Falls es überhaupt noch jemanden gegeben hat, der daran zweifelte, dass Kimi Räikkönen für Ferrari noch mehr ist als nur WM-Erfüllungsgehilfe für Teamkollege Sebastian Vettel, sollten auch er oder sie spätestens nach dem Ungarn GP davon überzeugt sein. Im Rennen auf dem Hungaroring nahm die Scuderia selbst größte Risiken - den drohenden Verlust eines sicheren Sieges - in Kauf, nur um für Vettel eine Chance auf die Maximalausbeute zu wahren.
Aber der Reihe nach. Was war passiert? Zu Beginn des Rennens lief bei Ferrari noch alles nach Plan. Räikkönen startete zwar einen Tick besser als Vettel, aber nicht gut genug, um in Kurve eins eine Attacke zu lancieren. "Ich hatte einen guten Start, habe Windschatten bekommen und etwas später gebremst", schildert Räikkönen. "Aber ich wollte in der ersten Kurve nichts erzwingen. Besonders wenn es der Teamkollege ist passt du da mehr auf. Wir kämpfen, aber wir kämpfen fair und wissen, was wir als Teamkollegen zu machen haben", ergänzt der Finne.
Räikkönen beschwert sich über langsamen Vettel
Im Rückblick jedoch hadert der Iceman durchaus ein klein wenig mit dieser Herangehensweise, denn letztlich sollte es nach der verpassten Pole seine beste und wohl auch einzige Chance auf den Sieg in Ungarn gewesen sein. Letzteres hätte jedoch nicht der Fall sein müssen. Nachdem Räikkönen Vettel die ersten 20 Runden lang mit kleinem Abstand von zwei bis drei Sekunden gefolgt war, begann der Finne plötzlich Stück für Stück seines Rückstandes wegzufeilen, kam bis zu Vettels einzigem Boxenstopp in Runde 32 bis auf eine Sekunde an seinen Teamkollegen heran.
Damit nicht genug: Noch dazu beschwerte sich Räikkönen im Boxenfunk, von Vettel aufgehalten zu werden. Er könne viel schneller fahren. Hintergrund waren Vettels Probleme mit einem nach links ziehenden Lenkrad. Doch Ferrari reagierte auf diese in der Formel 1 mit einem "Er soll mich vorbeilassen" nahezu gleichbedeutende Ansage nicht, beließ es bei der Reihenfolge - obwohl von hinten Valtteri Bottas bereits leicht aufholte und schließlich auch noch einen Undercut setzte.
Darauf reagierte Ferrari dann seinerseits mit dem Vettel-Stopp. Und kaum war der in die Box abgebogen drehte Räikkönen sofort auf. "Am Ende des Stints habe ich Sebastian eingeholt, sobald er reingekommen war hatte ich dann einen sehr guten Speed auf der einen Runde", berichtet Räikkönen. Eine Runde? Ja - unmittelbar im nächsten Umlauf zitierte Ferrari auch den Finnen an die Box. An für sich ein völlig normaler Schachzug. Doch war es auch der richtige?
Ferrari-Strategie kostet Räikkönen Sieg
Räikkönen selbst bezweifelte es am Boxenfunk, immerhin habe er noch eine sehr gute Pace gezeigt. "Da hätte ich noch länger draußen bleiben können. Ich habe mich ein bisschen gewundert", bestätigt der Finne auch nach Rennende. Ein Overcut wie Vettel ihn gegen Räikkönen selbst in Monaco exerzierte als bessere Lösung für Räikkönen also? "Ich vermute, dass dass es dafür Gründe gab - vieleicht haben die Mercedes früher gestoppt und hatte frische Reifen, also ... Ich muss da darauf vertrauen, was das Team mir sagt, denn sie sehen das große Bild", sagt Räikkönen völlig loyal mit seinem Team.
Doch schaut sich der Finne erst einmal die Zahlen an, könnte er diese Meinung recht schnell revidieren. So war es am Boxenausgang bereits extrem eng zwischen ihm und Vettel. Heißt im Klartext: Auf seiner einen Runde hatte der Finne trotz alter Reifen bereits viel Zeit gegen Vettel mit neuen Reifen gutgemacht. Genauer gesagt alleine in den Sektoren eins und zwei eine ganze Sekunde - in Sektor drei ist wegen der Boxeneinfahrt kein Vergleich möglich. Nur eine Runde mehr in dieser Art - schon wäre Räikkönen in Führung gewesen. Und das alles, obwohl Räikkönen auch noch von einem Williams aufgehalten wurde. "Wenn er mich da nicht sehen kann, sollte er bei seinem Reporter-Job bleiben", fluchte der Finne per Funk auf Paul Di Resta.
Gleiche Situation: Monaco-Overcut für Seb, nicht für Kimi in Ungarn
Noch dazu erfolgte der Stopp ohne Not - denn noch war Mercedes keine Gefahr. Im Gegenteil: Der Abstand betrug unmittelbar nach Räikkönens Stopp noch solide vier Sekunden, noch dazu zeigte Räikkönen auch gegenüber Bottas auf den alten Reifen noch die bessere Pace. Ein ganz ähnliches Bild also wie bei Vettel in Monaco - doch mit Räikkönen wählte Ferrari in Ungarn einen anderen Weg. Der resigniert nur: "Es war dann eng zwischen uns, aber es ist ok."
Nach dem Stopp verschärfte sich dann das Bild der Runden zum Ende des ersten Stints dramatisch. "Danach bestand das ganze Rennen daraus, Seb zu folgen und zu hoffen, dass er so schnell fährt wie er kann, denn ein Mercedes holte auf mich auf", schildert Räikkönen nach seinem achten Ungarn-Podium - Rekord. "Wenn du da in der Mitte steckst, ist das ein unangenehmer Platz, denn wenn du einen schlechten Ausgang aus der letzten Kuve erwischst, kann dich der Kerl hinter dir mit DRS vielleicht schnappen."
Räikkönen: Wollte Ferrari nur den Doppelsieg retten
Genau dehalb funkte Räikkönen unentwegt weiter, um Ferrari vielleicht doch noch zu einem Umdenken zu bewegen. Ohne Erfolg. "Ich wollte nur sicherstellen, dass wir den Doppelsieg holen. Wir wissen ja, wie schnell sie auf der Geraden sein können die Mercedes ... Ich hätte kein Problem gehabt, später zurückzutauschen", erklärt Räikkönen seinen Beweggrund nicht einmal mit egoistischen Motiven.
Eine unmenschliche Bedrohung habe er allerdings auch wieder nicht vespürt. Räikkönen: "Mein Auto war großartig und ich wollte einfach nicht in eine Situation kommen, in der ich aus falschen Gründen den zweiten Platz verliere. Am Ende hat es ja alles funktioniert. Wir haben Ferrari vorne gehalten über die ganzen Runden und einen Doppelsieg eingefahren. Aber klar wäre ich viel glücklicher, hätte ich gewonnen statt Zweiter zu werden."
Räikkönen, Vettel, Fans: Kimi hatte die Sieg-Pace
Letzteres gilt umso mehr, weil sich Räikkönen voll und ganz mit der entsprechenden Pace gewappnet sah. "Auf jeden Fall", sagt er. "Ich hatte heute ein sehr gutes Auto, es hat sich gut verhalten. Aber um zu Überholen muss der Kerl vor dir schon einen großen Fehler machen, sonst hast du es hier schwer", ergänzt Räikkönen. "Es ist ein Kurs, auf dem du kaum überholen kannst, sodass ich den Speed nicht nutzen konnte."
Dass Räikkönen den Speed für den Sieg hatte erkannte er unterdessen bei weitem nicht als Einziger. So wählten ihn einerseits die Fans in der üblichen, offiziellen Abstimmung zum "Driver of the Day". Andererseits bescheinigt ihm das auch Sebastian Vettel. "Ich weiß, dass ich nicht sehr schnell war. Kimi hatte eine gute Pace, ich glaube er hätte den Großteil des Rennens viel schneller als ich fahren können", sagt Vettel.
Vettel entschuldigt sich bei Räikkönen
"Ich habe Kimi, der klar schneller fahren konnte, damit natürlich keinen Gefallen getan, dass er in dieser wenig großartigen Position, da in der Mitte wie er sagt, lag. Aber für mich war es gut, denn ich hatte Kimi ...", sagt Vettel, sich durchaus bewusst, welch wertvolle Rolle seinem Teamkollegen in Ungarn zuteil wurde. "Direkt nach dem Rennen habe ich mich bei ihm entschuldigt, dass ich ihn aufgehalten habe."
Daraus, dass Räikkönen für Vettel nur mehr Schützehilfe leistet macht bei Ferrari inzwischen auch kaum jemand mehr ein Geheimnis. "Das gehört eben zum Spiel dazu", kommentiert etwa Räikkönen Nachfragen, ob Ferrari ihn nur nicht an Vettel vorbeigelotst habe, damit der 'richtige' Pilot gewinne. Teamchef Maurizio Arrivabene ließ in einem Kimi-Lob ebenfalls recht deutlich durchblicken: "Eine großartige Performance von Kimi, der demonstriert hat, dass er nicht nur ein Champion ist, sondern auch ein echter Team-Player." Arrivabene weiter im italienischen TV-Sender RAI Sports: "Er hat seinen Teamkollegen verteidigt, wie es nur ein Wikinger kann".
Marchionne: Ferrari muss mit Kimi & Seb verlängern
Ferraris Big Boss Sergio Marchionne ist sich aufgrund dessen jetzt auch sicher: Er will mit beiden Fahrer verlängern - Seb und Kimi. "Sie sind großartig zusammen. Es ist schwierig, dieses Team zu verändern. Versuchen wir, sie für 2018 zu behalten", sagt Marchionne. Doch ob Champion Räikkönen Lust hat auf ein weiteres Jahr Wasserträgerei? "Ich denke, dass sie bleiben wollen. Das Team wächst großartig. Also will ich es nicht ruinieren", meint zumindest Marchionne bei RAI Sports.
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