Szenario 1: Fernando, Kimi is faster than you

Noch ist es nur eine witzige Aufschrift auf Fan-T-Shirts, doch 2014 könnte es für Alonso zur bitteren Realität werden: Sein Teamkollege bezwingt ihn regelmäßig. Zwei Jahre Rallye fahren haben Räikkönen fahrerisch noch besser gemacht. "Wir alle waren von seinem Comeback überrascht, er hat sich da richtig reingekniet. Er hat einen unglaublichen Speed und wird Alonso auf jeden Fall Druck machen", ist Alesi überzeugt. Bereits in den vergangenen zwei Jahren hat Räikkönen Alonso in einem Auto die Stirn geboten, für dessen Design und Weiterentwicklung nur halb so viel Geld ausgegeben wurde wie für den Ferrari.

Im nächsten Jahr sitzen sie im gleichen Auto und anders als Alonso, der alles um sich herum für sich beansprucht, ist Räikkönen einer, der einfach sagt: 'Gebt mir ein gutes Auto und ich mache meinen Job' - und seinen Job macht der 34-Jährige verdammt gut. Er mag zwar im Reden nicht der Schnellste sein, aber wenn er hinter dem Steuer sitzt, schaltet der Finne auf Attacke. Schon jetzt gilt der 34-Jährige als Überholkönig der Formel 1, allein in der ersten Saisonhälfte 2013 kam er auf stolze 43 Überholmanöver.

Fakten, die auch Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali nicht entgangen sind und ihn zu der Überzeugung gebracht haben, dass Räikkönen ein besserer Fahrer ist als Ende 2009, als er Ferrari verlassen musste, um für Alonso Platz zu machen. Fahrerisch als auch technisch bekommt Räikkönen nur Bestnoten, unter anderem vom Ex-Lotus- und Neo-Ferrari-Technikdirektor James Allison. Der frühere McLaren-Mechaniker Marc Priestley berichtet aus seiner gemeinsamen Zeit mit Räikkönen, dass das technische Niveau des Finnen entgegen der häufigen Kritik stets sehr hoch angesiedelt war.

"Kimi ist ein großartiger Kerl, es hat Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten. Das Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hat, entspricht in keiner Weise dem wahren Kimi Räikkönen. Er weiß, was er will und sagt das direkt, was meinen Job sehr einfach gemacht hat. Ich brauchte ihm nur das nötige Werkzeug zu geben und er ging raus und lieferte einen perfekten Job ab", erzählte Priestley. Die große Stärke des Finnen sei es, stets das Maximum aus dem Auto herauszuquetschen. "Als er bei McLaren fuhr, gab es einige Rennen, in denen er Ergebnisse holte, zu denen das Auto eigentlich gar nicht imstande war", erinnert sich Priestley. "Und fairerweise muss man sagen, dass er das auch bei Lotus gezeigt hat. Aus Teamsicht kann man nicht mehr verlangen."

Szenario 2: Feuer schlägt Eis

Kimi Räikkönen weiß, wie man mit Ferrari Titel gewinnt, Foto: FIA
Kimi Räikkönen weiß, wie man mit Ferrari Titel gewinnt, Foto: FIA

Der beste Fahrer seiner Generation - diesen Ruf besitzt Fernando Alonso seit mehreren Jahren. Vor allem für seine Racer-Fähigkeiten wird der zweifache Weltmeister im F1-Fahrerlager bewundert. Er bringt das Auto nicht nur ins Ziel, sondern nimmt stets wichtige Punkte mit - und das auf eine beeindruckende Art und Weise. "Fernando ist die beste Kombination aus Verstand und Talent. Alle Fahrer in der Formel 1 sind sehr gut, aber es geht darum, wie man seine Fähigkeiten am besten einsetzt. Alonso ist das beste Beispiel eines Fahrers, dem das regelmäßig gelingt", betont Sir Jackie Stewart im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin.

Allein sein fulminanter Start in Singapur, als Alonso mit einer perfekten Fahrzeugbeherrschung jede Lücke nutzte und sich von Startplatz sieben bis auf Rang drei nach vorne katapultierte, war für viele Experten einen Oscar wert. Vor Kimi Räikkönen müsse sich ein Fahrer seines Kalibers keineswegs fürchten, der Finne würde Alonso maximal noch in größere Höhen pushen. Gerade im Qualifying soll das Alonso Flügel verleihen, obwohl dies auch nicht gerade zu den Paradedisziplinen des Iceman zählt.

"Alonso ist der aggressivere Fahrer von beiden", betont Motorsport-Magazin-Experte Christian Danner. Ex-Formel-1-Fahrer Marc Surer fügt hinzu: "Fernando ist ein Fahrer, der es drauf ankommen lässt. Ich bin überzeugt, dass er sich gegen Räikkönen durchsetzen wird." Abgesehen von seinen fahrerischen Qualitäten besitzt der Spanier noch einen entscheidenden Vorteil - das Team.

"Das ist, wie wenn man über Jahre im gleichen Büro arbeitet. Man kennt alles, weiß, wo und zu wem man gehen muss, wo dies und das ist", sieht Mika Häkkinen den Spanier im internen Duell mit Räikkönen klar im Vorteil. "Man hat sich seine Beziehungen zu seinen Mitarbeitern aufgebaut, fühlt sich wohl und ziemlich stark. Für den Neuen ist es immer schwierig, akzeptiert zu werden. Dass Kimi schon einmal bei Ferrari war, ändert daran nichts - Alonso wird die Nase vorne haben."

Und sollte nach drei, vier Rennen der Frieden zwischen Alonso und Räikkönen schwinden, so kann sich Alonso auch trotz der kleinen Liebeskrise zur Mitte dieser Saison auf die Unterstützung des Teams verlassen. "Fernando ist bei Ferrari sehr stark verankert", weiß Johnny Herbert. "Das Team liebt ihn und macht alles für ihn." Erst recht, wenn er Rennen und Titel gewinnt. Dann vergisst auch Luca di Montezemolo schnell die eine oder andere unliebsame Aussage und schiebt sie Alonsos imaginärem Zwillingsbruder zu.

Szenario 3: Katastrophenalarm in Maranello

Bei Misserfolgen ist Feuer unterm Dach, Foto: Sutton
Bei Misserfolgen ist Feuer unterm Dach, Foto: Sutton

Die Glocken von Maranello sind zwar noch nicht ganz verstummt, doch sie läuten schon lange nicht mehr so häufig und in vierzehntäglicher Regelmäßigkeit wie zu Beginn dieses Jahrtausends. Im Gegenteil: die Tifosi wünschen sich von ihrem neuen dynamischen Duo ein regelrechtes Dauergebimmel. Doch statt Glocken könnten bald Sirenen ertönen. Das neue Traumpaar steckt voller Dynamit. "Erst nach der Hochzeit wird man sehen, was passiert", vergleicht Alesi. "Und manchmal dauert eine Ehe dann ja nicht lange." Die beiden schnellsten Wege zur Scheidung und der folgenden Naturkatastrophe sind schnell skizziert:

Variante A: 1. Räikkönen ist schneller als Alonso. 2. Alonso wird sauer. 3. Seine Psychospiele prallen am Iceman ab. 4. Explosion à la McLaren.
Variante B: 1. Alonso ist schneller als Räikkönen. 2. Alles läuft erst einmal gut. 3. Räikkönen hält sich nicht an Teamorder. 4. Explosion à la McLaren.

Vieles hängt also von Alonsos Reaktion auf Niederlagen ab. "Ich kenne Fernandos Vertrag nicht. Bei McLaren hatte er den Nr.-1-Status nie", sagt Johnny Herbert. "Würde sich Kimi darum scheren? Wahrscheinlich nicht. Er würde taub spielen und mit seiner Arbeit weiter machen." Räikkönen zählt ohnehin nicht zu den größten Amateurfunkern, das dürfte sich bei Funksprüchen à la 'Fernando is faster than you. Do you understand this message?' wohl kaum großartig ändern. "Er wird nicht aus dem Weg gehen", glaubt Martin Brundle. "Er wird antworten: 'Wenn er schneller ist, warum ist er dann hinter mir?'"

Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. In diesem Fall könnte das hilfreich sein. Wenn beide Fahrer so explosiv wie der Spanier wären, könnte Stefano Domenicali wohl jetzt schon einmal den Katastrophenschutz alarmieren. "Ihm kommt eine wichtige Aufgabe zu", glaubt Alesi. Der Teamchef müsse von Anfang an für klare Verhältnisse sorgen. "Kimis Seite wird dabei für ihn der einfachere Teil sein, Alonso wird begreifen müssen, dass sich die Dinge verändert haben." David Coulthard erwartet keine atomaren Explosionen in der Ferrari-Box.

"Warum es diesmal funktionieren wird, ist die Tatsache, dass beide Weltmeister sind", glaubt er. "Beide sind etwas älter geworden und sie wissen, wenn einer den anderen schlägt, bedeutet dies nicht, dass der eine schlechter und der andere besser ist. Niemand ist perfekt. Niemand kann immer gewinnen." Klingt, als ob die Katastrophe kurz vor dem Meteoriteneinschlag abgewendet werden konnte. Oder? "Fernando ist und bleibt Fernando", mahnt Herbert. "Er akzeptiert keinen Fahrer neben sich." Die Lunte brennt weiter...

Szenario 4: Der Alptraum geht weiter

Ferrari in der Saison 2014: Feuerwerk oder Alptraum?, Foto: Ferrari
Ferrari in der Saison 2014: Feuerwerk oder Alptraum?, Foto: Ferrari

Alptraum- oder Traumpaarung? Seit Bekanntwerden des Räikkönen-Deals beschäftigt diese Frage die Formel-1-Welt. Doch 2014 könnte diese Fragestellung schnell in den Hintergrund rücken, sollte sich die neue, rote Göttin abermals als nicht konkurrenzfähig erweisen. Ein Szenario, das Alain Prost nicht ausschließt. "Alle sprechen jetzt von der Rivalität zwischen Räikkönen und Alonso, aber ich sehe darin überhaupt kein Problem. In der Vergangenheit haben solche Rivalitäten zwischen zwei starken Persönlichkeiten durchaus erfolgreich funktioniert. Es liegt am Teammanagement, sicherzustellen, dass es funktioniert. Schwieriger wird es, wenn das Auto nicht konkurrenzfähig ist", erklärt der vierfache F1-Champion.

Das glaubt auch Ex-Ferrari-Pilot Rubens Barrichello, der dem Motorsport-Magazin verriet: "Es wird viel vom Auto abhängen, was im nächsten Jahr bei Ferrari passieren wird. Wenn Ferrari ein schlechtes Auto baut und Räikkönen/Alonso auf Platz acht oder neun herumfahren, dann wird von irgendwelchen Kämpfen zwischen den beiden kaum jemand etwas mitbekommen." Passend dazu verbreiteten die Gerüchteköche an verschiedenen Stellen des Fahrerlagers Wasserstandsmeldungen, wonach Ferrari beim neuen V6-Turbomotor gegen Mercedes und Renault ins Hintertreffen geraten sein soll. Sie stützen sich auf Sitzungen der Technischen Arbeitsgruppe, in denen die Roten mit den Benzin-Effizienz-Regeln nicht allzu glücklich gewesen sein sollen. Aber selbst wenn Ferrari in der kommenden Saison an der Spitze mitfahren sollte, sieht Danner in der Fahrerpaarung Räikkönen/Alonso einen Vorteil für Red Bull.

"Für Sebastian Vettel kann es gar nicht besser laufen. Selbst wenn Ferrari nächstes Jahr ein richtig gutes Auto baut, nehmen sich Räikkönen und Alonso im Titelkampf gegenseitig die Punkte weg." Ferrari könnte mit seiner Entscheidung also im schlimmsten Fall genau das Gegenteil, von dem erreichen, was sie eigentlich wollten - nämlich beide Weltmeisterschaften einzufahren. Und sollte tatsächlich wieder ein Red Bull 2014 ganz oben stehen, dann könnten sich sowohl Räikkönen als auch Alonso für einen allerletzten Neuanfang an anderer Stelle entscheiden.

"Für Kimi ist 2014 die letzte Chance, noch einmal Weltmeister zu werden und mal sehen, was Alonso macht, wenn er bei Ferrari nicht Weltmeister wird", warnt Danner. "Vielleicht geht er ja dahin zurück, wo er herkam." Honda soll bei McLaren, trotz schlechter Erfahrungen im ersten Anlauf, bereits erste Gedankenspiele in Gang gesetzt haben. McLaren & Alonso - Akt II? Rückholaktionen verlorener Söhne scheinen ja gerade in Mode zu sein. Und irgendwie wäre auch das: Feuer und Eis.

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