In der Formel 1 geht es um Wettkampf, um Zweikämpfe, um Konkurrenzfähigkeit, um harte Duelle auf der Rennstrecke. Doch was genau muss man leisten um ein Cockpit in der Königsklasse zu bekommen? Bei den kleineren Teams wie Minardi oder Jordan ist die Antwort einfach: Man muss genügend Kraft in den Oberarmen haben um einen möglichst schweren Geldkoffer bis ins Büro des Teamchefs tragen zu können.

Bei einem Top-Team wie BMW-Williams sollte dies hingegen keine Rolle spielen. Deswegen drängt sich die Frage auf: Was muss ein Pilot leisten um Frank Williams und Patrick Head von seinen Fähigkeiten zu überzeugen?

Muss er die Techniker und Ingenieure des Teams mit seinem detaillierten Feedback beeindrucken? Muss er den Reifenpartner mit seinen Aussagen überzeugen? Muss er seinen Cockpitrivalen im Regen distanzieren? Muss er seinen Konkurrenten im direkten Duell auch im Trockenen bügeln? Muss er bei Wind und Wetter schneller sein? Und all dies obwohl er den Wagen und das Team erst seit wenigen Tagen und Wochen und nicht schon seit mehreren Jahren und tausenden von Testkilometern kennt?

Wenn all dies die Auswahlkriterien der Williams-Führungsriege in Grove sind, dann dürfte am kommenden Montag im Rahmen der Teampräsentation in Valencia nur ein Pilot als neuer Teamkollege von Mark Webber vorgestellt werden: Nick Heidfeld. Denn der Mönchengladbacher hat all die oben genannten Schlüsselfragen erfolgreich beantwortet. Nur eins hat er nicht: Die finanzielle Unterstützung des brasilianischen Teampartners Petrobras und die südamerikanischen Connections zu Patrick Heads brasilianischer Ehefrau.

Niki Lauda schwante deshalb zuletzt Böses: "Ich weiß, dass Webber und Pizzonia jede Runde am Limit fahren und sich bei ihren Aussagen übers Auto mehr Mühe geben, seitdem Heidfeld im Team ist", so der Österreicher. "Ich hoffe nicht, dass Nick nur als Lockvogel missbraucht wird."

Die Voraussetzungen

Da Geld und Beziehungen aber nicht nur in der F1Welt eine bedeutende Rolle spielen und auch Antonio Pizzonia bei den zurückliegenden Tests gute Leistungen gezeigt hat, werden Sir Frank Williams, Patrick Head, Mario Theissen und Sam Michael an diesem Wochenende Überstunden schieben, um all die Testeindrücke zu analysieren und bis Montag die beste Entscheidung im Sinne des Teams zu treffen.

Vor Beginn der Vergleichstests zwischen Heidfeld und Pizzonia skizzierten die Weiß-Blauen ihren optimalen Rennfahrer wie folgt: "Im Idealfall brauchen wir einen Piloten mit Erfahrung, der zugleich schnell ist. Er muss intelligent sein, hart arbeiten und sich vor allem in der Formel 1 auskennen", zeichnete Frank Williams das Bild von seinem Traumfahrer. BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen fügte hinzu: "Wichtig ist natürlich, wie schnell sie sind. Aber es geht auch darum, wie sie ein Auto abstimmen oder mit den Ingenieuren zusammenarbeiten, eben die gesamte Palette, die man in der Formel 1 braucht."

Und wie gut oder schlecht passen Nick und Antonio nun zu diesen Voraussetzungen? Betrachten wir zuerst den Brasilianer. Er ist schnell, dies hat er in den vergangenen Jahren mit diversen Testbestzeiten bewiesen. Noch nicht bewiesen hat er, ob er diese Schnelligkeit auch konstant über eine komplette Saison hinweg zu bringen imstande ist. Denn in der letzten Saison fuhr er bei seinem kurzen Gastspiel als Ersatzmann für Ralf Schumacher nur vier Rennen – wobei ihm sein bestes Ergebnis, Rang drei in Spa-Francorchamps, durch einen Getriebedefekt geraubt wurde.

Der einzig feststehende Williams-Stammpilot Mark Webber hat von Pizzonia jedenfalls kein gutes Bild aus der gemeinsamen Jaguar-Zeit im Hinterkopf. "Ich fand: Was er bei Jaguar gezeigt hat, war wenig eindrucksvoll", urteilte der Aussie, der sich vor allem über die Beschwerden Pizzonias ärgert, wonach Webber bei den Grünen bevorzugt worden sei. "Er sagt, dass sein Auto anders als meines war? Das ist totaler Blödsinn", ereiferte sich Mark und bekam direkt einen Rüffel vom Team. "Aber wenn er tatsächlich so denkt, dann ist er ein Verlierer. Die Wahrheit ist, dass Antonio beim Testen schnell war, dies aber nicht in den Rennen umsetzen konnte."

Ganz anders Nick Heidfeld. Denn Mario Theissen attestierte diesem bereits nach seinem ersten Testtag für die britisch-bayrische Allianz: "Er ist schnell. Er ist gut im Abstimmen, gibt wie wir heute Morgen gesehen haben eine gute Rückmeldung an die Ingenieure, er hat Erfahrung und er hat natürlich auch Rennpraxis."

Allerdings ist er kein Juan Pablo Montoya oder Jacques Villeneuve. Also kein extrovertierter Schlagzeilenmagnet. Stattdessen bringt der eher ruhige Deutsche aber die Erfahrung mehrerer F1-Saisons mit nach Grove. Antonio Pizzonia hat hingegen die Unterstützung von Williams-Sponsor Petrobras sowie Williams-Anteilseigner Patrick Head im Rücken.

Die Kandidaten

Nehmen wir die beiden weiß-blauen Cockpit-Anwärter und deren Vorgeschichte noch einmal genauer unter die Lupe.

Nick Heidfeld. Nach seinem Wechsel von Sauber zu Jordan konnte der sympathische Mönchengladbacher in der vergangenen Saison, trotz des schlechten Materials und der chronisch klammen finanziellen Situation seines Teams, beinahe mehr Kritiker von seinen Fähigkeiten überzeugen, als in seiner Zeit bei den Schweizern. Gemeckert hat Nick über die Probleme seines Rennstalls dabei nie. Stattdessen zeigte er etwa mit einem Punktgewinn in den Straßen von Monte Carlo was in ihm steckt. Zwar durfte Nick bis zu seinem Williams-Test noch nie in einem echten Top-Auto fahren, doch steht für viele Experten fest, dass er dies mehr als nur verdient hätte.

Antonio Pizzonia. Der Mann aus Manaus im Amazonasgebiet überzeugte vor allem als Williams-Testfahrer. Sein Jaguar-Gastspiel als Stammpilot in der Saison 2003 endete hingegen vorzeitig – wobei Jaguar und Pizzonia sich die Schuld gegenseitig in die Schuhe schoben. Nach seiner Rückkehr zu Williams blühte der Brasilianer ohne den ganz großen Druck im Testcockpit wieder auf und konnte im letzten Jahr auch als Ralf Schumacher Ersatz gute Rennleistungen zeigen.

Die Testvergleiche

Bei alles andere als perfekten äußeren Bedingungen debütierte Nick Heidfeld am 1. Dezember des Jahres 2004 im verregneten Jerez de la Frontera, wo er aufgrund der Testabsage von Anthony Davidson eine Woche vor seinem eigentlich geplanten Williams-Test in den weiß-blauen Boliden steigen durfte.

Obwohl der FW26 für Nick im Vergleich zum Jordan "ein Unterschied wie Tag und Nacht" war, lebte sich Heidfeld, der an seinem ersten Testtag ohne spezielles Testprogramm am Setup herumtüfteln durfte, auch im Team "gut" ein, was das "positive Feedback" seitens der Williams-Mechaniker bestätigte.

Am zweiten Testtag kam es dann zum ersten direkten Vergleich zwischen den beiden Cockpit-Interessenten. Und mit 1:22.430 Minuten war Heidfeld auf regennasser Fahrbahn nach 96 Umläufen fast eine Sekunde schneller als der Südamerikaner. Die Franzosen von Michelin überzeugte dies sogar so sehr, dass sie Heidfeld am Samstag einen dritten Regenreifentesttag einlegen ließen. Allerdings auch nicht ganz ungezwungen. Schließlich musste Pizzonia in seine Heimat abreisen um dort der Geburt seines ersten Kindes beiwohnen zu können.

Einen Teilerfolg konnte Heidfeld dennoch verbuchen: Er durfte auch in der kommenden Woche, an seinen beiden ursprünglich geplanten Testtagen ins Cockpit eines FW26 steigen. Für die Medien wurde dies dann endgültig der große Shoot-Out zwischen Quick Nick und dem Jungle Boy, zwischen Deutschland und Brasilien, zwischen Mönchengladbach und Manaus oder schlicht zwischen Heidfeld und Pizzonia.

Während der Shoot-Out erwartungsgemäß zu einem normalen Test wurde, konnte Heidfeld dennoch mit starken Rundenzeiten und einer Tagesbestzeit überzeugen. Und zwar so sehr überzeugen, dass sich Frank Williams nicht nur dazu entschied beiden Piloten noch mehr Testfahrten im Januar zuzugestehen, sondern auch zugab: "Wir hatten das Glück, dass wir Antonio im letzten Jahr aufgrund unglücklicher Umstände testen konnten und er machte bei jedem Rennen einen besseren Job. Nicks Ankunft war hingegen unerwartet, weil wir uns mit Antonio für 2005 bereits sicher fühlten."

Mit anderen Worten ausgedrückt: Pizzonia hatte das zweite Cockpit schon sicher – Doch dann kam Heidfeld und alles war wieder offen.

In ähnlicher Manier ging es dann auch im neuen Jahr im laut Heidfeld "wichtigsten Monat" seiner Karriere weiter, in welchem beide weitere Testfahrten in Jerez und Valencia absolvierten, wobei erstmal auch der Südamerikaner zweimal die bessere Platzierung in den Ergebnislisten für sich verbuchen durfte.

Das sagt Nick dazu

Beim letzten direkten Aufeinandertreffen der beiden Williams-Stammpilotenanwärter vor der anstehenden Teampräsentation am 31. Januar spulte Heidfeld am Mittwoch 109 Runden ab. Pizzonia kam auf 97 Umläufe. In der Zeitentabelle trennten die beiden Teamkollegen knapp drei Zehntel. Im von den Medien gerne hoch gespielten Shoot-Out lautete der Endstand somit nach sieben gemeinsamen Testtagen 5:2 für den Deutschen.

Der letzte Vergleich darf dabei allerdings zum ersten Mal als wirkliche Vergleichsgrundlage herangezogen werden, da beide Piloten am Morgen mit exakt dem gleichen Testprogramm sowie gleichen Spritmengen unterwegs waren. Während der Mann aus dem Amazonasgebiet die ersten drei Runs mit gut zwei Zehnteln Vorsprung als "Schnellster" abschloss, konterte der Deutsche danach mit der schnellsten Testzeit des Tages.

Entsprechend zufrieden zeigte sich Nick nach dem Test in Valencia. "Ich bin zufrieden mit meiner Arbeit für das Team", zog der Mönchengladbacher ein positives Fazit. "Tatsächlich bin ich mit all meinen Tests die ich seit Jerez im letzten Jahr gefahren bin glücklich. Ich habe mein Bestes gegeben und nun heißt es abzuwarten." Wie lange Nick auf den erlösenden Anruf warten muss, weiß allerdings auch er noch nicht: "Ich weiß es nicht. Ich werde einfach abwarten."

Das sagt Antonio dazu

Ebenfalls abwarten muss auch der zweite im Anwärterbunde, der an seinem letzten Testtag in Valencia noch einmal eine sieben Zehntel schnellere Zeit als der nicht mehr anwesende Heidfeld in den spanischen Asphalt brennen konnte. Ein Vergleich ist aufgrund des unterschiedlichen Testprogramms und der Reifenwahl aber nicht möglich.

Trotzdem sprach der Jungle Boy von einem "guten Tag": "Ich machte einen Long Run, bei welchem ich eine sehr gute Pace an den Tag legte. Ich hoffte meinen Streckenrekord zu brechen, aber es war dennoch ein guter Run. Ich glaube, dass heute ein besserer Tag war. Ich hoffe, dass alles gut werden wird, aber wir werden sehen."

Gedanken macht sich der viermalige Ralf Schumacher Ersatz des Vorjahres nicht: "Ich bin mir sicher, dass Frank genau weiß auf was er achten muss", gab Pizzonia Anfang Januar zu Protokoll. "Ich hatte nie die gleichen Streckenverhältnisse wie Nick. Ich hatte einige mechanische Probleme und wir hatten vollkommen unterschiedliche Testprogramme. Ich mache mir darüber überhaupt keine Gedanken, denn die Williams Leute wissen genau was los ist."

Das sagen die anderen dazu

Aber nicht nur die Williams-Leute wissen was los ist. Auch viele F1-Experten und Fahrerkollegen äußerten sich in den vergangenen Tagen und Wochen zum Dauerbrennerthema "Heidfeld vs. Pizzonia". So zum Beispiel der amtierende Weltmeister Michael Schumacher: "Ich glaube, dass er diese Möglichkeit erhalten sollte, denn er hat schon sehr oft bewiesen, dass er ein sehr talentiert Fahrer ist", unterstützte Schumacher seinen Landsmann. "Er hat sich im gleichen Auto wie sein Hauptgegner bewiesen, weswegen ich hoffe, dass sie die richtige Entscheidung treffen. Wenn sie das tun, dann sehe ich ihn als einen der Herausforderer für dieses Jahr an."

Schumachers Teamkollege Rubens Barrichello zeigte sich hingegen hin und her gerissen: "Ich glaube, dass Heidfeld ein sehr guter Fahrer ist", zollte der Brasilianer dem Deutschen Respekt. "Er verdient ganz sicher es in der Formel 1 zu sein. Wir haben gesehen wie er den F3000-Titel gewonnen hat, er ist ein guter Fahrer und er verhält sich auf der Strecke sehr gut, weswegen es gut ist ihn in der F1 zu haben. Auf der anderen Seite bin ich Brasilianer. Deswegen ist es schwierig zu sagen. Sie sind beide sehr talentiert. Deshalb hoffe ich, dass beide in der Formel 1 bleiben können."

Heidfelds Ex-Jordan-Teamkollege Giorgio Pantano sieht unterdessen erwartungsgemäß Nick im Vorteil. "Die Leute in der F1 haben noch nicht ganz verstanden wie viel Heidfeld wert ist", lobte der Italiener seinen Ex-Teampartner. "Ich habe sofort festgestellt, dass Nick superschnell ist, aber manche Leute haben ihn überraschend schon abgeschrieben. Und nun da er einen Williams fährt, ändern die Leute langsam wieder ihre Meinung."

Eddie Jordan war sich derweil schon immer darüber im Klaren: "Nick war super. Wenn Frank Williams ihn aus politischen Gründen nicht nimmt, weil er sich für Pizzonia entscheiden muss, werde ich mit Heidfeld reden. Als Testfahrer ist sein begnadetes Talent verschwendet."

Demzufolge sieht auch Niki Lauda den Deutschen als "sauschnell" an: "Sein Problem ist, dass er sich immer unter Wert verkauft! Der Bursche muss jetzt mal langsam den Mund aufmachen. Wenn BMW ihm das richtige Auto hinstellt, dann wird dieser Heidfeld Deutschlands neue Nummer zwei."

Eine Meinung mit der Lauda nicht alleine da steht. Denn auch Hans-Joachim Stuck ist von den Stärken des Mönchengladbachers überzeugt: "Ich traue Heidfeld zu, dass er die Kiste knackt! Dass er sogar zum großen Gewinner 2005 wird", prophezeite Strietzel dem Deutschen eine weiß-blaue Zukunft. "Denn auch wenn sich der Junge gerne zurückhaltend gibt – jeder in der Formel 1 weiß, wie gut er Auto fahren kann. Wie Heidfeld den Wackel-Jordan letztes Jahr über die Pisten manövrierte, verdient Riesen-Respekt. Im Vergleich zum BMW jetzt muss ihm der Jordan wie ein klappriger Trabbi vorgekommen sein."

Sollte die britisch-deutsche Allianz aus München und Grove dem Wahl-Schweizer ein konkurrenzfähiges Auto zur Verfügung stellen, dann erwartet Stuck Großes: "Wenn BMW und Partner Williams Heidfeld ein starkes Auto stellen, dann kann er es mit allen aufnehmen! Dann kann er auch Ferrari schlagen."

Das große Plus des Mönchengladbachers sieht Stuck in dessen Verkehrskenntnis: "Er kennt sich im "Verkehr" blendend aus. Die letzten Jahre kämpfte Heidfeld hinten im Feld Runde für Runde um Positionen – das ist die beste Schule für den Titelkampf. Wenn´s hart auf hart geht, bleibt Heidfeld cool. Also, ich habe Heidfeld dieses Jahr auf der Rechnung..."