Ferrari greift zum letzten Mittel. Nach einer sechs Jahre langen Durststrecke ohne Fahrer- oder Konstrukteurs-Titel zieht der älteste Rennstall der Formel 1 2015 sein letztes Trumpfass. Nur dass "das Trumpfass ziehen" in diesem Fall eher "die Wiederholungstaste drücken" meint ...

Zurückgespult: 1996 liegen bereits doppelt so viele titellose Jahre hinter dem Traditionsrennstall aus Maranello als 2015. Der letzte Triumph datiert aus der Saison 1983.
Die Lösung: Ferrari verpflichtet einen gewissen Michael Schumacher, amtierender Doppelweltmeister im Benetton, als Retter.
Der Effekt: Nach drei Jahren Anlauf startet die größte Erfolgsära der Formel-1-Geschichte. Innerhalb von sechs Saisons gewinnt die Kombination aus italienischem Rennstall und deutschem Top-Fahrer elf von zwölf möglichen Titeln.

Schumacher brachte Ferrari die 1 zurück, Foto: Sutton
Schumacher brachte Ferrari die 1 zurück, Foto: Sutton

Gigantische Erwartungen

Wieder live: 2015 ruft die Scuderia erneut nach einem Deutschen. Diesmal gilt der Hilfeschrei Sebastian Vettel. Der wechselt zwar - anders als einst Schumacher - nicht als aktueller, stattdessen jedoch gar als viermaliger Weltmeister nach Maranello. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Erwartungshaltung von außen diesmal weitaus höher scheint, als vor 19 Jahren, warum der Titelhunger trotz halb so langer Durststrecke größer ist, die Tifosi nach sofortigen Siegen lechzen, die Medien nach Erfolgsgeschichten gieren und Vettels (gescheiterter) Vorgänger als Heilsbringer, Fernando Alonso, sagt: "Zu Saisonbeginn werden sie wieder zu den Favoriten zählen. Jeder erwartet, dass Ferrari die Formel 1 gewinnt."
Aber: Lässt sich Super-Schumi tatsächlich so leicht wiederholen?

Pause: Sebastian Vettel will von all dem erst einmal nichts wissen. Natürlich möchte er mit Ferrari Weltmeistertitel gewinnen, seinem Kindheitsidol Schumacher nacheifern. "Ferrari ist ein Mythos. Der Reiz ist groß, in der Phase des Umbruchs bei Ferrari mitzuhelfen, um hoffentlich sehr bald wieder an der Spitze mitfahren zu können. Ich werde jedenfalls mein ganzes Herzblut dafür geben", sagt Vettel über den Rennstall, für den zu fahren allein schon einem wahrgewordenen Traum gleichkommt.

Vettel testete bereits einen 2012er Ferrari, Foto: Ferrari
Vettel testete bereits einen 2012er Ferrari, Foto: Ferrari

Vettel: Diese Mission braucht Zeit

Doch der Mann aus Heppenheim weiß auch um die Größe dieser Mission - der Mission Titel- Gewinn. "Mir ist bewusst, dass uns bei Ferrari eine große Aufgabe bevorsteht, die auch Zeit braucht", sagt Vettel. Selbst ein Schumacher benötigte drei Jahre, um das Team zur Titelreife zu formen. Ähnliches erwartet Vettel. "Wir müssen uns nicht vormachen, dass wir im nächsten Jahr gegen Mercedes ankommen werden", sagt er. "Am Anfang möchte ich einfach beweisen, dass es der richtige Schritt war - für Ferrari und mich. Das wird eine gewisse Zeit dauern."

Vorgespult: "Viel Glück", wünscht ihm daher Christian Danner für die Zukunft - mit ironischem Unterton. Der Motorsport-Magazin.com-Experte weiß genau, welche Berge an Aufbauarbeit Vettel nun erwarten. Dass dieser den Schritt dennoch wagt, bringt ihm ein Sonderlob durch den TV-Kommentator ein: "Es ist eine Riesenherausforderung, der er sich ganz offen stellt. Da kann man nur sagen: Toll, mutig, entschlossen." Gerhard Berger sieht Vettel im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com ebenfalls vor einer Herkules-Aufgabe. "Es wird eine Challenge", sagt der frühere Ferrari-Pilot.

Vettel versucht das Team einzuschwören, Foto: Ferrari
Vettel versucht das Team einzuschwören, Foto: Ferrari

Ferrari und Vettel basteln neues Erfolgs-Ensemble

Wie Vettel die Aufgabe meistern kann, erklärt eine andere Ferrari-Größe vergangener Tage: "Sie brauchen frischen Wind, neue Denkanstöße. Jede Erfahrung, die du einbringen kannst, ist gut", sagt Alain Prost mit Blick auf Vettels Wissen aus dessen Zeit bei Red Bull. Mit konkreten Ratschlägen hält sich der vierfache Weltmeister zurück - bis auf einen: "Der einzige Tipp, den ich vor langer Zeit einmal Jean Todt gegeben habe, war: 'Versuche eine Gruppe zu formen, in der alle Leute zusammenarbeiten.'"

Damals gesagt, getan mit dem Erfolgsensemble aus Brawn/Schumacher/Byrne. Heute Versuch der Kopie per Rundumerneuerung im Personalstab Maranellos. Denn "nur der Fahrer allein reicht nicht aus", erinnert Danner. Auch den Teamfaktor müsse man abdecken. Eine Bemerkung, die erneut stark an Schumacher erinnert. "Nicht ich allein, sondern wir als ganzes Team haben gewonnen", wurde der Kerpener bei seinen Erfolgen niemals müde zu betonen. Da ist sie also schon wieder, die Wiederholungstaste. Fehlt nur noch eine: Jene, die den Film zum ersten Titel abspielt.

Sebs Checkliste zum Ferrari-Retter

1. Schneller Fahrer? Aber hallo! Abgehakt.
2. Schnell einleben? Schon voll dabei! Zum Ärger von Red Bull
3. Genügend finanzielle Mittel? In Hülle und Fülle! Die Millionen fließen...
4. Kalkül statt Emotionen? Typisch Deutsch, kein zweiter Alonso
5. Eingeschworenes Team? Er kann's! Weiter Vorbild an Schumi nehmen
6. Richtige Schlüsselpersonen? Auf dem Weg, aber noch viel zu tun
7. Bessere Aerodynamik? Vielleicht. James Allison muss abliefern
8. Besserer Motor? Noch weit davon entfernt...
9. Politik abstellen? Harter Brocken. Fast unmöglich in Maranello
10. Geduld beweisen? Müssen beide Seiten dran arbeiten

Lesen Sie morgen auf Motorsport-Magazin.com: Alles zum neu zusammengestellten Team der Scuderia Ferrari.