Seit Jahren hatte sich der Transfer angedeutet, 2026 wird er endlich Realität: Toprak Razgatlioglu verlässt die Superbike-Weltmeisterschaft und wechselt ins MotoGP-Paddock. Dort hat der zweifache WorldSBK-Champion einen Vertrag beim Yamaha-Kundenteam Pramac Racing unterzeichnet. Es ist aber wahrlich nicht das erste Mal, dass ein Superstar der WSBK sein Glück in der Königsklasse auf zwei Rädern versucht. Im Gegenteil: Speziell in den 2000er-Jahren siedelte so mancher Spitzenpiloten der Superbike-WM in die MotoGP über. Nicht jeder hinterließ bleibenden Eindruck, Motorsport-Magazin.com blickt zurück:
Colin Edwards und Troy Bayliss: Superbike-Vorreiter in der MotoGP
Zu Beginn der zweiten Saison ihrer Geschichte durfte die MotoGP gleich zwei Superbike-Stars neu in ihrem Paddock begrüßen. Mit Colin Edwards (2000, 2002) und Troy Bayliss (2001) kamen jene beiden Piloten, die die letzten drei Weltmeisterschaften der WorldSBK gewonnen hatten. Entsprechend groß waren die Erwartungen an das Duo, das bei Aprilia (Edwards) und Ducati (Bayliss) auch direkt in Werksteams unterschrieben hatte. So sehr sich die beiden während ihrer Superbike-Zeit auch auf Augenhöhe bewegt hatten, so unterschiedlich sollten ihre MotoGP-Karrieren jedoch verlaufen.
Edwards auf der einen Seite beeindruckte in seiner Rookie-Saison mit Aprilia so sehr, dass ihn gleich zur Saison 2004 das Topteam Gresini-Honda unter Vertrag nahm. Dort bewegte sich Edwards zwar nicht auf dem Niveau seines Teamkollegen Sete Gibernau, holte aber immerhin seine ersten zwei MotoGP-Podien und dank herausragender Konstanz auch WM-Rang fünf. Es folgten drei Jahre im Yamaha-Werksteam an der Seite von Valentino Rossi, ehe er zwischen 2008 und 2011 noch vier Jahre die Speerspitze bei Tech3 bildete und seine Karriere ab 2012 bei Forward ausklingen ließ. Zum MotoGP-Sieg reichte es zwar nie, 196 Grand-Prix-Starts und zwölf Podien können sich aber dennoch sehen lassen.
Bayliss wiederum stand in seinen zwei MotoGP-Jahren bei Ducati stets im Schatten von Teamkollege Loris Capirossi. Holte er 2003 noch drei Podien und einen ordentlichen WM-Rang sechs, war die Saison 2004 von zahlreichen Stürzen und Ausfällen geprägt. 71 Punkte und WM-Rang 14 waren deutlich zu wenig, um sich für einen Verbleib in Borgo Panigale zu empfehlen. Im Folgejahr wagte Bayliss daher bei Pons-Honda nochmal einen Anlauf in der MotoGP, doch auch dieser scheiterte krachend: Nach lediglich elf Grands Prix wurde die Partnerschaft vorzeitig beendet. 2006 kehrte Bayliss daraufhin mit Ducati in die Superbike-WM zurück und wurde prompt nochmal Weltmeister. Zur Belohnung durfte der Australier beim Saisonfinale in Valencia ein letztes Mal in der MotoGP ran, als Ersatz für den verletzten Gibernau. Er siegte sensationell und ließ seine Zeit in der Königsklasse somit doch noch halbwegs versöhnlich enden. Mehr dazu hier:
Das erste große Missverständnis: Neil Hodgson scheitert kläglich
Nachdem Edwards und Bayliss die Superbike-WM Ende 2002 verlassen hatten, nutzte Neil Hodgson das Machtvakuum und krönte sich 2003 mit 13 Saisonsiegen - davon neun in Serie - zum neuen Champion der WSBK. Daraufhin wagte auch der Brite im stolzen Alter von 30 Jahren den Schritt in die MotoGP. Er unterzeichnete gemeinsam mit WSBK-Vizeweltmeister Ruben Xaus beim neuen Ducati-Kundenteam Pramac, hatte dort aber große Anpassungsschwierigkeiten. Während Xaus das Jahr sogar als zweitbeste Ducati hinter Werkspilot Capirossi abschloss und einmal auf das Podium fuhr, holte Hodgson nur 38 Punkte. Nach nur einer Saison war das MotoGP-Abenteuer damit schon wieder vorbei, es ging weiter in die Amerikanische Superbike-Meisterschaft AMA.

Stark begonnen, stark nachgelassen: James Toseland enttäuscht
Nach dem Fiasko mit Hodgson und Bayliss verzichteten MotoGP-Teams einige Zeit auf Experimente mit Superbike-Piloten. Zur Saison 2008 zeigte sich Tech3-Teambesitzer Herve Poncharal aber wieder bereit, einen Starfahrer aus der WorldSBK ins MotoGP-Paddock zu holen: James Toseland. Der Mann aus Doncaster hatte sich zuvor fünf Jahre lang im Spitzenfeld der Superbike-WM etabliert, gewann 2007 seine zweite Weltmeisterschaft. Rein auf dem Papier sollte der Brite also bereit für den Schritt in die Königsklasse sein.
Und tatsächlich: Toseland legte mit Platz zwei im Qualifying und Rang sechs im Grand Prix bei seinem Debüt in Katar auch gleich eindrucksvoll los. Das Problem: Es sollte das höchste der Gefühle bleiben. Fünf weitere Top-Sechs-Ergebnisse wechselten sich mit zahlreichen Resultaten außerhalb der Top-10 ab, die Inkostanz war das größte Problem. 2009 wurden von Toseland daher konstantere Topleistungen erwartet, setzten aber nie ein. Auch ein umstrittener Crewchief-Tausch mit Teamkollege Edwards brachte nicht den erhofften Aufschwung, weshalb Tech3 Ende 2009 den Schlussstrich zog und Toseland zurück in die Superbike-WM schickte, wo er allerdings nie mehr an alte Erfolge anknüpfen konnte.

Kurzes Vergnügen: Ben Spies erobert MotoGP im Sturm
Von den Erfahrungen mit Toseland offenbar nicht abgeschreckt, verpflichtete Poncharal zur Saison 2010 als Nachfolger des Briten erneut einen Starfahrer aus Superbike-WM. Diesmal kam der amtierende WSBK-Champion Ben Spies, der zuvor auch schon drei Titel in der amerikanischen Superbike-Serie gewonnen und Ende 2009 bei einem Wildcardeinsatz für Yamaha (P7) überzeugt hatte. Der Poker sollte aufgehen: Wann immer Spies ins Ziel kam, schnitt er nie schlechter als Platz acht ab und holte sogar zwei Podiumsplatzierungen. WM-Rang sechs brachte ihm die Beförderung ins Yamaha-Werksteam ein, wo er 2011 seinen ersten MotoGP-Sieg holen sollte. Es blieb allerdings auch der einzige, denn infolge einer verletzungsgeplagten Saison musste Spies seine Karriere Ende 2013 bereits im jungen Alter von 29 Jahren beenden.

Das letzte Superbike-Experiment: Cal Crutchlow wird zum MotoGP-Star
Weil das Wagnis mit Spies so gut funktioniert hatte, schnappte sich das Tech3-Team um Gründer Poncharal 2011 als Nachfolger für den US-Amerikaner direkt nochmal einen WorldSBK-Star: Cal Crutchlow. Die britische WM-Hoffnung konnte zwar keinen Titelgewinn in der WSBK vorweisen, dafür aber drei Rennsiege und einen unbändigen Willen. Sich von einem durchwachsenen Rookiejahr nicht aus der Fassung bringen lassend, startete Crutchlow 2012 dann eindrucksvoll in der MotoGP durch und holte bis Saisonende 2013 sechs Podien für Tech3. Ducati schnappte daraufhin zu, doch das Kapitel in Rot sollte zur Vollkatastrophe werden.
Trotz gültigem Vertrag für die Saison 2015 trennte man sich schon Ende 2014 wieder, Crutchlow heuerte bei LCR Honda an - und fand dort sein Glück. Im Rennstall von Lucio Cecchinello blühte die Startnummer 35 so richtig auf, fuhr fünf Jahre in Folge in die Top-Neun der Weltmeisterschaft und gewann zwischen 2016 und 2018 auch drei Rennen in der Königsklasse, mehr als jeder andere Ex-Superbike-Star. Nach 179 MotoGP-Starts beendete Crutchlow mit Saisonende 2020 seine Karriere als aktiver Rennfahrer, arbeitet seither als Testfahrer für Yamaha.

Ob Razgatlioglu die drei Grand-Prix-Siege von Crutchlow eines Tages überbieten kann? Wir werden es gespannt verfolgen. Was meint ihr: Wird 'El Turco' die Königsklasse im Sturm erobert oder scheitern? Sagt uns eure Meinung in den Kommentaren!
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