Sebastian Vettel folgte Lewis Hamilton beim Großen Preis von Belgien 2017 vom Start an wie ein Schatten. Nach 44 Runden sicherte sich der Silberpfeil-Pilot den fünften Saisonsieg. Die Entscheidung zugunsten Hamiltons brachte eine in Vettels Augen etwas fragwürdige Aktion beim Re-Start. Laut dem Ferrari-Piloten griff der Brite in Eau Rouge einmal etwas tiefer in die Trickkiste - wenn auch nicht ganz freiwillig. Für Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda war Hamiltons Manöver nichts anderes als ein Zeichen von dessen fahrerischer Extraklasse.

Vettel hatte im Verlauf des Rennens zwei Chancen, Hamilton die Führung abzunehmen. Die erste bot sich gleich nach dem Start, als sich der Ferrari-Pilot auf der Kemmel-Geraden im Windschatten ansaugen und neben Hamilton setzen konnte. Der parierte jedoch. Im letzten Renndrittel brachte die aus der Force-India-Kollision resultierende Safety-Car-Phase den Deutschen nochmals in Schlagdistanz, doch auch diesen Angriff wehrte Hamilton erfolgreich ab.

"Ich bin nicht ganz zufrieden. Ich hatte am Start und am Re-Start eine Chance und hab nach beiden Malen ins Lenkrad gebissen", so Vettel, der zähneknirschend zugab, die Situationen nicht optimal für sich genutzt zu haben. "Ich war zu nah dran. Ich musste die Linie wechseln, da hätte ich vielleicht besser agieren können", so der 30-Jährige weiter. Dem WM-Führenden blieb außerdem nicht verborgen, dass er seinem Rivalen auf den Leim gegangen war: "Er hat vor Eau Rouge etwas Gas rausgenommen, um das zu provozieren."

Die Mercedes-Chefetage sah das zunächst anders. "Das kann ich mir nicht vorstellen", wiegelte Lauda im Interview bei RTL ab, bevor der Rennfahrer in ihm Hamilton für seine Aktion Rosen streute. "Der Lewis hat alles richtig gemacht. Wenn er vor Eau Rouge vom Gas geht, bremst er Vettel etwas ein und hat einen leichten Vorteil, wenn es auf die Gerade geht. Aber das ist ein normales Spiel von Top-Rennfahrern. Lewis weiß genau, wo er hinfahren muss und hat es richtig und perfekt gemacht", so der Österreicher.

Vettel war in Spa zwei Mal in Schlagdistanz zu Hamilton, Foto: Sutton
Vettel war in Spa zwei Mal in Schlagdistanz zu Hamilton, Foto: Sutton

Hamilton: Vettel dank falschem Motor-Modus überlistet

Ein ganz normales Spiel von einem Profi war Hamiltons Aktion allerdings nicht ganz. Als das Safety Car das Rennen in der 33. Runde wieder freigab, zog der Mercedes-Pilot das Tempo auf Höhe von Blanchimont zunächst im richtigen Moment an. Es schien so, als ob Vettel nicht in Schlagdistanz sein würde. "Zunächst konnte ich ihm davonfahren, aber ich hatte nicht den richtigen Motor-Modus drin. Erst zog ich weg, doch dann holte er mich ein", gestand Hamilton seinen Fauxpas beim Re-Start. "Als wir in die letzte Kurve gingen, fühlte es sich im ersten Moment wie ein Fehler an.

In Folge dessen hing Vettel dem Silberpfeil auf der Start- und Zielgeraden unter dem Getriebe. "Ich hatte kalte Reifen und eingangs von Kurve 1 einen kleinen Verbremser. Er war vor mir auf dem Gas, ich konnte ihn hinter mir hören", so Hamilton, dessen vermeintliche Fehlbedienung sich wenige Sekunden später als Glücksgriff erweisen sollte. Die Tatsache, dass Vettel so nah an ihm dran war, brachte ihn in die perfekte Ausgangslage für seinen Trick. "Als wir die Gerade zur Eau Rouge herunterfuhren, hatte ich das Gas nur zu etwa 90 Prozent offen, um ihn so nah wie möglich hinter mir zu halten", erklärte der Brite.

Hamilton war sicher, dass sich Vettel aus Angst vor einem Konter vor Les Combes erst spät aus dem Windschatten herauswagen würde. "Ich wusste, dass er nicht gleich vorbeiziehen würde, da ich ihn sonst am Ende der Gerade aus dem Windschatten wieder überholen würde", so Hamilton, der seinen Gegner bis zum Einbiegen auf die Kemmel-Gerade kontrollierte. "Erst als wir Eau Rouge hochfuhren, gab ich maximale Power. So hatte er oben keine Möglichkeit, um Schwung zu holen." Als Vettel zum Überholmanöver ansetzte, fehlte ihm mangels Freigabe durch die Rennleitung nicht nur DRS.

Aufgrund von Hamiltons Aktion mangelte es ihm auch am nötigen Geschwindigkeits-Überschuss, um den Mercedes zu passieren. "Er zog raus und fuhr neben mich", so Hamilton, der beim Run auf Les Combes innen seine Linie verteidigte und die Führung behauptete. Hätte er den Fehler mit dem Motor-Modus nicht gemacht, wäre es seiner Ansicht nach anders ausgegangen: "Wenn ich mit einem großen Abstand aus der ersten Kurve gekommen wäre, hätte er das Momentum gehabt, sich aus drei oder vier Wagenlängen Abstand anzusaugen und an mir vorbeizuziehen", war sich Hamilton sicher. "Aber so lief es für mich perfekt."

Hamilton fand die Safety-Car-Phase beim Belgien GP überflüssig, Foto: Sutton
Hamilton fand die Safety-Car-Phase beim Belgien GP überflüssig, Foto: Sutton

Vettel verzweifelt an Mercedes-Power, Hamilton an der Rennleitung

Dass Vettel beim Anflug auf Kurve 5 das Nachsehen hatte, lag für ihn aber nicht nur an Hamiltons Schlitzohrigkeit. "Aus dem Windschatten heraus hatte ich schon erstmal mehr Schwung, aber dann fehlte uns doch die Power, um am Ende der Gerade die Nase vorne zu haben", so der viermalige Weltmeister, der seinem Boliden den Sieg durchaus zugetraut hätte: "Ich hätte es besser machen können und dann hätte es auch klappen können. Aber im Endeffekt hatte ich nur einen Schuss."

Zumindest in diesem Punkt waren sich die Kontrahenten einig. Im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com war Hamilton der Ansicht, dass Vettel mit seinem Dienstfahrzeug das Zeug zum Sieg hatte. "Wäre ich nicht in Führung gewesen, hätte ich wohl nicht gewonnen. Ferrari war schneller", so der 32-Jährige, für den nicht ausschließlich die Performance seines Boliden den Ausschlag gab: "Es war definitiv nicht unsere Rennpace."

Wie sehr Vettel den Mercedes-Fahrer unter Druck setzte, machte sich in der Safety-Car-Phase bemerkbar. Nachdem Hamilton den Gegner das ganze Rennen nur gerade so auf Abstand halten konnte, sah er seinen Sieg durch die Neutralisierung in Gefahr. "Ich habe kaum Trümmerteile auf der Strecke gesehen. Ich denke, ein VSC wäre der bessere Weg gewesen", so Hamilton, der sich im Funk zunächst lautstark über die Safety-Car-Phase und dann über die Pace des Führungsfahrzeugs beschwerte.

"In der Hitze des Gefechts war ich einfach frustriert", gab er zu. Zum nun nicht mehr existierenden Vorsprung gesellte sich die Tatsache, dass Hamilton mangels Beständen nochmal einen Soft-Reifen aufziehen musste, während Vettel für die Schlussattacke ein frischer Satz der weicheren Ultrasoft-Mischung zur Verfügung stand. "Erst führte ich das Rennen an, dann war es auf einmal so eng und obendrein stand mir kein Ultrasoft zur Verfügung. Es fühlte sich so an, als ob alles gegen mich lief", so Hamilton.

Hamilton hielt Vettel in den Schlussrunden erfolgreich auf Abstand, Foto: Sutton
Hamilton hielt Vettel in den Schlussrunden erfolgreich auf Abstand, Foto: Sutton

Mercedes wählt Soft nicht nur aus Mangel an Alternativen

Auch Lauda hatte ein flaues Gefühl im Magen. "Lewis hat beim Re-Start zwar alles richtig gemacht, aber danach habe ich mir wegen der Reifenwahl trotzdem große Sorgen gemacht", erklärte der dreimalige Weltmeister. Tatsächlich war Hamilton aber nicht nur mangels frischen Ultrasofts am Ende auf der härtesten Reifenmischung unterwegs. " Wir hatten erwartet, dass der Soft für die noch übrigen 12 bis 14 Runden der schnellere Reifen sein würde , so Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

Hamilton gelang es in den ausstehenden Runden bis zur Zielflagge, Vettel außerhalb des DRS-Fensters zu halten - trotz des vermeintlich härteren Reifens. "Der Lewis hat eine Speed hingelegt, das war unglaublich. Das kann nur er", sprach Lauda abermals seine Bewunderung für den Briten aus. Der bestätigte mit seinen Rundenzeiten die Berechnungen der Ingenieure. "Er war sehr schnell und hatte die besseren Reifen. Ich musste ein paar richtig schnelle Runden hinlegen, um vor ihm zu bleiben", so Hamilton.

Dass Wolff und die Mercedes-Strategen den richtigen Riecher hatten, bewies spätestens die Reihenfolge bei der Zieldurchfahrt. "Der Ultrasoft wäre nur für eine Attacke in den ersten zwei Runden nach dem Re-Start gut gewesen, aber danach nicht die richtige Wahl. Wir wussten, wenn sich Lewis vorne halten würde, ist der Soft der bessere Reifen - und so war es dann auch", so der Österreicher.