Die Class 1 vor ihrem letzten Tanz: Bei noch zwei Rennen kommen die Turbo-Autos in der DTM zum Einsatz, bevor sie in Hersteller-Museen oder die Hände zahlungskräftiger Käufer wandern. Die siebte Technik-Generation der über 30-jährigen DTM-Geschichte hatte ein kurzes Ablaufdatum. In nur zwei Saisons respektive 36 Rennen inklusive des bevorstehenden Finales auf dem Hockenheimring (06.-08. November 2020) drehten sie ihre Runden.

"Ich bin unglücklich und enttäuscht darüber, dass Audi den Stecker zieht", sagte zuletzt der ebenfalls scheidende BMW-Motorsportdirektor Jens Marquardt. "Die Class hatte das beste Reglement. Auch in der LMDh-Klasse und in der Formel E kommen viele Einheitsbauteile zum Einsatz. Das zeigt, dass dies der richtige Weg ist. Es ist nur schade, dass wir als Hersteller - erst Daimler, dann Audi - keinen ausreichenden Atem hatten."

Während die Ankündigung von Audi am 27. April 2020, das Engagement in der DTM nicht zu verlängern, bei allen Diskussionen im Mittelpunkt steht, war der Tod der DTM in ihrer aktuellen Form tatsächlich ein über Jahre hinweg schleichender Prozess.

Dass zu Jahresbeginn der Schweizer Rennstall R-Motorsport nach nur einer Saison mit den Aston Martin Vantage ausstieg, spielt dabei nicht so sehr ins Gewicht. "Ein Schönheitsfehler", schoss einst der bald alleinige ITR-Chef Gerhard Berger hinterher. Der Österreicher sollte nur wenige Monate später mit dem Audi-Beben ein weiteres Mal negativ überrascht werden.

Audi: Positive Signale bis zum Beben

Dabei erhielt Berger nur zehn Tage vor der Audi-Ausstiegsankündigung sogar noch positive Signale aus Ingolstadt, dass es in der Tourenwagenserie weitergehen könnte. "Noch vor wenigen Wochen hat der Vorstand mit mir über ein Fünf-Jahres-Szenario in der DTM gesprochen", bestätigte der frühere Formel-1-Fahrer im Juni dieses Jahres. Die Entscheidung würde mit dem frisch eingesetzten Audi-Vorstand Markus Duesmann fallen, wusste Berger schon viel länger. Dessen Wahl ist bekannt, Audi engagiert sich 2021 nur noch in der Formel E werksseitig.

Durch den Ausstieg der Ingolstädter fiel der Langzeitplan für die DTM wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Dabei klang die Zukunft verheißungsvoll: Es war vorgesehen, ab 2022 mit einheitlichen Hybridsystemen und danach folgend umweltverträglichen Kraftstoffen anzutreten. Zudem hatten sich die Hersteller darauf geeinigt, ab 2025 auf eine reinelektrische Tourenwagenserie umzusteigen. Dieser Plan war allerdings noch nicht ganz so weit fortgeschritten, wie es BMW im Anschluss mehrfach öffentlich kommunizierte.

Neue GT3-Autos: Wie sieht die Zukunft der DTM aus?: (11:58 Min.)

Die Sache mit der Super GT

Ein Austausch mit der strauchelnden IMSA-Rennserie in den USA über ein Technisches Reglement und ein einheitliches Hybridsystem ist verbrieft. Und es grenzt an ein kleines Wunder, dass die japanischen Vertreter der Super GT einen derart langen Atem in der Kooperation mit der DTM bewiesen. Nicht nur einmal wurden sie hingehalten, letztendlich blieb es trotz ähnlicher Reglements bei einem Show-Event Ende 2019 in Fuji.

"Vielleicht ist es nur mein Wunschdenken, aber die Class 1 bleibt weiter auf dem Radar, das ist ein fantastisches Reglement", sagte Berger. "Ich werde es ungern aufgeben, aber der Fokus liegt auf den neuen Regeln." Ein Austausch zwischen Rennwagen der DTM und der Super GT scheiterte aufgrund der Kosten und auch der Plan, eine internationale Meisterschaft unter dem Namen 'Series One' mit Vertretern beider Serien in den Wintermonaten auszutragen, ging in Rauch auf.

Dream Race in Fuji: Der Traum gemeinsamer Rennen ist geplatzt, Foto: BMW Motorsport
Dream Race in Fuji: Der Traum gemeinsamer Rennen ist geplatzt, Foto: BMW Motorsport

Mercedes setzte 2015 den ersten Spatenstich

Die Class 1 scheiterte letztendlich an den Kosten und der misslungenen Suche nach weiteren Herstellern, um ein stabiles ITR-Gerüst aufzubauen. Dabei spielten auch jahrelange Verzögerungen eine gewichte Rolle, wie sich rückblickend feststellen lässt. Audi weist die Rolle des Totengräbers energisch von sich - den ersten Spatenstich setzte tatsächlich Mercedes noch weit vor dem Ausstieg Ende 2018.

Denn: Die zukunftsträchtigen Maßnahmen mit Hybrid, E-Fuel und Elektro-Antrieb hätten unter anderen Umständen wesentlich früher umgesetzt werden können. Eigentlich wurde schon im Jahr 2014 beschlossen, die aktuellen Turbo-Motoren zur Saison 2017 einzuführen. Dieser Schritt hätte den Weg hin zu Hybrid und Elektro um mindestens zwei Jahre beschleunigt. Die Formel 1 fährt bereits seit 2014 mit einem aufwendigen Hybridsystem.

Mercedes tritt auf die Bremse

Doch im Herbst 2015 stieg Mercedes auf die Bremse und erwirkte einen Aufschub der DTM-Turbo-Generation auf das Jahr 2019. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich jedoch nicht angedeutet, dass der Autobauer aus Stuttgart 2017 seinen DTM-Ausstieg ankündigen würde. "Einer war gegen die Einführung 2017 - ausgerechnet der, der zur Einführung 2019 die Szene verlässt", sagte einst der ehemalige Audi-Sportchef Wolfgang Ullrich.

Wie ein Insider bei Motorsport-Magazin.com berichtet, sei damals die Entscheidung von Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff vorausgegangen, dass der DTM-Turbo-Motor nicht bei HWA in Affalterbach, sondern stattdessen in Großbritannien entwickelt werden soll. Dabei sei eine hohe zweistellige Millionensumme verbrannt und schließlich eine Verschiebung auf 2019 erwirkt worden, der Audi und BMW nur zähneknirschend zustimmten. Der Motor, der 2019 in den Aston Martin von R-Motorsport werkelte, war schließlich eine HWA-Entwicklung.

Der Audi-Motor drehte viele Runden auf dem Prüfstand, Foto: Audi Communications Motorsport
Der Audi-Motor drehte viele Runden auf dem Prüfstand, Foto: Audi Communications Motorsport

Turbo schon 2015 auf dem Prüfstand

Dabei wäre der Zwei-Liter-Motor wesentlich früher für den Renneinsatz bereit gewesen. Schon im Dezember 2015 lief ein Turbo-Aggregat auf dem Audi-Prüfstand. Nach einer Zwangs-Entwicklungspause im darauffolgenden Jahr setzten die Ingenieure ihre Arbeit fort. Etwa zweieinhalb Jahre Entwicklungszeit standen bei Audi zu Buche. Rund 1.000 Stunden hat der Motor vor dem ersten Renneinsatz auf dem Prüfstand seine Runden gedreht.

Zumindest haben sich die Ausgaben gelohnt. Audi dominierte die beiden Jahre der Class-1-Ära nach Belieben. Lange vor dem diesjährigen Hockenheim-Finale entschied Audi die Hersteller-, Team- und Fahrerwertung für sich. Damit gehen alle sechs Class-1-Meisterschaften seit 2019 auf das Konto der Audianer. Die Class-1-DTM war effektiv der spannendste Markenpokal der Welt. Die drückende Überlegenheit in Zahlen ausgedrückt:

DTM unter Class 1: Audi und BMW im Vergleich

StatistikAudiBMW
Siege 2020142
Siege seit 2019268
Podestplätze 2020399
Podestplätze seit 20197923
Pole Positions 2020151
Pole Positions seit 2019277
Führungsrunden 202052848
Führungsrunden seit 2019976292
Punkte 20201.102469
Punkte seit 20192.2341.019