Er meckert ständig im Funk. Sagt in Interviews maximal drei zusammenhängende Wörter. Meidet Arbeit im Simulator wie der Teufel das Weihwasser. Ist einfach ein ganz eigenartiger Kauz. Wie kann so jemand nur der perfekte Teamkollege für Vierfach-Champion Sebastian Vettel sein? Ganz einfach: "Er ist ausgeglichen, erfahren, er ist der Beste", sagt Motorsport-Magazin.com Experte Christian Danner. "Ob er auch der Schnellste ist, ist eine andere Frage. Mit Romain Grosjean im Ferrari hätte Sebastian sicher nicht ganz so viel Friede, Freude, Eierkuchen."

Der Franzose war zwei Jahre lang Räikkönens Teamkollege bei Lotus und würde nur zu gern zu einem Topteam aufsteigen. Am liebsten eines mit roten oder rot-schwarzen Autos. Dennoch oder gerade deswegen hält Danner den Finnen für die bessere Ergänzung zu Vettel: "Kimi ist jemand, der ein bisschen langsamer ist als Seb, zumindest im Qualifying, und im Rennen immer da ist. Ihn darfst du nie vernachlässigen. Ich halte das für eine sehr gute Kombination."

Nicht umsonst bezeichnet Danner den Iceman offen als ein intergalaktisches Talent. Ganz entgegen den typischen Vorurteilen ist der Weltmeister von 2007 durchaus ein akribischer Arbeiter, nämlich dann, wenn es darauf ankommt. Medientermine gehen dem Finnen am Allerwertesten vorbei. Er ist hier, um Rennen zu fahren.

"Ich will nicht sagen, er ist der Ehrlichste, denn er ist ein Rennfahrer und die sind nicht immer ehrlich, aber er ist der Authentischste", erklärt Danner. "Er ist so, wie er ist. Er konzentriert sich auf das Fahren, der Rest interessiert ihn nicht." Räikkönen registriert durchaus, was um ihn herum vor sich geht, aber er lässt sich nicht darauf ein. Er zieht eine klare Trennlinie zwischen Motorsport, seinen Freunden und den Medien. "Er will seine Lebenszeit nicht damit verschwenden mit Journalisten zu reden", fasst Danner zusammen.

Mit dieser Einstellung und seinen stets kurzen, aber umso kultigeren Sprüchen hat er Millionen von Fans weltweit gewonnen. Es gibt kaum ein Rennen von Australien bis Abu Dhabi, bei dem auf den Tribünen nicht unzählige finnische Flaggen und Kimi-Transparente um Aufmerksamkeit buhlen. "Er sagt nichts, aber die Fans lieben ihn", bestätigt der frühere Formel-1-Pilot David Coulthard gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Wenn du Kimi kritisierst, fallen sie über dich her! [macht Würgegeräusche] Er ist für sie unantastbar. Dabei ist er niemand, der viel mit anderen kommuniziert."

Mit seiner Art kommt Räikkönen auch bei seinem Teamkollegen an. "Ich genieße die Beziehung zu Kimi", sagt Vettel. "Nicht erst jetzt, sondern bereits vorher. Er hat mir seit Beginn meiner Karriere Respekt gezeigt. Er ist immer geradeaus, immer ehrlich. Das schätze ich."

Am Ende wird aber auch ein ehemaliger Weltmeister und Fanliebling wie Räikkönen an den reinen Fakten gemessen. Im Qualifying sprachen diese Zahlen in der ersten Saisonhälfte eine klare Sprache - zugunsten von Vettel. "Kimis Problem ist das Qualifying", analysiert Teamchef Maurizio Arrivabene. "Im Rennen ist er zu bestimmten Zeitpunkten genauso schnell wie Seb. Manchmal war das so, weil er im Qualifying Verkehr hatte. Aber er hatte auch schon einen großen Abstand zu den Autos vor ihm." Das Problem ist nicht neu. Schon im vergangenen Jahr sah Räikkönen in der Qualifikation kein Land gegen Fernando Alonso. Nur drei Mal war der Finne im ungeliebten F14 T schneller als der Spanier.

Vettel schwächt diese Bilanz jedoch etwas ab: "Kimi macht einen sehr guten Job, wie in der Vergangenheit. Letztes Jahr hat man das vielleicht nicht so ganz gesehen, aber teamintern hat man es realisiert. Er war viel dichter dran, als es vielleicht von außen den Anschein gemacht hat." Etwas ausgeglichener als 2014 ging es in Räikkönens Comeback-Jahr 2012 bei Lotus zu. Damals unterlag er nur knapp gegen Grosjean. Im Folgejahr besiegte er den Franzosen klar. In beiden Saisons wären möglicherweise mehr als jeweils nur ein Sieg drin gewesen, wenn Räikkönen bessere Startplätze eingefahren hätte.

Vettel und Räikkönen führten das Rennen in Ungarn an, Foto: Ferrari
Vettel und Räikkönen führten das Rennen in Ungarn an, Foto: Ferrari

So behindert ihn sein konservativer Fahrstil auf einer schnellen Runde am Samstag. Er bekommt die Reifen bei kühlen Bedingungen oder geringen Gripverhältnissen nicht schnell genug in Form. Andererseits verhilft ihm dies stets zu einem besseren Reifenverschleiß im Rennen. "Wenn er sich im Qualifying steigert, wird er im Rennen keinerlei Schwierigkeiten mehr haben", glaubt Arrivabene. "Im Rennen ist Kimi super und kann tolle Arbeit abliefern." Die Hausaufgaben für seinen Schützling sind damit klar: "Er muss 100 Mal schreiben: 'Ich muss mich im Qualifying verbessern.'"

Während Räikkönen seinen Teil der Hausaufgaben noch zu erledigen hat, hat sein Team über den Winter schon zu einem gewissen Teil vorgelegt. Der Ferrari des Jahrgangs 2014 war gemessen an den immensen Ansprüchen der Scuderia eine Katastrophe. Selbst der hochgelobte Alonso konnte damit keine Wunder vollbringen. Die Fortschritte sind laut Technikchef James Allison, übrigens ein alter Lotus-Weggefährte von Räikkönen, 50:50 auf Chassis und Power Unit verteilt.

Die Verbesserungen kommen jedoch nicht nur dem Iceman entgegen. Auch Vettel hatte im vergangenen Jahr, dem ersten unter dem neuen Power-Unit-Reglement, immense Schwierigkeiten mit der Einstellung auf sein neues Arbeitsgerät. Böse Zungen behaupteten im Winter schon, dass Ferrari nun zwei Fahrer unter Vertrag habe, die mit der neuen Fahrzeuggeneration nicht zurechtkommen. Der Retter in der Not war der neue Teamboss.

"Ich erinnere mich noch gut daran. Es muss so der 10. oder 12. Dezember gewesen sein", plaudert Arrivabene wie immer gerne aus dem Nähkästchen. "Als wir uns einen Entwurf des Autos angesehen haben, habe ich Simone Resta, Dirk de Beer und Rory Byrne gefragt: 'Was könnt ihr machen, um die Gewichtsverteilung des Autos ein bisschen weiter nach vorne zu bringen?' Kimi hat das Auto gerne so und bei Sebastian ist es mehr oder weniger das gleiche. Sie sagten: 'Dafür brauchen wir sechs Monate.' Ich antwortete: 'Was könnt ihr in drei machen?' Sie meinten: 'Dafür müssten wir Tag und Nacht arbeiten.' Also erwiderte ich: 'Okay, ich mache das zusammen mit euch. Packen wir es an!'" Das Ergebnis ist der SF15-T, der erste Ferrari, der seit Spanien 2013 wieder einen Grand Prix gewonnen hat - seit Ungarn sind es deren sogar zwei.

Die Überstunden des Teams haben sich also für beide Fahrer gelohnt. Ferrari ist klar die zweite Kraft hinter den Weltmeistern aus Brackley. "Kimi braucht ein Auto, das ihm passt", erklärt Danner. "Das hat man auch bei Lotus gesehen. In Monaco hat er einmal ein ganzes Training ausgelassen, weil er gesagt hat: 'Die Lenkung gibt mir nicht das Feedback, das ich haben will. Ich fahre hier nicht.' Das finde ich großartig, einfach einmalig." Eben typisch Kimi.

Perfektes Duo: Räikkönen und Vettel, Foto: Sutton
Perfektes Duo: Räikkönen und Vettel, Foto: Sutton

Damit ist er allerdings auch das genaue Gegenteil von Alonso. Der Spanier ist superadaptiv, kann sich an die Gegebenheiten des Autos anpassen, die Probleme umfahren. Besonders wichtig für Räikkönens Fahrstil sind eine fahrbare Vorderachse und das richtige Feedback von der Lenkung. "Wir hören immer sehr viel darüber, dass Kimi nicht das richtige Gefühl vom Lenkrad bekommt", bestätigt Ex-Weltmeister Damon Hill gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Aber ich weiß nicht genau, ob es nur daran liegt, dass er dieses Jahr besser ist."

Ganz perfekt ist die Kombination Räikkönen/SF15-T allerdings noch nicht. Das zeigte sich unter anderem mit dem Update-Wirrwarr von Barcelona. Dennoch ist Räikkönen mit seinem neuen Auto viel glücklicher, so gut man das eben aus seinen versteinerten Gesichtszügen ablesen kann. "Dieses Auto ist anders als im letzten Jahr. Der Reifenverschleiß ist gut, aber wir wollen ihn noch verbessern", sagt er. "In Zukunft können wir uns in diesem Bereich noch steigern." Vor allem bei Hitzerennen sieht Räikkönen eine Chance, Mercedes erneut zuzusetzen. "Aber das ist nur ein Teil", mahnt er. "Das gesamte Auto muss gut funktionieren, damit die Reifen so lange wie möglich halten, wir aber trotzdem schnell sind. Es ist immer ein Kompromiss."

Vettel ist von der Kombination mit Räikkönen überzeugt: "Wir wissen beide, wie man Weltmeister wird", sagt er. "Und wir wissen beide, wie wichtig es ist, als Team zu arbeiten." Natürlich möchten beide Fahrer sich auf der Strecke gegenseitig schlagen. "Es wäre auch schlimm, wenn das nicht so wäre", betont Vettel. "Aber im Moment ist es wichtig, dass wir an einem Strang ziehen und das Team nach vorne bringen. Wir müssen alles dafür geben, dass wir hoffentlich bald mindestens auf einer Höhe mit Mercedes sind."

Dafür ist ein Fahrer wie Räikkönen für Ferrari goldrichtig. Er macht nach außen hin keine Probleme und stellt intern ähnliche Wünsche und Ansprüche an das Auto wie der erhoffte zehnte Ferrari-Champion der Formel-1-Geschichte. Ein Meilenstein, an dem Vettels Vorgänger Alonso fünf Jahre lang scheiterte. 2016 wird Räikkönens sechstes Jahr in Maranello. Zudem hat auch er seinem letztjährigen Teamkollegen aus Spanien eines voraus: Räikkönen ist der bis heute letzte Ferrari-Champion.