An schnelle Runden war zeitweise kaum zu denken: Insgesamt 37 Mal war die Strecke im 2. Freien Training zum Aserbaidschan GP unter Gelb. Dazu kam eine VSC-Phase und sogar eine Rot-Unterbrechung. Mit 20 Gelb-Phasen und einer Rot-Unterbrechung lief das 1. Training auch nicht unbedingt glatt. Motorsport-Magazin.com hat alle Details: Wer flog am häufigsten ab? Welche Stelle bereitete die größten Schwierigkeiten? Und warum gab es so viele Zwischenfälle?

Von den 37-Gelb-Phasen in FP2 ging nur eine auf das Konto der Technik: Fernando Alonso musste seinen McLaren-Honda wegen eines Getriebeschadens am Streckenrand abstellen. 36 Mal mussten die Streckenposten Flaggen schwenken, weil die Piloten nicht genau genug fuhren. Ein rekordverdächtiger Wert in der Formel-1-Geschichte.

Wenig überraschend: Die meisten Fehler gab es Session-übergreifend in Kurve eins. 13 Mal mussten die Marshalls hier aktiv werden. Sieben Mal allein in FP1, moderate sechs Mal in FP2. Hier bremsen die Piloten nach der längsten Gerade des Formel-1-Kalenders mit knapp unter 350 Stundenkilometer auf eine 90 Grad Linkskurve. Rund zwei Sekunden stehen die Piloten hier auf der Bremse, verzögern mit rund 4,6 G auf etwa 120 km/h.

Verstappen nimmt Notausgang zu spät

Eine geradezu endlos scheinende Auslaufzone soll hier verhindern, dass niemand mit hoher Geschwindigkeit einschlägt. Deshalb gehen die meisten Verbremser harmlos aus. Nur Max Verstappen erwischte es am Ende von FP2: Er entschied sich zu spät für den Notausgang und verlor beim schnellen Richtungswechsel das Heck.

Max Verstappen zerlegte den Red Bull in den letzten Trainingssekunden, Foto: Sutton
Max Verstappen zerlegte den Red Bull in den letzten Trainingssekunden, Foto: Sutton

"Das war komisch, um ehrlich zu sein", beschreibt Verstappen. "Ich hatte stehende Vorderräder und habe versucht, die Kurve noch zu bekommen. Dann habe ich mich für die sichere Nummer entschieden und wollte den Notausgang nehmen. Aber ich habe plötzlich ds Heck verloren und bin mit allen vier Rädern in Richtung Mauer geslided."

Hotspot Nummer zwei ist Kurve drei. Sie ist eine der vielen 90-Grad-Kurven und befindet sich am Ende der Gegengeraden. Die Gegengerade ist nach Start/Ziel die zweite DRS-Zone. Die Piloten verzögern von rund 320 auf 95 Stundenkilometer. Zehn Mal wurde hier am Freitag Gelb geschwenkt, sechs Mal am Nachmittag, vier Mal am Vormittag.

Ebenso häufig verbremsten sich die Piloten in Kurve acht. Das ist die engste Stelle des Formel-1-Kalenders. De enge Linkskurve führt vorbei an der alten Stadtmauer in eine leichte Bergauf-Passage. Obwohl die Piloten hier mit nur etwas mehr als 200 km/h ankommen, gab es im zweiten Freien Training satte acht Gelb-Phasen. Rund 80 Stundenkilometer haben die Boliden am Scheitelpunkt.

Vettel: Ein paar Mal den Joker genommen

Sebastian Vettel weiß, warum Kurve acht so schwierig ist: "Ich bin heute gefühlt 60 Mal daran vorbeigefahren und 30 Mal davon dachte ich mir, dass ich vielleicht hängen bleibe, weil es unheimlich eng ist. Man versucht, sich an das Limit heranzutasten, aber man darf nicht drüber gehen, weil s dann knallt. Also habe ich ein paar Mal den Joker gezogen und bin geradeaus gefahren. Das ist ein wahres Nadelöhr, sehr eng. Und der kurze Sprint den Berg hoch um die Ecke ist blind. Man versucht deshalb so nah wie möglich an die Mauer zu kommen."

Für eine kuriose Szene sorgten Vettel und Felipe Massa an dieser Stelle: Erst verbremste sich Vettel, direkt hinter ihm auch Massa. Plötzlich standen beide lange rum. "Er ist geradeaus gefahren und meine Reifen haben blockiert und ich bin auch geradeaus", erklärt Massa. "Aber es hat sehr lange gedauert, bis ich den Rückwärtsgang drin hatte. Ich habe den Knopf 15 Mal gedrückt!"

Weniger glimpflich ging es bei Sergio Perez und Jolyon Palmer aus. In FP1 unterschätzte Perez die Dimensionen seines Autos und rasierte die komplette rechte Seite seines Force India, in FP2 krachte Palmer untersteuernd in die Tecpro-Barriere. Beinahe hätte es Perez am Nachmittag sogar noch einmal geschafft: Er streifte die Barriere mit dem rechten Hinterrad diesmal aber nur leicht.

Ebenfalls viele Probleme gab es in Kurve zwei. Allein am Nachmittag gab es hier acht Gelb-Phasen. Nach einem kurzen Zwischensprint nach T1 wartet hier die nächste 90 Grad Linkskurve. Kurve 15 ist der letzte neuralgische Punkt: Hier sorgte die Bergab-Passage für zahlreiche Fehler. Insgesamt wurde hier sieben Mal Gelb geschwenkt.

Nur Vettel schlägt Grosjean bei den Gelb-Phasen

Doch welcher Pilot ist nun Gelb-König? In dieser Wertung setzt sich knapp Sebastian Vettel durch. Insgesamt neun Mal sorgte er für kleinere Zwischenfälle beim Baku-Auftakt. "Ich habe nicht alle Auslaufzonen ausprobiert, ich glaube Kurve 15 habe ich ausgelassen", scherzt der Ferrari-Pilot. "Sonst waren fast alle dabei. Ich weiß nicht, wann ich zuletzt meinen Rückwärtsgang gebraucht habe, aber heute waren es drei Mal."

Doch der WM-Leader hat eine Erklärung für die Häufung der Fehler: "Es war gar nicht so rutschig heute, aber es ist unheimlich schwer, hier die Referenzpunkte zu finden und sich zu orientieren. Wenn man einen Tick zu spät ist und das Gefühl hat, dass es eng wird und nicht mehr reicht, dann tendiert man im Training eher dazu, doch geradeaus zu fahren und nichts zu riskieren. Wenn es nicht reicht, wird es schnell eng." Also lieber einmal zu viel die Lenkung aufmachen, als einmal zu wenig und dafür mit der Vorderradaufhängung dafür bezahlen.

Auf Platz zwei der Gelb-Helden landet wenig überraschend Romain Grosjean. Der Haas-Pilot hatte einmal mehr gravierendere Probleme mit seinen Bremsen. "Ich hatte einfach überhaupt kein Gefühl", erklärt der Franzose schlicht. Er nahm insgesamt acht Mal den Notausgang. Hinter Grosjean klafft eine kleine Lücke vor den nächsten Gelb-Meistern. Lewis Hamilton und Jolyon Palmer kamen jeweils auf vier Zwischenfälle - wobei Palmer definitiv die Wertung des spektakuläreren Falls gegen Hamilton gewinnt.

Nur vier Fahrer behielten am Freitag in Aserbaidschan übrigens eine weiße Weste: Stadtkurs-Spezialist Daniel Ricciardo trat bei der Rennleitung genauso wenig in Erscheinung wie Lance Stroll, Nico Hülkenberg und Pascal Wehrlein.

Kalte Vorderreifen schuld an Verbremsern

Dass es generell so viele Probleme gab - insgesamt war die Strecke 57 Mal unter Gelb - führt Mercedes' Technik-Chef James Allison auch auf die Reifen zurück: "Beide unserer Fahrer hatten Schwierigkeiten, die Vorderreifen auf Temperatur zu bringen. In Folge dessen hatten sie mit blockierenden Vorderrädern zu kämpfen." Wenn die Vorderreifen blockieren, werden die Bremswege länger, die Notausgänge häufiger. Nicht nur Mercedes hatte diese Probleme.

Übrigens: Die Auslaufzonen rund um die Kurven 1, 2, 3, 5, 8 und 15 wurden in diesem Jahr noch etwas großzügiger gestaltet. Ob sie im Rennen auch so exzessiv genutzt werden? Im vergangenen Jahr gab es ebenfalls schon unzählige Zwischenfälle in den Trainings, das Rennen verlief dann extrem ruhig. Da würde ein Ausflug in den Notausgang auch wertvolle Sekunden und Positionen kosten.