MSM: Fabio, wir sprechen in der MotoGP oft über Details, über Millimeter, über Tausendstelsekunden. Lass uns heute doch mal mit dem großen Ganzen beginnen. Warum fährst du Motorradrennen? Was ist dein Antrieb? Das Siegen? Das Motorradfahren an sich? Die Chance, dir selbst oder anderen Menschen etwas zu beweisen?
FABIO QUARTARARO: Ich liebe am Rennfahren vor allem die Siege und die Motorräder selbst. Das wären dann also wohl die ersten beiden Punkte. Seit ich im Alter von vier Jahren mit diesem Sport begonnen habe, liebe ich Racing. Daran hat sich mit der Zeit und dem Wechsel in unterschiedliche Klassen nie etwas geändert. Die MotoGP ist aber natürlich etwas ganz Besonderes. Vor allem, wenn du auch noch erfolgreich bist. Rennfahren ist meine Leidenschaft, aber ich bin generell auch ein wahnsinnig ehrgeiziger Typ. Egal ob ich Playstation oder Karten spiele - ich will immer gewinnen. Das ist einfach Teil meines Lebens. Ich bin ständig im Wettkampfmodus.

Du befindest dich noch in einer frühen Phase deiner Karriere und hast hoffentlich noch viele Jahre in der MotoGP vor dir. Eines Tages wird aber auch für dich das Ende als Aktiver kommen. Wie würdest du als Rennfahrer den Leuten gerne in Erinnerung bleiben? Was sollen sich die Leute in 30 Jahren über den MotoGP-Piloten Fabio Quartararo erzählen?
Ich hoffe, dass ich schon in 20 Jahren nicht mehr fahre (lacht). Aber es stimmt natürlich, dass ich noch relativ jung bin. Am Ende möchte ich eine Legende dieses Sports sein. Ich will, dass mich die Menschen als den Kerl in Erinnerung behalten, der nie aufgegeben hat und in der MotoGP immer vorne mit dabei war. Ich will viele Rennen gewinnen und hoffentlich auch weitere Weltmeistertitel. Das ist das Maximum, das du erreichen kannst. Darum geht es.

2021 wurde Quartararo MotoGP-Weltmeister, Foto: LAT Images
2021 wurde Quartararo MotoGP-Weltmeister, Foto: LAT Images

Wenn man von Legenden spricht, spricht man auch oft über Rekorde - die meisten Rennsiege, die meisten Weltmeistertitel. Haben solche Bestmarken eine große Bedeutung für dich?
Rekorde nicht, Siege schon. Ich muss keine Rekorde brechen. Ich will an der Spitze sein, um die besten Plätze kämpfen und so oft wie möglich gewinnen. Ob ich dabei neue Bestmarken aufstelle, ist nicht wichtig für mich.

Du hast im Vorjahr dein großes Ziel erreicht und bist MotoGP-Weltmeister geworden. Eine alte Sportlerweisheit besagt, dass es schwieriger ist, einen Titel zu verteidigen, als einen Titel zum ersten Mal zu erobern. Wie siehst du das? Spürst du jetzt mehr Druck?
Ganz ehrlich? Für mich ist es genau umgekehrt. Das liegt aber auch an meiner Einstellung. Für mich findet in diesem Jahr keine Titelverteidigung statt. Ich sehe es stattdessen so: Wenn die neue Saison beginnt, zählt die Weltmeisterschaft aus dem Vorjahr nicht mehr. Das ist dann die Vergangenheit. Ich habe wieder null Titel. Deshalb verteidige ich auch nichts, sondern greife an, um einen neuen Weltmeistertitel zu gewinnen. Gleichzeitig ist durch den Gesamtsieg im Vorjahr aber natürlich Druck von mir abgefallen. Ich habe mein großes Ziel erreicht. MotoGP-Weltmeister zu werden ist der Traum aller Motorradrennfahrer, aber es ist nicht vielen von uns vergönnt. Ich habe das geschafft und jetzt ist mein Ziel wieder der Titelgewinn. Ich denke also immer nur von einem Schritt zum Nächsten. Es ist wichtig, nicht zu weit nach vorne zu blicken.

Aktuell bist du der einzige Yamaha-Fahrer, der konkurrenzfähig ist. Bislang funktioniert das noch gut für dich. Es hat aber auch lange für Marc Marquez und Honda funktioniert, jetzt seit einigen Jahren nicht mehr. Denkst du, dass so etwas auch dir und Yamaha drohen könnte?
Wenn ich bis dahin sechs Mal MotoGP-Weltmeister werde wie Marc mit Honda, dann kann ich gut damit leben (lacht). Aber ganz im Ernst: Es ist eine schwierige Situation. Die anderen Fahrer haben Probleme, aber für mich ist die M1 grundsätzlich schon ein gutes Motorrad, dem es einfach nur mächtig an Beschleunigung und Power fehlt. Ich treibe die japanischen Ingenieure ständig an, denn wenn wir diese Schwäche beseitigen können, dann haben wir an jedem Wochenende die Chance, um den Sieg zu kämpfen. Das ist derzeit oftmals nicht der Fall.

Quartararo ist für Yamaha, was Marc Marquez für Honda ist, Foto: LAT Images
Quartararo ist für Yamaha, was Marc Marquez für Honda ist, Foto: LAT Images

Yamaha verliert sein Kundenteam RNF Racing für die Saison 2023 an Aprilia. Es werden damit im nächsten Jahr nur zwei Yamahas in der MotoGP am Start stehen, die gleichzeitig übrigens auch die einzigen beiden Motorräder mit Reihenmotor sein werden. Denkst du, dass das eurem Entwicklungstempo schaden wird?
Nein, ich glaube nicht, dass das ein Problem für uns sein wird. Wir haben in dieser Saison auch noch nie Daten mit dem Kundenteam abgeglichen. Ich kenne die genauen Pläne von Yamaha für 2023 nicht, aber für mich ist es absolut in Ordnung, wenn wir im kommenden Jahr nur zwei Motorräder haben.

Du hast die Topspeed-Schwäche der Yamaha angesprochen. Es ist klar, dass unterschiedliche Motorräder verschiedene Stärken und Schwächen haben. Ducati etwa ist auf den Geraden stark, du machst mit der M1 eher Zeit in den Kurven gut. Aber: Ist deine Stärke schwieriger auszuspielen? Wenn eine Ducati auf der Geraden an einer Yamaha vorbeifährt, wirkt das ja oft wie ein geschenktes Überholmanöver.
Vor zwei oder drei Jahren hätte ich dir absolut rechtgegeben, dass wir in den Kurven einen klaren Vorteil haben. Das ist meiner Meinung nach aber nicht mehr so. Ducati oder andere Hersteller sind in diesem Bereich praktisch gleich stark. 2019 etwa hat es uns an Leistung gefehlt, ihnen am Turning. Jetzt fehlt es uns immer noch am Topspeed, aber sie sind auf der Bremse und beim Turning viel stärker geworden. Wir Yamaha-Fahrer haben also überhaupt keinen wirklichen Vorteil mehr und müssen deshalb extrem ans Limit gehen.

Es muss wahnsinnig anstrengend sein, über eine derart lange Saison ständig so viel zu investieren?
Ja, es ist eine harte Phase, aber ich sehe das als eine positive Erfahrung für mich, dass ich trotz dieser großen Schwierigkeiten immer noch mein Maximum abrufen kann. Ich hoffe trotzdem, dass Yamaha bald große Fortschritte macht und wir so noch schneller werden können.

Schwierige Perioden sind in deiner Karriere ja nichts Neues. Du hast schon oft über den Grand Prix von Argentinien 2018 gesprochen, als du laut eigener Aussage in der Startaufstellung näher am Safety Car als an der Pole Position standest. Damals ist dir klar geworden, dass es eine Veränderung braucht. Gab es aber auch Momente, in denen du daran gezweifelt hast, ob es jemals für ganz oben reichen würde? Ob du überhaupt gut genug für die MotoGP bist?
Nein. Ich habe wirklich nie an mir oder meinem Können gezweifelt. Auch nicht 2018 in Argentinien. Aus heutiger Sicht mag das verrückt klingen, denn meine Ergebnisse damals waren beschissen. Oh mein Gott, waren die beschissen. Zweifel hatte ich aber dennoch nie. Ich hatte immer klare Ziele vor Augen, wollte um Podien kämpfen und Rennen gewinnen. Vier Rennen nach diesem Tiefpunkt in Argentinien habe ich in Barcelona meinen ersten Grand Prix gewonnen. Das ist eine verrückte Geschichte, die sich aber durch harte Arbeit logisch erklären lässt.

Von da an lief dann alles wie von selbst?
Hmm. Von selbst würde ich nicht sagen, aber so ein Sieg gibt dir auf jeden Fall einen Schub an Selbstvertrauen, den man sich gar nicht vorstellen kann.

2018 testete Quartararo erstmals ein MotoGP-Bike, Foto: gp-photo.de/Ronny Lekl
2018 testete Quartararo erstmals ein MotoGP-Bike, Foto: gp-photo.de/Ronny Lekl

Am Ende deiner Weltmeistersaison 2021 und im folgenden Winter folgte wieder eine schwierige Periode für dich. Du warst mit deinem technischen Paket nicht zufrieden und hast dich auch offen darüber beschwert. Jetzt wirkst du wieder ziemlich glücklich. Sehe ich das richtig?
Ja, ich glaube du hast das ganz gut getroffen.

Was ist denn in der Zwischenzeit passiert?
Zu Saisonbeginn war ich nicht glücklich, weil sich das Motorrad praktisch nicht verbessert hat. Ich habe dann aber meine Herangehensweise geändert. Wenn du dich ständig beschwerst, ist das nicht gut. Es ist nicht gut für das Team, aber auch nicht für dich selbst. Du hast dann ständig etwas im Kopf, das dich blockiert. Das Motorrad mag schlecht sein, aber durch Jammern machst du es für dich nur noch schlechter, weil du deine Energie für andere Dinge als das Motorradfahren verschwendest.

Gab es einen bestimmten Moment, an dem dir das klar geworden ist?
Für mich war es das Rennwochenende in Austin. Da habe ich mich völlig umgestellt. Ich habe mir gesagt: "Dieses Material hast du jetzt, also arbeite damit." Es ist schwierig, in ein Rennen zu gehen, von dem du weißt, dass du es nicht gewinnen kannst. Das passiert aber eben manchmal. Du musst trotzdem 100 Prozent geben und dann sehen, was am Ende dabei herauskommt. Seit damals wissen meine Rivalen, dass sie auch mit mir rechnen müssen, wenn unser Motorrad auf einer Strecke einmal langsam ist. Ich werde trotzdem mein Maximum geben und kämpfen. In den schwierigen Zeiten kann man schließlich am meisten lernen.

Es gab in den vergangenen Monaten viele Spekulationen, du könntest Yamaha mit Saisonende 2022 für einen anderen Hersteller verlassen. Jetzt bleibst du doch bis inklusive 2024. Meine Frage: Hattest du überhaupt echte Alternativen, mit denen du deine Situation verbessern oder zumindest nicht verschlechtern hättest können? Suzuki steigt aus, Honda ist in der Krise, Ducati setzt auf eigene Fahrer, KTM fehlt es noch an Konstanz und auch mit dem Aufstieg von Aprilia war ja so lange Zeit nicht zu rechnen.
Naja, wir hatten schon Alternativen. Ich beschäftige mich aber ehrlich gesagt nicht besonders gern mit solchen Dingen. Meine Aufgabe ist es, über die Gegenwart nachzudenken und in dieser mein Bestes zu geben. Ich will das beste Paket zur Verfügung haben und in dem Projekt sein, das am besten zu mir passt. Deshalb habe ich mir auch viel Zeit für diese Entscheidung gegeben und lange überlegt. Das war für mich absolut notwendig, um sicherzugehen, dass wir für die nächsten Jahre gut aufgestellt sind.

Quartararo bleibt bis mindestens 2024 bei Yamaha, Foto: Monster Energy Yamaha
Quartararo bleibt bis mindestens 2024 bei Yamaha, Foto: Monster Energy Yamaha

Es scheint aktuell so, als würden Fahrer Herstellerwechsel immer mehr meiden. Die meisten Transfers passieren eher unfreiwillig. Wie stehst du grundsätzlich zu solchen Wechseln? Sind sie spannend? Oder furchteinflößend?
Furchteinflößend würde ich nicht sagen. Natürlich weißt du bei einem Herstellerwechsel nie genau, was dich dort erwarten wird. Aktuell hat aber fast jedes Motorrad seine positiven Aspekte. In der Weltmeisterschaft mischen Yamaha, Aprilia, Ducati und Suzuki vorne mit. Honda war in diesem Jahr auch teilweise stark, KTM hat in Indonesien mit Oliveira gewonnen und war in Katar mit Binder nah dran. Du musst dich natürlich anpassen, aber du wirst kaum in die Situation kommen, dass du ein schlechtes Motorrad hast. Es gibt immer positive und negative Aspekte, aber in der derzeitigen Situation muss man vor keinem Wechsel Angst haben.

Dieses Interview mit Fabio Quartararo erschien erstmals in Ausgabe 85 unseres Print-Magazins. Dort haben wir natürlich nicht nur Interviews mit den Stars der MotoGP, sondern blicken auch auf die Formel 1, DTM & Co. Auf den Geschmack gekommen? Das Motorsport-Magazin könnt ihr seit neuestem nicht nur abonnieren, sondern auch an eure motorsportbegeisterten Liebsten verschenken.