Valtteri Bottas hieß der strahlende Sieger des Österreich GP 2017. Doch ganz unumstritten war der Sieg des Mercedes-Piloten nicht. Sebastian Vettel beschwerte sich umgehend nach dem Start am Radio: "Valtteri hatte einen Frühstart!" Vettel war nicht der einzige, der an Bottas' Start zweifelte. Sofort kursierten Bilder und Videos im Internet, die belegten, dass sich Bottas' Auto schon bewegte, als die Ampellichter noch auf Rot standen.

Tatsächlich beschäftigten sich die Stewards mit Bottas' Start, doch nach einigen Runden gab es Entwarnung: Kein Frühstart. Bottas selbst war nach dem Rennen zu Scherzen aufgelegt. "In welchen Bereichen hast du dich seit dem Beginn der Saison, als du zu Mercedes gekommen bist, verbessert?", wollte ein Journalist wissen. "Nach heute würde ich definitiv sagen beim Start", scherzte Bottas.

Doch die Konkurrenz war nicht unbedingt zu Scherzen aufgelegt. Sebastian Vettel glaubte auch in der Pressekonferenz noch, dass Bottas zu früh losfuhr. "Ich glaube es einfach nicht, dass er keinen Frühstart hatte. Die normale Reaktionszeit beträgt ungefähr 0,2 Sekunden für jeden. Ich glaube nicht, dass heute jeder so viel langsamer war, deshalb glaube ich nicht, dass Valtteri so viel schneller war", so Vettel nach dem Rennen.

Vier Faktoren bewahren Bottas vor Strafe

Die offizielle Einblendung besagte, dass Bottas Reaktionszeit exakt 0,201 Sekunden betrug. Doch wie kann das sein? Die TV-Bilder zeigen eindeutig, dass sich Bottas schon vor dem Erlöschen der Startampel bewegt. Die Erklärung ist kompliziert. Insgesamt halfen dem Mercedes-Piloten vier Faktoren.

Faktor Nummer eins ist eine kleine Toleranz der FIA. Weil die Piloten in der Startbox oftmals noch Änderungen an der Kupplungseinstellung vornehmen, bewegen sich die Autos dabei noch minimal. Um zu verhindern, dass die Sensoren in diesem Fall auslösen, erlaubt die FIA eine kleine Toleranz.

Der zweite Faktor ist die Technik. Das Frühstart-Erkennungssystem des Zeitnehmers - nicht der FIA - funktioniert über batteriebetriebene Sensoren in einem zylindrischen Loch in der Startbox. Dieser Sensor korrespondiert mit dem FIA-Transponder, der an allen Autos angebracht ist. Der Transponder befindet sich an der Unterseite der Nase und sendet ein kegelförmiges Signal

In jeder Startbox befinden sich solche Löcher, in denen die Sensoren angebracht sind, Foto: Motorsport-Magazin.com
In jeder Startbox befinden sich solche Löcher, in denen die Sensoren angebracht sind, Foto: Motorsport-Magazin.com

Der Sensor im Boden registriert die Signalstärke, die vom Transponder des Fahrzeugs ausgeht. Dadurch kann er nicht nur messen, ob sich das Auto bewegt, sondern auch, wie schnell es sich bewegt und wo es genau steht. Allerdings ist diese Technik mit einer Toleranz versehen. Bei Bewegungen in der Größenordnung der Höhe einer Getränkedose kann es vorkommen, dass sie nicht wahrgenommen werden.

Formel 1 nicht wie Leichtathletik: Keine Toleranz bei Startzeit

Die Faktoren Nummer drei und vier sind das Reglement. Selbst wenn TV-Aufnahmen belegen, dass sich ein Auto vorzeitig bewegt hat, ausschlaggebend für eine Bestrafung sind laut Reglement einzig und allein die Daten des FIA-Transponders. Zeigt der an, dass es keinen Frühstart gab, gab es keinen Frühstart - aus.

Außerdem ist das Reglement in der Formel 1 anders als beispielsweise in der Leichtathletik. Beim 100-Meter-Sprint gilt ein Start als Frühstart, wenn die Bewegung weniger als 100 Millisekunden, also 0,1 Sekunden, nach dem offiziellen Startsignal erfolgte. Reaktionen unter dieser Marke gelten als menschlich nicht möglich und beruhen deshalb auf Spekulation. Genau diese Regel gibt es in der Formel 1 nicht. Hier gibt es sogar eine Messtoleranz von 10 Millisekunden in die andere Richtung.

Das Startprozedere beginnt, wenn die erste Ampel auf Rot geht. Dann dauert es jeweils eine Sekunde, bis die nächste Ampel auf Rot schaltet. Wenn alle fünf Ampeln auf Rot sind, bestimmt ein Zufallsgenerator innerhalb eines gewissen Fensters, wann die Ampeln erlöschen.

Bottas gesteht: Habe am Start gezockt

Bottas gibt offen zu, dass er beim Start in Österreich zockte: "Die Variation, wann die Lichter ausgehen, ist seit langer Zeit nicht mehr besonders groß. Deshalb weißt du mehr oder weniger den Zeitraum, wann es soweit sein wird. An diesem Punkt bist du sehr aufmerksam, da zockst du mit deiner Reaktion und mit deiner Vermutung." Systeme zur Erkennung des Startsignals sind übrigens verboten.

Gut zu sehen: Bottas zieht am Start allen anderen deutlich davon, Foto: Motorsport-Magazin.com
Gut zu sehen: Bottas zieht am Start allen anderen deutlich davon, Foto: Motorsport-Magazin.com

An der Legalität von Bottas' Start gibt es aufgrund der Faktoren also keine Zweifel. Zweifel gibt es aber an der offiziellen Angabe von 0,201 Sekunden. Denn das erscheint angesichts des Videomaterials auch einbezogen der diversen Faktoren als unrealistisch.

Das meint auch Bottas selbst: "Ich hatte keinen Zweifel daran, dass es kein Frühstart war. Ich wusste aber, dass es mein bester Start überhaupt war. Ich weiß nicht, wie sie hier messen, aber ich mache viel Reaktionstraining und dort habe ich bei den Tests bessere Zeiten als das." Genau das meint auch Vettel: "Ich kann nicht glauben, dass es 0,2 Sekunden gewesen sein sollen. Das wäre meiner Meinung nach normal, aber seine Reaktion war unmenschlich."