Der Auftakt zum Grand Prix von Aserbaidschan hätte für Williams-Pilot Lance Stroll kaum besser laufen können. Nachdem es beim Heimrennen in Kanada zuletzt die ersten WM-Punkte in der Formel 1 zu feiern gab, präsentierte er sich am ersten Trainingstag in den Straßen Bakus erneut in Bestform. Während mehr als die Hälfte des Feldes regelmäßig neben der Strecke zu sehen waren, verkniff sich Stroll nicht nur jeglichen Fahrfehler, sondern landete im 2. Freien Training auch noch eine faustdicke Überraschung.

"Heute hat es sich wirklich nicht schlecht angefühlt. Alles in allem habe ich die Strecke genossen. Es ist mein erstes Mal hier und ich finde es ziemlich cool", so Strolls Resümee des ersten Arbeitstages in Baku, den er auf einem starken sechsten Platz - und damit als Anführer des Verfolgerfeldes - beendete. Auf Vordermann Vettel fehlte ihm zwar eine halbe Sekunde, doch auf seinen Verfolger Sergio Perez hatte er zwei Zehntel Vorsprung. Teamkollege Felipe Massa fehlte auf den Kanadier sogar eine halbe Sekunde.

Ein Aufschwung mit Ansage, könnte man meinen. Zwar war die Punkte-Premiere in Montreal einer Reihe von Ausfällen geschuldet, doch die Vorstellung Strolls auf dem Baku City Circuit war definitiv ein Novum. Bis zuletzt hatte der routinierte Teamkollege Stroll fest im Griff und gerade an einem Tag, an dem selbst arrivierte Stars wie Sebastian Vettel und Lewis Hamilton von einem Fahrfehler zum nächsten eilten, präsentierte sich der Rookie wie neugeboren. "Für junge Fahrer geht es immer um das Selbstvertrauen. Wir haben Fortschritte gemacht, auch wenn die nach außen nicht immer sichtbar sind", so Williams' Head of Performance Engineering Rob Smedley.

Strolls Fehleranfälligkeit war an diesem Freitag in Baku wie weggeblasen. Probleme mit stehenden Rädern? "Nicht heute. Ich hatte einen kleinen Verbremser auf meinem Long Run, aber ich habe die Kurve noch bekommen. Wenn du dich hier verbremst, hast du nicht mehr viel Platz. Du kannst geradeaus fahren, aber wenn du dich schon dafür entscheiden hast, die Kurve zu nehmen, wird es richtig schwierig. Ich hatte ein paar dieser Momente, doch es war alles unter Kontrolle", gab er sich abgeklärt.

Lance Stroll verkniff sich in Baku bisher die Fahrfehler, Foto: Sutton
Lance Stroll verkniff sich in Baku bisher die Fahrfehler, Foto: Sutton

Stroll: Fahrer sind unterschiedlich

In der Tat schien Stroll durch sein Erfolgserlebnis vor zwei Wochen bereits vor der ersten Ausfahrt in Baku deutlich gelöster. "Sicherlich ist das Eis gebrochen, daran besteht kein Zweifel", so der 18-Jährige, für den der neunte Platz in Montreal allerdings nicht die größte Überraschung war. "Es war mein siebtes Rennen in der Formel 1. Das ist noch gar nichts. Ich hatte erwartet, dass das passieren würde", fügte Stroll an.

Er ist der Ansicht, dass sein Lernprozess weiterhin nach Plan voranschreitet. "Ich würde mich umbringen, wenn ich denken würde, dass ich nach fünf oder zehn Rennen schon der beste Fahrer sein muss, der ich sein kann. Das wäre einfach falsch", ist Stroll überzeugt. Dass andere Youngster wie Max Verstappen aus dem Stand durch die Decke schossen und er offenbar einen längeren Anlauf braucht, bereitet ihm keine Sorgen: "Fahrer sind unterschiedlich. Manche erreichen ein bestimmtes Level sehr schnell, bleiben dann aber dort hängen. Ich weiß von früher, wie sehr man sich im zweiten Jahr verbessern kann."

Der momentane Aufwärtstrend Strolls kommt auch dem Team zugute, musste sich die Williams-Mannschaft in der Vergangenheit doch Woche um Woche vor ihren Rookie stellen, wenn es wieder einmal Kritik hagelte. "Es geht darum, sich an die Umgebung zu gewöhnen. Die F1 ist im Vergleich zu allem, was du davor gemacht hast, ein riesiger Schritt. Das braucht einfach Zeit. Aber er wird immer entspannter und fühlt sich immer wohler.", so Smedley, der auch den Druck nicht leugnen will, der auf seinem Piloten lastet: "Für einen 18-Jährigen Fahrer ist es sehr schwierig, denn es herrscht innerhalb und außerhalb des Cockpits viel Druck."

Diesen Druck bekam Stroll von Anfang an zu spüren, doch wie genau er sich im Cockpit bemerkbar macht, lernte er erst mit den ersten paar Rennwochenenden seiner F1-Karriere: "In der Formel 1 muss alles passen, damit ein Wochenende gut läuft. Früher war das vielleicht anders. Wenn ich nur bei 85 Prozent war, wurde ich halt nur Vierter. Ich konnte damit leben, denn ich konnte immer noch um die Meisterschaft fahren. Aber das Mittelfeld in der F1 ist so kompakt. Wenn du mit dem Reifen nicht im Arbeitsfenster landest, geht es sofort abwärts."

Stroll will auf dem Teppich bleiben

Die ersten Erfolge haben dem Selbstvertrauen Strolls offenbar gut getan, doch zu weit aus dem Fenster lehnen möchte er sich deshalb noch lange nicht. "Ich sehe Kanada nicht im Sinne von: Jetzt habe ich gepunktet und ab jetzt geht es so weiter", so der Kanadier, der seinen bisherigen Ansatz ganz einfach weiterverfolgen möchte: "Du darfst nicht ungeduldig sein und dich selbst stressen. Damit tut man sich nichts Gutes. Es muss Schritt für Schritt angegangen werden."

Dementsprechend tritt er auch nach dem erfolgreichen Trainingstag in Baku gleich auf die Euphorie-Bremse. "Alles könnte noch etwas besser sein. Es ist immer noch mein erstes Mal hier und ich kann noch an meiner Linie arbeiten. Auch die Qualifying-Runs können wir noch verbessern", so Stroll, der sich für den Samstag noch keine festen Ziele setzen möchte: "Wir müssen uns jetzt einfach auf unser Programm im 3. Freien Training fokussieren und unseren Plan im Qualifying umsetzen."

Der Schlüssel wird für ihn sein, nicht in alte Muster zurückzufallen und erneut fehlerfrei zu bleiben, um seinen Williams FW40 das zweite Mal in dieser Saison durch das Q1 zu bringen: "Es geht darum, einen sauberen Run hinzubekommen. Gelbe Flaggen und Verkehr können dich daran hindern, den Reifen in das richtige Temperaturfenster zu bringen und ich denke, dass das am Samstag am wichtigsten sein wird."