Im Jahr 2014 startete die Formel 1 mit der Einführung der Power Units in eine neue Ära. Abgesehen von enormer Komplexität und keinem allzu beeindruckenden Klangerlebnis kann den Hybrid-Aggregaten kaum etwas Negatives nachgesagt werden. Drehmoment und PS gibt es mit ihnen zu Genüge. Der Rest des Technischen Reglements, und damit vor allem die Aerodynamik der Boliden, riss jedoch weder Fahrer noch Fans richtig vom Hocker - genauso wenig wie die kurzlebigen Pirelli-Reifen, künstliche Überholmanöver und die erdrückende Mercedes-Dominanz, die scheinbar kein Ende finden wollte.

Selbst der ehemalige F1-Zampano Bernie Ecclestone äußerte ganz ungeniert, nicht bereit zu sein, als Zuschauer für diesen Sport noch Geld zu bezahlen. Angesichts der anhaltenden Kritik entschieden die Formel-1-Bosse im Frühjahr 2016, dem Reglement für 2017 eine Generalüberholung zu verpassen. Eine neue Aerodynamik, neue Reifen und weitere Anpassungen sollten für schnellere Rundenzeiten und dafür sorgen, dass die Piloten wieder mehr gefordert werden. Gleichzeitig gab es jedoch Bedenken, ob angesichts der komplexeren Chassis das Racing leiden könnte. Motorsport-Magazin.com wirft einen Blick zurück auf die ersten fünf Rennen. Konnte die Generation 2017 die Erwartungen bisher erfüllen?

Hamilton und Vettel liefern sich 2017 einen spannenden Schlagabtausch um die WM, Foto: Motorsport-Magazin.com
Hamilton und Vettel liefern sich 2017 einen spannenden Schlagabtausch um die WM, Foto: Motorsport-Magazin.com

Schnell, schneller, 2017

Beinahe gelangweilt von ihren Dienstfahrzeugen schienen Haudegen wie Fernando Alonso und Lewis Hamilton, wenn sie die Hybrid-Boliden mit den V10-Monstern und den V8-Raketen aus der Vergangenheit verglichen. Und das zu Recht, wie die nackten Zahlen zeigten: Die meisten Rundenrekorde stammten aus Jahren 2004 bis 2008, als die Autos ultraleicht und aerodynamisch am Limit konstruiert waren. Das neue Regelwerk sollte mit den schnellsten F1-Autos aller Zeiten für neue Bestwerte sorgen.

Bei den Wintertestfahrten in Barcelona unterbot Kimi Räikkönen mit seiner Bestzeit von 1:18,634 Minuten den Pole-Rekord von Rubens Barrichello aus dem Jahr 2009 um satte 1,319 Sekunden. "Es sind die schnellsten Autos, die wir je gefahren sind", lautete Sebastian Vettels Fazit. Das Auftaktwochenende in Melbourne bestätigte die atemberaubende Pace der 2017er Boliden. Im Albert Park wurde der 2011 von Sebastian Vettel aufgestellte Rekord durch Lewis Hamiltons Pole-Zeit um 1,341 Sekunden verbessert. Auch bei den vier darauffolgenden Grands Prix wurden die Rundenrekorde im Qualifying jeweils unterboten.

Am Rennsonntag konnte die Generation 2017 an die Pace ihrer Vorbilder allerdings noch nicht anknüpfen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass im Gegensatz zur damaligen Zeit das Nachtanken nach wie vor nicht erlaubt ist und die Fahrer somit auch dieses Jahr mit jeder Menge Gewicht ins Rennen starten. Auch das Thema Spritsparen gehört mit der neuen Formel 1 noch nicht der Vergangenheit an. Im Jahr 2004 spulte der Australien-Rennsieger Michael Schumacher die Renndistanz von 58 Runden in 1:24:15,757 Stunden ab. Sebastian Vettel benötigte 2017 für seinen Triumph im Albert Park 1:24:11,672 Stunden - fuhr dabei jedoch eine Runde weniger.

Absolute Rundenrekorde im Vergleich

Pole 2017Vorheriger absoluter RundenrekordRundenzeit Delta (s)% Delta
Australien1:22.1881:23.529 (VET, 3. Quali, 2011)1.3411,6
China1:31.6781:32.238 (MSC, Race, 2004)0.5600,6
Bahrain1:28.7691:29.493 (HAM, Q3, 2016)0.7240,8
Russland1:33.1941:35.337 (ROS, Q2, 2016)2.1432,2
Spanien1:19.1491:19.954 (BAR, Q2, 2009)0.8051,0

Die Karten neu gemischt

Nicht nur schneller sollte die Formel 1 werden, auch für einen engeren Wettbewerb sollte das neue Reglement sorgen. Das Ziel, die Mercedes-Show zu beenden, scheint nach den ersten fünf Saisonrennen erreicht - denn Ferrari spielt 2017 ganz klar auf Augenhöhe mit den Silberpfeilen. Zwei Mal Vettel, zwei Mal Hamilton und ein Mal Bottas heißen die Sieger der bisherigen Rennen. Das neue Reglement sorgt für den langersehnten WM-Kampf zwischen zwei der größten Piloten unserer Zeit und zwei der prestigeträchtigsten Herstellern in der Welt des Automobilrennsports. Allerdings sieht es bisher danach aus, als ob sich die neuen Regeln in dieser Hinsicht nur für Ferrari ausgezahlt hätten.

Red Bull hat mit dem RB13 nicht ins Schwarze getroffen und hinkt Mercedes noch mehr hinterher als 2016. Das Mittelfeld hat dahinter überhaupt keine Chance, ein Stück vom großen Kuchen abzubekommen. Unter eine Sekunde kommt nur selten ein Pilot von Force India, Williams & Co. an die Top-Teams heran. Haas-Teamchef Günther Steiner erwartet nicht, dass sich daran so schnell etwas ändern wird: "Der Rückstand wird nicht kleiner. Die großen Teams haben ganz einfach immer mehr Ressourcen, und das kann man dann auch erwarten. Es ist keine Überraschung, dass Mercedes, Ferrari und Red Bull vor allen anderen liegen. Ich denke, dass die Abstände sich über die Saison nicht großartig verändern werden."

Die große Langeweile gibt es nicht

Zugegeben, Überholmanöver sind 2017 ein selteneres Bild als in den vergangenen Jahren. Jedoch waren die Positionswechsel vor diesem Jahr mehr als inflationär. Ganze 161 Überholmanöver gab es 2016 beim Grand Prix von China - Rekord. Die Fahrer hielten davon nur wenig, hatte der Zweikampf durch Pirellis sich selbst auflösenden Reifen nahezu sämtlichen Reiz verloren. "Die Überholmanöver sind nicht mehr so echt wie früher. Du musst dich nicht anstrengen oder den richtigen Moment oder die richtige Stelle abwarten. Wenn es in der einen Kurve nicht klappt, wartest du halt auf die nächste und überholst dann", kritisierte Fernando Alonso. Angesichts der hochgezüchteten Aerodynamik und jeder Menge Luftverwirbelungen war die Sorge groß, dass 2017 so gut wie gar nicht mehr überholt würde.

Die Orgien der vergangenen Jahre sind Geschichte, doch langweilig wurde den Zuschauern trotzdem nicht. In Sochi passierte zwar lange Zeit nicht viel, bis es zum Showdown zwischen Vettel und Bottas kam - doch selbst in Barcelona, wo es traditionell relativ wenig Action auf der Strecke gibt, sahen die Fans ein spannendes Rennen inklusive Überholmanöver um den Sieg. Klar: Dies war auch begünstigt durch die unterschiedlichen Reifenwahlen von Hamilton und Vettel, und auch das DRS spielte dabei wieder eine Rolle. Doch brauchte ein schnellerer Pilot früher nur wenige Versuche um am Gegner vorbeizukommen oder sich die Reifen so zu ruinieren, dass nichts mehr ging, fuhr sich Hamilton rundenlang die Seele aus dem Leib, bis er endlich am Ferrari vorbeikam.

An der Spitze wird gekämpft und überholt, Foto: Sutton
An der Spitze wird gekämpft und überholt, Foto: Sutton

Hart, härter, Pirelli

Der alleinige Reifenausrüster der Formel 1 musste in den letzten Jahren viel Kritik für seine zu weichen Reifen einstecken. Zu schnelles Überhitzen und ein zu schneller Abbau sorgten dafür, dass die Piloten ihre Autos häufig wie auf rohen Eiern um den Kurs tragen mussten. Zweikämpfe waren angesichts dessen meistens nur von kurzer Dauer. Für 2017 lautete die Aufgabenstellung an Pirelli einen Reifen zu entwickeln, der den Fahrern auch im Rennen die Möglichkeit gibt, hart zu pushen und einem Gegner zu folgen. Die Rennen in Russland und Spanien lieferten den Beweis, dass der 2017er Reifen auch unter Rennbedingungen eine harte Gangart zulässt.

Bottas flüchtete in Sochi vor dem bis zum Schluss attackierenden Vettel und in Barcelona jagten sich Hamilton und Vettel bis zum Zielstrich. Wären die alten Pirelli-Pneus nach wenigen Runden in Vettels Dirty Air noch eingegangen, kann Hamilton 2017 den Konkurrenten verfolgen und überholen. Auch in Sachen Taktik sorgt der neue Reifen für mehr Spannung. Boxenstopp-Orgien wie in den vergangenen Jahren bleiben damit aus. Stattdessen müssen sich die Kommandostände ganz genau überlegen, wie sie die ein bis zwei Reifenwechsel im Rennen timen.

Allerdings hat Pirellis neue Konstruktion auch seine Nachteile. Die Piloten bemängeln, dass die Mischungen größtenteils zu hart ausfallen. "Die Reifen dieses Jahr fühlen sich sehr hart an. Der Soft fühlt sich nicht wie ein Soft an und der Supersoft nicht wie ein Supersoft", so Red Bull-Pilot Daniel Ricciardo. Der härteste Reifen wurde wie zu erwarten war bei seinem ersten Einsatz im Grand Prix von Spanien von Teams und Fahrern verschmäht. Seinen zweiten Auftritt in Silverstone sagte Pirelli in Folge dessen ab.

Vergleich: Anzahl Boxenstopps 2016 vs. 2017

Rennen20162017
Australien3620
China5234
Bahrain6631
Russland2520
Spanien4737

Die Spreu vom Weizen getrennt

Zu guter Letzt sollte die Formel 1 für die Piloten wieder schwieriger werden. Nachdem Max Verstappen mit nur 17 Jahren die Königsklasse im Sturm erobert und ein knappes Jahr später den ersten Sieg gefeiert hatte, war dies für viele nicht auf das Talent des Niederländers, sondern auf den zu geringen Schwierigkeitsgrad der Boliden zurückführen. Mit der Generation 2017 haben einige Piloten im Feld so ihre liebe Mühe und die Abstände zwischen den Teamkollegen sind teilweise deutlich größer. Bei Rookie Lance Stroll reiht sich ein Fahrfehler an den anderen und gegen Teamkollege Felipe Massa ist er bisher chancenlos. Bei Renault geht Jolyon Palmer im teaminternen Duell gegen Nico Hülkenberg sang und klanglos unter.

Auch an der Spitze sind Quersteher und Verbremser wieder häufiger zu beobachten. In Sochi bremste sich Bottas im Rennen seine Reifen eckig, während Hamilton schon im Qualifying auf keinen grünen Zweig kam und wie wild am Lenkrad kurbelte. Die Aerodynamik in Kombination mit den neuen Reifen macht den Grenzbereich um einiges schmaler. Wird der Luftfluss gestört, ist der Verlust an Anpressdruck nun höher, was zu einer abrupten Störung der Fahrzeugbalance führt. Ebenso ist das Arbeitsfenster der Reifen deutlich kleiner. Einmal über dem Limit, beißt der Pirelli-Pneu mit dem sogenannten Snap Oversteer zu.

Als Hamilton in Barcelona Vettel jagte, konnte alle Welt den völlig außer Atem geratenen Mercedes-Piloten im Boxenfunk nach Luft schnappen hören. "Ich denke es war ein Ausdruck davon, wie hart er gepusht hat. Wenn du einem Auto so nah folgen musst und nicht die Pace oder die perfekten aerodynamischen Bedingungen hast, ist das schwierig. Er gab alles und das konnte man im Radio hören", meinte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Ein klarer Beweis dafür, dass mit dem beschaulichen Rundfahrten in der Saison 2017 Schluss ist.

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Die Formel-1-Bosse haben mit dem neuen Reglement fast alles richtig gemacht. Klar, die charakterlos klingenden Power Units fahren immer noch, doch die Autos sehen um Längen besser aus und sorgen sowohl bei Fahrern als auch bei Fans für mehr Action und Spaß. Dem Paarlauf der Silberpfeile an der Spitze wurde ein Ende gesetzt, stattdessen kämpfen Mercedes und Ferrari um die WM. Wenn Chase Carey, Ross Brawn & Co. es jetzt noch schaffen, dass der Sound der Boliden wieder unter die Haut geht, hat die Formel 1 die elementaren Bestandteile ihrer Faszination wieder zurück. Dass aus der Königsklasse des Automobilsports niemals ein Markenpokal wird, bei dem jeder am Ende ganz oben auf dem Treppchen stehen kann, sollte nach über 60 Jahren klar sein. Die Alleingänge vergangener Jahre durch Ferrari, Red Bull oder Mercedes verdeutlichen, dass zwei Teams mit Siegchancen für die Formel 1 ein wahrer Segen sind - und in gewisser Weise mehr, als man erwarten kann. (Florian Becker)