Stunden nach dem Mexiko GP spielen sich im Fahrerlager unfassbare Szenen ab: Während in der Red Bull Hospitality Feierstimmung herrscht, als hätte man gerade die Weltmeisterschaft gewonnen, springt Sebastian Vettel auf ein Golf-Kart auf und verlässt die Strecke wortlos. Kurz zuvor hatten die Stewards Vettel mitgeteilt, dass er seinen Pokal für den dritten Platz wieder abgeben muss. Die Rennrichter belegten Vettel für seinen Zweikampf mit Daniel Ricciardo mit einer Zehn-Sekunden-Strafe, die ihn von Platz drei auf Rang fünf zurückwirft. Ricciardo ist neuer Dritter, Max Verstappen neuer Vierter. Zusätzlich gab es zwei Strafpunkte auf Vettels Konto, das nun bei sechs steht.
In den letzten Runden des Mexiko GP kämpfen Max Verstappen, Sebastian Vettel und Daniel Ricciardo in dieser Reihenfolge um Platz drei. In Runde 68 von 71 verbremst sich Verstappen in Kurve eins, kürzt durch die Auslaufzone ab und kommt in Kurve drei wieder vor Vettel auf die Strecke zurück. Das erste Manöver, das für große Diskussionen sorgt. Verstappen lässt Vettel nicht freiwillig vorbei, verteidigt seine Position bis zum Ende.
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Anschließend macht dahinter Ricciardo auf relativ frischen Soft-Reifen Vettel auf alten Medium-Reifen richtig Druck. In der vorletzten Runde setzt sich Ricciardo beim Anbremsen auf Kurve vier innen neben Vettel. Der Ferrari-Pilot verteidigt sich vehement, schmeißt die Tür noch zu und kollidiert leicht mit dem Red Bull. Vettel bleibt vor Ricciardo, überquert die Ziellinie hinter Verstappen auf Rang vier.
Erst Verstappen bestraft, dann Vettel bestraft
Dann beginnt das ganze Kuriosum: Während sich Verstappen im Green-Room auf das Podium vorbereitet, belegen ihn die Rennkommissare mit einer Fünf-Sekunden-Strafe, weil er beim Verlassen der Strecke in Runde 68 einen Vorteil erlangt haben soll. Vettel tobte zuvor am Funk, wurde sogar gegenüber der Rennleitung ausfallend. Wegen der Strafe fällt Verstappen von Rang drei auf Platz fünf zurück. Vettel rückt von vier auf drei auf und muss einen Sprint zum Podium hinlegen, Ricciardo erbt Platz vier.
Doch damit noch lange nicht genug. Während Vettel am Funk tobte, tobte Red Bull Motorsportberater Dr. Helmut Makro am Diktiergerät von Motorsport-Magazin.com: "Den Vettel müsste man bestrafen, denn er hat eindeutig unter Bremsen die Linie gewechselt, aber ganz krass. Es gibt jetzt eine neue Regel, die den Spurwechseln beim Bremsen verbietet, aber ich habe noch nie so deutlich ein Manöver beim Anbremsen gesehen wie jenes von Vettel, der Ricciardo mehr oder minder ins Auto gefahren ist."
Ferrari Teamchef Maurizio Arrivabene sah es direkt nach dem Rennen noch gelassen: "Jeder sollte sich um seine Probleme kümmern, den anderen zu beschuldigen ist nicht korrekt. Ich lasse mich nicht von Helmut Marko oder irgendjemand anderm belehren."
Tatsächlich untersuchten die Stewards die Szene zwischen Ricciardo und Vettel nach dem Rennen. Beide Piloten wurden vorgeladen, ihre Sicht der Dinge zu schildern. Um 17:53 Uhr Ortszeit dann die Entscheidung: Vettel erhält eine Zehn-Sekunden-Strafe, die ihn von Platz drei auf Platz fünf zurückwirft.
Regelklarstellung wird Vettel zum Verhägnis
Erst beim letzten Rennen in Austin wurden die Regeln klargestellt. Nachdem sich Verstappen mehrmals grenzwertig verteidigt hatte, gingen einige Fahrer auf die Barrikaden. Das ungeschriebene Gesetzt, dass man in der Bremsphase nicht mehr Spur wechseln darf, wurde in einer Direktive niedergeschrieben. Das Verstappen-Gesetzt war geboren. "Sie haben sich mit ihren eigenen Waffen geschlagen", freut sich Marko nach der Strafe für Vettel.
"Ohne die Direktive wäre es vielleicht okay gewesen", meint auch Red Bull Teamchef Christian Horner. "Und das war klar 'moving under braking'." In ihrer Urteilsbegründung weißen die Stewards Garry Connelly, Silvia Bellot, Danny Sullivan und Jorge Rodriguez explizit auf die vor einer Woche ausgegebene Direktive hin.
Arrivabene, der sich schlussendlich von den Rennkommissaren belehren lassen musste, war anschließend wenig begeistert: "Wir hatten dieses Podium völlig verdient. Es wurde uns von der Bürokratie weggenommen. Wir wurden leider von den Stewards bestraft. Gegen diese Entscheidung, die meiner Meinung nach zu hart und irgendwie auch unfair ist, kann man keine Berufung einlegen."
Ricciardo: Vettel hat sich in schlechte Position gebracht
Daniel Ricciardo schilderte Motorsport-Magazin.com seine Sicht der Dinge: "Wenn du dich so spät verteidigst, hast du dich schon in eine schlechte Position gebracht. Wenn sich ein Fahrer während des Bremsens bewegt, versucht er, einen Fehler zu reparieren. Der Fehler war, sich nicht früher, nämlich vor dem Bremsen, verteidigt zu haben. Er hat die Tür offen gelassen und das hat mir die Chance gegeben, reinzustechen."
"Und dann sah es so aus, als hätte er realisiert, dass ich die Position gewinnen würden", so Ricciardo weiter. "Daraufhin hat er die Lücke zugemacht. Die Regel ist nun seit Austin geschrieben. Es gab schon früher in dieser Saison Fälle, aber jetzt ist es schwarz auf weiß."
"Versteht mich nicht falsch", erklärte der Red-Bull-Pilot. "Ich liebe es, zu kämpfen und Rennen zu fahren. Ich mag Strafen nicht. Aber 'moving under braking', da sind wir Fahrer uns einig, ist nicht wahres Racing. Es ist nicht korrekt. Wenn du dich kurz davor noch entscheidest, dann ist es keine Strafe, aber in der Bremszone... "
In der offiziellen Urteilsbegründung heißt es: "Telemetrie und Videos zeigen, dass der Fahrer von Auto Nummer 5 während des Bremsens Richtung gewechselt hat. Das Videomaterial, inklusive der Streckenkameras, der TV-Kameras, beider Onboard-Kameras und die Telemetrie zeigen, dass es eine ungewöhnliche Richtungsänderung von Auto Nummer 5 gab, die als potentiell gefährlich angesehen wird, weil die Reifen der beiden Autos sehr nah zusammen waren."
Ricciardo konnte den Kontakt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verhindern: "Ich hatte erst blockierende Reifen, als er rübergezogen ist. Ja, ich bin in ihn gefahren, aber das war, weil ich dazu genötigt wurde, einzulenken - dabei haben die Räder blockiert." So sahen es auch die Stewards. "Auto Nummer 3 musste als Ergebnis ausweichen", schreiben sie in der Begründung.
Drei Kriterien gegen Vettel
Drei Kriterien legen Artikel 27.5 des Sportlichen Reglements und der Direktive des Renndirektors einer Bestrafung zugrunde. Erstens, dass die Fahrweise potentiell gefährlich ist, zweitens, dass es eine unnormale Richtungsänderung gibt und drittens, dass ein anderer Fahrer deshalb ausweichen muss. "Alle drei Kriterien wurden erfüllt, der Fahrer von Auto Nummer 5 ist schuldig, gegen Artikel 27.5 verstoßen zu haben", konkludiert die Urteilsbegründung.
"Ich wusste, er wollte in die Lücke, auch wenn ich mir gedacht habe, dass er es nicht schafft", verteidigte sich Sebastian Vettel nach dem Rennen. "Natürlich habe ich dann verteidigt, auch wenn er eigentlich keine Chance hatte. Aber ja, wir haben uns berührt, konnten aber beide weiterfahren. Ich will es mir aber nochmal ansehen, weil Daniel nach dem Rennen zu mir kam. Ich respektiere ihn sehr."
Während Teamchef Maurizio Arrivabene kurz nach Vettel wortlos das Fahrerlager verließ, ging die Party bei Red Bull weiter. Daniel Ricciardo und Max Verstappen gingen unter dem Nachthimmel von Mexiko Stadt noch auf das Podium und feierten nachträglich. "Max hat es geschafft, in den Green-Room zu kommen, nur um dann Sebastian auf das Podium zu lassen, der dann den Applaus bekommen hat, damit Daniel den Pokal mit heimnehmen kann", scherzte Teamchef Horner. Marko setzte noch einen drauf: "Wir haben einen neuen Rekord! Ein Fahrer, der in einem Rennen Dritter, Vierter und Fünfter ist - innerhalb von zwei Stunden."
Wegen des angepassten Ergebnisses ist Daniel Ricciardo Platz drei in der Fahrerweltmeisterschaft nicht mehr zu nehmen. Statt den Rückstand um einen Zähler auf Red Bull zu verringern, verliert Ferrari in der Konstrukteurswertung nun neun Punkte. Zwei Rennen vor Ende der Saison liegt Red Bull 52 Punkte vor Ferrari.
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