Das große Zeichenbrett, das Kurvenlineal, selbst Stift und Papier wirken wie Relikte aus einer längst vergangenen Designzeit. Es scheint fast so, als ob die Zeit in diesem Büro in Milton Keynes stehen geblieben wäre. Das Gegenteil ist der Fall: Auf diesem weißen Blatt Papier beginnt die Geschichte des schnellsten und besten Autos des Jahrgangs 2011. Der Eindruck sagt: Red Bull ist altmodisch, überholt, schlicht veraltet - aber keinesfalls verstaubt.

Während andere Teams Horden von Computerkids mit hochmodernen CAD-Systemen und den neusten digitalen Tools bewaffnen, zeichnet Adrian Newey noch selbst mit Stift und Bogenschablone - ein Gerät, das andernorts seit einem Vierteljahrhundert aus dem Designprozess verschwunden ist. Sobald eine Zeichnung das Büro verlässt, stürzen sich zwei bis drei Mitarbeiter darauf, den Entwurf am Computer in ein solides Oberflächenmodell umzuwandeln. Denn selbst Neweys Zeichenbrett-Romantik kennt ein Ende: "Eine Zeichnung ist heutzutage für niemanden mehr hilfreich", gesteht er. Die Erprobung im Windkanal, die Entwicklung via CFD, die Maschinen in der Herstellung - alles geschieht in der elektronischen Welt.

Nur Newey entzieht sich dieser bis heute erfolgreich. "Das Team hat sich an mich gewöhnt", sagt er lächelnd. Der Erfolg gibt ihm Recht: von Williams über McLaren bis zu Red Bull. Christian Danner erkennt einen roten Faden: "Wo Newey war, wurde das Team Weltmeister." Natürlich entwirft, baut und entwickelt Newey kein Auto im Alleingang - nicht umsonst besitzt Red Bull die wohl beste Technikerriege der Formel 1. "Aber der Grund dafür, dass dieses Team funktioniert", so Danner, "heißt einzig und allein Adrian Newey."

Ausgangspunkt

Der RB5 war das schnellste Auto Ende 2009, der RB6 war das schnellste Auto 2010 - der Speed wurde dem RB7 also in die Wiege gelegt. So begann die Saison 2011, wie die vorherige endete - mit einer überlegenen Performance von Red Bull. Doch wo Erfolg ist, sind die Neider nicht weit. Nach einer überlegenen Vorstellung in Australien wurden erneut Schummel-Vorwürfe gegen Red Bull und Adrian Newey laut. Speziell der sehr flexible Frontflügel war der Konkurrenz ein Dorn im Auge, doch Red Bull konnte die Kritik gelassen hinnehmen, immerhin bestand das Auto jeden verschärften Flexibilitätstest der FIA.

Innovationen

Vettel herzt den Vater des Erfolgs: Adrian Newey ist für Red Bull unersetzlich, Foto: Pirelli
Vettel herzt den Vater des Erfolgs: Adrian Newey ist für Red Bull unersetzlich, Foto: Pirelli

Formel-1-Teams sind selten sehr freizügig beim Einblick in ihre Geheimnisse. Red Bull trieb das Versteckspiel um die Kehrseite des RB7 allerdings auf die Spitze - die breiten Schultern der Mechaniker zeigten keinen Millimeter vom angeblasenen Diffusor freiwillig her. Der Grund: Newey perfektionierte das Konzept, die Auspuffgase zu nutzen, um mehr Abtrieb zu erzeugen. "Am Anfang des Jahres war Red Bull ganz klar vorne, weil sie die einzigen waren, die das Grundkonzept um den angeblasenen Diffusor so verstanden haben, dass er auch immer funktioniert hat, wenn sie es wollten - und nachhaltig einzusetzen war", erklärt Danner. "Die anderen haben länger gebraucht." Selbst die zwischenzeitliche Einschränkung des angeblasenen Diffusors änderte nichts an der Siegfähigkeit von Red Bull.

Speed

Es ist ein bekanntes Vorurteil: der Mercedes-Motor hat viel mehr PS als der Renault-V8. Danner hält dieses Argument für überbewertet - mehr als zehn PS betrage der Unterschied nicht. "Das macht vielleicht ein, zwei km/h aus - mehr nicht", glaubt er. Das A und O in Sachen Top-Speed ist die Aerodynamik, darauf ist der RB7 optimiert. "Es geht weniger darum, die Kühlung für den Motor zu perfektionieren, sondern um Auspuffkonfigurationen - typisch Ingenieur, alles rund um die Aerodynamik", sagt Alexander Wurz. Diese Herangehensweise brachte in der Vergangenheit einen Leistungskompromiss mit sich, den Newey in dieser Saison ausgleichen konnte, weil er nicht gegen Standfestigkeitsprobleme kämpfen musste.

Vettel und Webber fuhren der Konkurrenz 2011 teilweise auf und davon, Foto: Sutton
Vettel und Webber fuhren der Konkurrenz 2011 teilweise auf und davon, Foto: Sutton

Der RB7 ist auch auf Strecken konkurrenzfähig, auf denen seine Vorgänger nicht siegfähig waren - etwa Spa und Monza. Der Preis sind leichte Einbußen in der Domäne der bisherigen Newey-Autos: den schnellen Kurven. "Wenn du aber genügend Abtrieb durch den Unterboden erzeugst, hast du einen irrsinnigen Vorteil", erklärt Danner. "Durch den angeblasenen Diffusor entsteht viel Downforce an der Hinterachse, wodurch der Gesamtabtrieb nach hinten verschoben ist." Somit kann Red Bull beim selben Gesamtwert den Heckflügel flacher stellen.

Weiterentwicklung

Als Lewis Hamilton in China auf dem Siegerpodest stand, schrillten bei vielen die Alarmglocken. Denn in der F1 ist nichts von Dauer. Wer nicht weiterentwickelt, gerät schnell ins Hintertreffen. Red Bull ruhte sich nicht auf den Lorbeeren von fünf Siegen in den ersten sechs Rennen aus. Zwar konnten McLaren und Ferrari im Laufe der Saison den Abstand verringern und das eine oder andere Rennen gewinnen, doch der RB7 blieb dank konstantem Update-Nachschub der unangefochtene Platzhirsch.

Zuverlässigkeit

Der überlegene Speed des RB7 wird nur durch eins übertroffen - die Zuverlässigkeit. "Es ist unglaublich, wie zuverlässig sie geworden sind", sagt Surer. "Das war in den letzten beiden Jahren ihr Schwachpunkt, der zu kritischen Situationen geführt hat." Bis Monza sahen Vettel und Mark Webber in jedem Rennen die Ziellinie - mit Ausnahme von Italien. Dort ließ Webber allerdings nicht die Technik im Stich, sondern das Glück, als er mit Felipe Massa in der ersten Schikane kollidierte. Doch jeder Superheld hat eine Schwachstelle.

Die Achillesferse des RB7 trägt den Namen KERS. So sicher wie Vettel in der ersten Saisonhälfte von Sieg zu Sieg eilte, so sicher streikte an mindestens einem Red-Bull-Boliden die Energierückgewinnung. Newey führt dafür zwei Gründe an: erstens fehlt dem Team die Hybrid-Erfahrung aus der ersten KERS-Saison 2009 (damals waren Brawn und Red Bull auch ohne KERS schneller als alle anderen) und zweitens besitzt Red Bull auf diesem Gebiet viel geringere Ressourcen als die Automobilhersteller.

Die Analyse des RB7 stammt aus der Printausgabe des Motorsport-Magazins. Mehr Technikhintergründe, Interviews und Reportagen lesen Sie im Motorsport-Magazin - im gut sortierten Zeitschriftenhandel oder am besten direkt online zum Vorzugspreis bestellen: