Nach einer wahren Horror-Serie im Vorjahr war die MotoGP in der Saison 2024 erstaunlich lange ohne größere Stürze und Verletzungen ausgekommen. Erst bei der Dutch TT vergangene Woche hatten sich mit Alex Rins, Aleix Espargaro und Wildcard-Pilot Lorenzo Savadori die ersten Piloten verletzt. Während Rins daraufhin gar nicht erst zum Deutschland Grand Prix am Sachsenring anreiste, musste Espargaro schon nach drei Runden im FP1 wieder zurückziehen. Dass sich das MotoGP-Fahrerfeld am Freitag nicht noch weiter ausdünnte, war wohl einzig viel Glück zu verdanken.

Denn die zahlreichen deutschen Fans auf den Tribünen des Sachsenrings bekamen während der beiden Trainings am Freitag insgesamt 12 Stürze zu sehen - ein neuer Höchstwert in der laufenden Saison für einen einzigen Tag. Waren Marc Marquez und Pedro Acosta in FP1 noch recht glimpflich davongekommen, endeten die Abflüge im Nachmittagstraining für viele Piloten deutlich schmerzhafter. Den Anfang machte Marco Bezzecchi in der berüchtigten Wasserfall-Kurve Turn 11, nur wenige Augenblicke später gefolgt von einem weiteren Marquez-Crash. Während Bezzecchi die Session dennoch zu Ende fuhr, zog Marquez nach einem kurzen Outing frühzeitig den Stecker und begab sich zu Checks in das Medical Center. Dort offenbarte sich ein Bruch des linken Zeigefingers und eine schwere Prellung im Bereich des Brustkorbs.

Kauft Lewis Hamilton das Gresini-MotoGP-Team? Das sagt er! (07:22 Min.)

Fabio Di Giannantonio sorgt für Rotphase: VR46-Pilot bleibt unverletzt

Es folgte ein heftiger Crash von Fabio Di Giannantonio in Kurve 1. Der Italiener hielt sich sofort den rechten Oberarm, weshalb eine Schulterverletzung befürchtet werden musste. Schon nach kurzer Zeit konnte jedoch Entwarnung gegeben und Di Giannantonio nach der Rotphase, die auf seinen Sturz folgte, um den beschädigten Airfence auszutauschen, sogar selbst nochmal mitmischen. Kurz nach Wiederbeginn stürzten dann Takaaki Nakagami, Joan Mir und Pedro Acosta ebenfalls in Turn 1 sowie Augusto Fernandez in Turn 3. In der Schlussphase erwischte es schließlich noch Enea Bastianini in Kurve 11 sowie Remy Gardner und Johann Zarco in Turn 13.

Letztere beiden bildeten damit eine Ausnahme, denn sie waren die einzigen Opfer einer Linkskurve. Alle anderen zehn Stürze passierten in den auf dem Sachsenring gefürchteten Rechtskurven. Warum dem so ist? Ganz einfach: Die deutsche Kultstrecke besteht nur aus drei Rechtskurven und zehn Linkskurven, zwischen T3 und T11 geht es sogar siebenmal in Folge nur linksherum. Das sorgt dafür, dass die rechte Reifenflanke auskühlt und in den wenigen Rechtsknicken T1, T3 und T11 nur schwierigem im Arbeitsfenster zu halten ist. Doch das ist ein altbekanntes Problem. Warum war es 2024 so viel schlimmer?

Sturz von Pedro Acosta im Training am Sachsenring
Pedro Acosta stürzte in der Rechtskurve Turn 1, Foto: Tobias Linke

Niedrige Temperaturen am Sachsenring bereiten MotoGP-Stars Probleme

Hierfür sind wohl zwei Aspekte ausschlaggebend. Zum einen sind das die diesjährigen Wetterbedingungen auf dem Sachsenring, die vom Sonnenschein der vergangenen Jahre weit entfernt waren. Ein stark bewölkter Himmel sorgte während den MotoGP-Sessions für kühle Temperaturen im Bereich von 20 Grad in der Luft und lediglich 26 Grad am Asphalt. "Ich habe etwas härter gebremst als in der Runde zuvor. Ich konnte noch nicht in die Daten schauen, aber es sieht definitiv so aus, als wäre der Reifen etwas zu kühl dafür gewesen", berichtete Di Giannatonio in seiner Medienrunde.

"Es ist sehr schwierig, in diesen Bedingungen Temperatur in die Reifen zu bekommen", stimmt Francesco Bagnaia zu und ergänzt: "Der Wind hat auch nicht geholfen." Über den gesamten Tag hinweg hatten heftige Böen aus dem Nordosten über den Sachsenring geblasen. Das brachte die Piloten zusätzlich in die Bredoullie. "Der Soft ist zu weich für längere Runs. Im Sprint und Rennen musst du den Medium oder sogar den Hard nehmen. Das ist bei diesen Temperaturen aber gefährlich", berichtet Augusto Fernandez.

MotoGP-Piloten erkennen: Michelin-Hinterreifen bietet zu viel Grip

Beim zweiten Aspekt handelt es sich um etwas, mit dem MotoGP-Fans wohl eher nicht gerechnet hätten: Der neue Hinterreifen von Einheitshersteller Michelin. "Ich habe das Gefühl, dass der Reargrip mit den neuen Reifen sehr hoch ist. Das pusht die Front nach vorne. Es war davor schon kritisch, jetzt ist es noch extremer geworden", erklärte Bagnaia am Freitagabend auf die zahlreichen Stürze in Kurve 1 angesprochen. "Du bremst dort sehr hart. Dann gibt es diese Momente, in denen das Heck durch den hügeligen Verlauf der Strecke abhebt. Sobald es wieder runterkommt, musst du noch härter bremsen. Dadurch kann die Front dann blockieren."

Ein Phänomen, welches am Freitag zumindest Marco Bezzecchi zu Sturz brachte. "Ich fühle das nicht nur in Turn 11, ich fühle das auf jeder Strecke in jeder Kurve. Für mich hat der neue Hinterreifen zu viel Grip. Ich zerstöre die Front dadurch in jeder Session. Sobald ich eingelenkt habe, habe ich die Front verloren", verkündete der VR6-Pilot in seiner Medienrunde.

Hatte Michelin zuletzt noch viel Lob für die neue Reifenmischung erhalten, scheint sich das Blatt so langsam also wieder zu wenden. Denn die Franzosen stehen auch weiterhin aus einem anderen Grund im Mittelpunkt von Kritik. Alle Infos dazu gibt es hier: