Was war deiner Meinung nach die größte Überraschung und die größte Enttäuschung?
Jacques Villeneuve: Die größte positive Überraschung war, wie sich Sebastian Vettel seit seiner Zeit bei Red Bull entwickelt hat. Er ist fast schon ein Italiener geworden. Er hat das ganze Team, die Fans für sich gewonnen, ist ihnen ins Herz gewachsen. Und auch, wie er mit Kimi zusammengearbeitet hat und wie sie es zusammen mit dem Team geschafft haben, dass das Auto so schnell geworden ist. Die gesamte Entwicklung bei Ferrari ist die größte positive Überraschung für mich. Die negative Überraschung war Honda. Ich habe zwar erwartet, dass sie Probleme haben würden. Aber so etwas habe ich nicht erwartet.

Nochmal zu Sebastian. Verglichen zu vergangenem Jahr ist er ein komplett neuer Mensch geworden, seine gesamte Attitüde... Er lächelt jetzt.
Jacques Villeneuve: Das ist normal. Er war bei Red Bull. Das war seine Familie, sein Zuhause und plötzlich war er nicht mehr der Liebling. Das war sehr beleidigend von Red Bull. Er hat mit ihnen vier Meisterschaften gewonnen und er vertraute ihnen. Auf einmal haben sie versucht, ihn unterzubuttern, um das Ricciardo-Image zu pushen. Das war auch sehr zerstörerisch. Mir fällt dazu eine Analogie ein: Ein junger Vogel wagt dem Sprung aus dem Nest, breitet seine Flügel aus und fliegt. Das wurde von Red Bull verhindert. Hier hat er die Freiheit, er selbst zu sein. Dadurch hat er Spaß und fährt besser als jemals zuvor.

Kann man Sebs letztes Jahr bei Red Bull mit den Webber-Jahren vergleichen, nur eben anders herum?
Jacques Villeneuve: Nein, einige Leute bei Red Bull mochten Webber. Ich glaube einfach, dass Vettel besser war als Webber. So einfach ist das.

Vettel hat sich bei Ferrari gut eingelebt, Foto: Sutton
Vettel hat sich bei Ferrari gut eingelebt, Foto: Sutton

Ganz vorne bei Mercedes - die Weltmeisterschaft war ziemlich langweilig.
Jacques Villeneuve: Wir haben schon oft langweilige Meisterschaften gehabt. Lewis hatte dieses Jahr eine einfache Meisterschaft, da wir im ersten Teil der Saison nicht den kämpfenden, aggressiven Nico aus dem letzten Jahr sahen. Das hätte Druck auf Lewis ausgeübt, auch auf psychologischer Ebene. Er fing damit erst nach dem US GP an, als er seinen Tiefpunkt erreichte. Seit er dort die WM verloren hat, hat es ihn möglicherweise geändert. Ich weiß es nicht. Danach war er aber ein Killer. Lewis hat darauf richtig schlecht reagiert und eine sehr negative Seite seiner Psyche offengelegt. Er hat nämlich gezeigt, dass er nicht demütig sein kann. Er hat drei Meisterschaften gewonnen und kann sich nicht freuen und verhält sich wie ein verhätscheltes kleines Kind, dem das Spielzeug weggenommen wurde. Man hat das auch heute nach der Zielüberfahrt gesehen, als er die Schikane geschnitten hat und sich an der Haarnadel außen neben Nico stellte. Ich dachte zuerst, er würde ihm sagen wollen 'Hey, guter Job!' - so, wie das jeder andere Fahrer getan hätte. Das Einzige, was er aber damit bezwecken wollte, war, Nico daran zu hindern, dem Publikum zuzuwinken. Das war beleidigend, lächerlich und absolut ohne Demut. Er hat sich da nicht wie ein großer Champion verhalten.

Villeneuve erwartet für 2016 einen Rosberg in Bestform, Foto: Sutton
Villeneuve erwartet für 2016 einen Rosberg in Bestform, Foto: Sutton

Lewis hat seinen Leistungsabfall mit Setup-Änderungen seit Singapur begründet.
Jacques Villeneuve: Er ist derjenige, der im Auto sitzt. Er ist derjenige, der mit seinem Ingenieur zusammenarbeitet. Es liegt an ihm. Was auch immer das für ein Setup ist, es scheint Nico besser zu liegen, weil Nico daran gearbeitet hat, schätze ich. Aber von der mentalen Verfassung ist das nicht mehr derselbe Lewis. Wenn das der Fall ist, dann war er dieses Jahr gar nicht so überlegen. Er hatte einfach ein Setup, das ihm besser lag. Deswegen sollte er vorsichtig sein, wenn er so etwas behauptet.

Aus mentaler Sicht stieg Nico anders in die Meisterschaft ein. Er war nicht aggressiv genug. Wie kann man in eine Meisterschaft gehen, ohne aggressiv zu sein? Wie erklärst du dir das?
Jacques Villeneuve: Ich weiß es nicht. Die Art und Weise, wie ein Hirn arbeitet, ist sehr komplex. Vielleicht liegt das daran, dass er sein Baby bekommen hat, denn jetzt genießt er das Leben. Erst als es zu spät war, wurde er wieder der aggressive Nico, den wir mögen, den wir vergangenes Jahr gesehen haben, der Nico, der Lewis die Weltmeisterschaft wegschnappen kann. Wenn man den letzten Teil der Saison nimmt mit dem ganzen Erfolg, wurde Nico von Rennen zu Rennen erfolgreicher, stärker, während Lewis schwächer wurde. Mit dem Gefühl in den Winterurlaub zu gehen, ist für Nico fantastisch. Er hat bewiesen, dass er sich nicht zerquetschen lässt, dass er reagieren kann. Und Lewis hat offenbart, dass wenn es hart auf hart kommt, er ins Straucheln gerät.

Es war eine unheimlich schwierige Saison für Renault.
Jacques Villeneuve: Ja, weil ihr Motor eingeschränkt ist und sie nicht wissen, wie sie ihn verbessern können. Der Einsatz von Tokens ist nicht gleichbedeutend mit einem besseren Motor. Es heißt, man kann etwas ändern, aber du musst immer noch wissen, wie du ihn ändern musst. Ihr Motor scheint bereits am Limit zu sein. Sie können ändern was sie wollen. Aber sie brauchen wahrscheinlich ein neues Konzept und den Regeln nach dürfen sie das aber nicht tun. Das ist kompliziert. Und dann kritisiert sie Red Bull so sehr, dass man sich gar nicht wundert, warum sie es nicht versucht haben.

Die harsche Kritik zum Beispiel von Dr. Marko war negativ für alles. Er meinte ja, er hätte sie dadurch gepusht.
Jacques Villeneuve: Nein, er hat sie nicht gepusht. Er hat sie nur blamiert. Das ist ein großer Unterschied. Was er gesagt hat, war: 'Wir sind ein fantastisches Team und Ihr seid scheiße!' Sie haben gemeinsam vier Meisterschaften gewonnen. Und die haben sie nicht nur wegen des Chassis gewonnen, sondern auch wegen des Motors. Das ist respektlos. Ich glaube, dass hat zu großen Problemen bei Renault geführt. Das hat die Entwicklung zerstört und das Potenzial des Motors beschädigt.

Red Bull wird auch 2016 mit Renault-Aggregaten starten, Foto: Sutton
Red Bull wird auch 2016 mit Renault-Aggregaten starten, Foto: Sutton

Die Situation, dass Red Bull nun ohne Motor da steht...
Jacques Villeneuve: Das ist ihre eigene Schuld. Wieso sollte ein Hersteller mit ihnen weiterarbeiten wollen, wenn sie wissen, dass sie derart kritisiert und in den Medien derartig zerstört werden könnten? Niemand will dieses Risiko tragen.

Red Bull behauptet, dass die anderen Hersteller sie nicht mit Motoren ausstatten wollen, weil sie zu stark sind.
Jacques Villeneuve: Warum solltest du einem Team, welches das Potenzial besitzt, die WM zu gewinnen, die Möglichkeit geben, dich zu schlagen?

Bernie sagt, dass jeder in der Vergangenheit das Beste für die F1 wollte. Heute will jeder das Beste für sich selbst.
Jacques Villeneuve: Nein, Bernie liegt da falsch. Jeder wollte schon immer das Beste für sich selbst. Aber das waren alles Rennfahrer. Daher war das Beste für sie selbst auch okay für die F1. Das waren keine Unternehmen. Das ist der Unterschied.

Und die Unternehmen hängen nicht von der F1 ab wie die Teams?
Jacques Villeneuve: Genau. Sie brauchen F1 nicht, es ist nur ein Hilfsmittel.