Exakt die Hälfte der MotoGP-Saison 2024 ist mit 10 von 20 Rennen absolviert. Der Kampf um die Weltmeisterschaft erweist sich bisher als enge Angelegenheit. Jorge Martin (241) führt mit nur drei Punkten vor Titelverteidiger Francesco Bagnaia (238). Blicken wir jedoch in die Statistik der Historie der Königklasse, so können wir Martin fast schon zum Titel gratulieren. Nun ja, nicht ganz.

Überwältigende Mehrheit der MotoGP-Halbzeitführenden zieht durch

Das Studium der Vergangenheit zeigt ein eindeutiges Bild. Seit dem Debüt der modernen Motorrad-WM unter dem Namen MotoGP im Jahre 2002 hat der Halbzeitführende der WM in 18 von 22 Fällen auch den Weltmeistertitel nach Hause gefahren. So gesehen stehen Martins Titelchancen also bei knapp 82%. Außerdem: Nur in 5 dieser 18 Saisons konnte die Konkurrenz in Hälfte Zwei noch Punkte aufholen. Ansonsten baute der spätere Weltmeister den Vorsprung sogar noch aus. Doch es gibt eben auch noch die vier Ausnahmen.

MotoGP-Halbzeitführende und Endstand seit 2002

JahrHalbzeitführenderVorsprung auf 2tenWeltmeisterVorsprung auf 2ten
2002Valentino Rossi87Valentino Rossi140
2003Valentino Rossi34Valentino Rossi80
2004Valentino Rossi1Valentino Rossi47
2005Valentino Rossi79Valentino Rossi147
2006Nicky Hayden42Nicky Hayden5
2007Casey Stoner21Casey Stoner125
2008Dani Pedrosa4Valentino Rossi93
2009Valentino Rossi9Valentino Rossi45
2010Jorge Lorenzo72Jorge Lorenzo138
2011Casey Stoner13Casey Stoner90
2012Jorge Lorenzo19Jorge Lorenzo18
2013Marc Marquez16Marc Marquez4
2014Marc Marquez77Marc Marquez67
2015Valentino Rossi13Jorge Lorenzo5
2016Marc Marquez48Marc Marquez49
2017Marc Marquez5Marc Marquez37
2018Marc Marquez46Marc Marquez76
2019Marc Marquez58Marc Marquez151
2020Andrea Dovizioso1Joan Mir13
2021Fabio Quartararo34Fabio Quartararo26
2022Fabio Quartararo34Francesco Bagnaia17
2023Francesco Bagnaia62Francesco Bagnaia39
2024Jorge Martin3??

Drei der Vier Ausnahmen mit kleinem Rückstand zur Halbzeit

Den ersten Fall finden wir 2008, als nach der Dutch TT noch Dani Pedrosa 4 Punkten vor Valentino Rossi führte. Am Ende sicherte sich der Italiener souverän den Titel und sein Gegner war dabei vielmehr Casey Stoner als der Spanier auf der Honda.

2015 führte Rossi die Meisterschaft nach 9 von 18 Rennen mit 179 Zählern an. Sein Yamaha-Teamkollege Jorge Lorenzo lag 13 Punkte zurück und wurde am Ende doch noch zum dritten und letzten Mal Weltmeister der Königsklasse. Die Umstände dabei wollen wir an dieser Stelle aber nicht zum 100ten Mal durchkauen.

Jorge Lorenzo fing Valentino Rossi noch ab, Foto: Milagro
Jorge Lorenzo fing Valentino Rossi noch ab, Foto: Milagro

2020 war das wohl engste WM-Jahr überhaupt. In der verkürzten Corona-Saison lag zur Halbzeit Andrea Dovizioso mit nur einem Zähler vor den punktgleichen Fabio Quatararo und Maverick Vinales. Der spätere Weltmeister Joan Mir war mit 4 Punkten Rückstand auf Rang vier der Wertung allerdings schon sehr nah dran.

Francesco Bagnaia 2022 mit Mega-Comeback

Den mit Abstand beeindruckendsten Fall einer Aufholjagd zeigte ausgerechnet Martins Titelrivale Bagnaia. In der Saison 2022 lag der Turiner nach 10 von 20 Rennen unfassbare 91 Punkte hinter Titelverteidiger Fabio Quartararo, was gleichbedeutend mit dem größten jemals aufgeholten Rückstand der Geschichte (auch zu 500ccm-Zeiten) ist. Nach dem Rennen am Sachsenring lag 'Pecco' sogar nur auf Rang sechs der Wertung, legte an den nächsten vier Wochenenden aber gleich einmal vier Siege ins Serie hin. Am Ende holte sich der Turiner mit 17 Zählern Vorsprung seinen ersten Titel. Insgesamt holte er in den abschließenden 10 Rennen des Jahres also 110 Punkte mehr als sein französischer Rivale.

Francesco Bagnaia schlug Fabio Quartararo trotz Rekordrückstandes, Foto: LAT Images
Francesco Bagnaia schlug Fabio Quartararo trotz Rekordrückstandes, Foto: LAT Images

Situation von 2024 nicht mit Bagnaias erstem Coup vergleichbar

Bagnaia hat es also schon einmal vorgemacht, wie es geht. Und damals hatte er 88 Punkte Rückstand mehr. Dennoch können wir Martin beruhigen, denn die Situation ist mit der von vor zwei Jahren nicht vergleichbar. Damals startete Ducati mit einem hochentwickelten, aber noch nicht ausgereiften Motorrad in die Saison. Während Quartararo konstant punktete, stürzte Bagnaia oder hatte schwierige Wochenenden. Erst als die GP22 aussortiert war, legte der Italiener richtig los. Ab diesem Zeitpunkt war seine Maschine dann aber auch technisch klar überlegen.

Martin und Bagnaia fahren dasselbe Motorrad, Foto: LAT Images
Martin und Bagnaia fahren dasselbe Motorrad, Foto: LAT Images

Für die diesjährige Saison gilt das nicht. Martin und Bagnaia fahren - wenn auch in unterschiedlichen Teams - das identische Material. Außerdem gibt es einen weiteren Unterschied, denn seit 2023 gibt es ja auch die Sprints. Und diese sprechen für Martin, der der unumstrittene König der neuen Disziplin ist. 86 Punkte holte der Spanier 2024 bereits am Samstag. Da kann sein italienischer Rivale mit 45 Zählern nicht ansatzweise mithalten. Auf der anderen Seite könnte Bagnaia der erste MotoGP-Pilot werden, der einen Rückstand zur Halbzeit zweimal gedreht hat.

Und vielleicht mischt da ja auch noch ein Dritter mit? Enea Bastianini überzeugte zuletzt mit einem perfekten Wochenende in Silverstone. Wir haben uns seine WM-Chancen angesehen: