Mercedes half das Blistering bei der Entscheidungsfindung. Nur: Mercedes gab Hamilton noch einmal Soft, Ferrari setzte Vettel auf Ultrasoft. Ferrari sparte sich am Samstag im zweiten Qualifikations-Segment einen Run und hatte deshalb noch einen frischen Satz Ultrasoft fürs Rennen - Mercedes nicht.

Doch Mercedes kalkulierte, dass über die Distanz der letzten Runden gesehen der Soft-Reifen der schnellere wäre. Je nachdem, wann das Safety-Car wieder reinkommt, ist der Vorteil größer oder kleiner. Jede Runde hinter dem Safety-Car half Vettel auf Ultrasoft. Je länger der Schlusssprint wird, desto besser für den Soft-bereiften Hamilton.

Die letzten elf Runden ging es dann wieder zur Sache. Vettel wusste, dass er seinen Reifen-Vorteil sofort ausspielen musste. Mit jeder Runde, mit jeder Kurve würde sein Vorteil weniger, irgendwann dann in einen Nachteil umschlagen.

Beim Restart klebte Vettel Hamilton im Heck, dank der Ultrasoft-Reifen beschleunigte Vettel besser als Hamilton aus La Source. Und dann die entscheidende Szene: Wie nach dem Start fuhren die beiden Führenden durch Eau Rouge hoch auf die Kemmel-Gerade. Und wieder reichte es für Vettel nicht.

Vettel dachte, Hamilton hätte vor Eau Rouge absichtlich gelupft, damit er ebenfalls vom Gas gehen musste und somit das Momentum verliert. Tatsächlich ging Hamilton nicht vom Gas, sondern war nur im falschen Motormodus. Den allerdings ließ er aus genau diesem Grund absichtlich bis zum Ausgang von Eau Rouge absichtlich eingelegt, danach drehte er den Motor voll auf.

323,7 Stundenkilometer war Hamilton am Ende der Geraden schnell. Vettel kam wegen des Tricks nur auf Tempo 314,2. Was der Motormodus ausmacht, zeigt Hamiltons Speed in der nächsten Runde: Ohne akute Gefahr von Vettel wurden nur noch 316,4 km/h erreicht. Nach der Restart-Attacke ging es weiter wie nach dem Start: Vettel hatte keine reelle Chance, Hamilton auf der Strecke zu überholen, Hamilton sicherte sich den Sieg.