Im MotoGP-Rennen von Jerez waren vier Fahrer mit zu geringem Reifendruck unterwegs, unter ihnen Sieger Francesco Bagnaia. Ein Team-Mitglied eines Konkurrenten leitete anschließend ein internes Dokument von Reifenlieferant Michelin an Journalist Mat Oxley weiter, das diese Verstöße belegt. Diese publizierte die Informationen, die aufgrund eines Gentleman-Agreements zwischen Herstellerbund MSMA und Reifenlieferant Michelin geheim bleiben sollten.

Wie mittlerweile bekannt wurde, sind derartige Verstöße an der Tagesordnung. Da es aber kein einheitliches Messsystem für Reifendrücke gibt, werden auch keine Strafen ausgesprochen. Eine Regelung, die teils für Unverständnis sorgt. Für 2023 arbeitet man einem einheitlichen System, dass dann bei Unterschreitungen auch Sanktionen möglich machen soll. Am Donnerstag verteidigten die MotoGP-Fahrer in Le Mans aber die bestehende Regelung.

"Es ist sehr schwer zu erahnen, wie sich der Reifendruck im Rennen verhält. Es hängt davon ab, ob du freie Fahrt hast oder hinter einem anderen Fahrer liegst", erklärte Francesco Bagnaia. Tatsächlich gelten die Vorderreifen von Michelin als sehr empfindlich. Werden sie nicht von kühler Luft umströmt, steigt der Druck oft massiv an. Bagnaia führte in Jerez das gesamte Rennen an, wodurch der Reifendruck niedrig blieb. "18 Fahrer waren in dieser Saison schon unter dem Limit. Sie alle werden mir rechtgeben, dass es sehr schwierig ist, den richtigen Druck zu bestimmen. In Jerez lag ich zwischen 1,85 und 1,89 bar. Das ändert nicht viel." Der Grenzwert für den Vorderreifen liegt bei 1,9 bar, am Heck sind es 1,7 bar.

Tatsächlich erhielt Bagnaia in der Pressekonferenz Rückendeckung von seinen Rivalen. "Ich stimme Pecco zu", sagte Fabio Quartararo. "Du versuchst immer möglichst geringen Druck zu fahren, falls du hinter einem anderen Fahrer liegst und sich der Reifen erhitzt. In Portimao habe ich lange geführt und war auch unter dem Mindestdruck. Es wird sehr schwierig, hier eine Regelung zu finden. Wir müssen versuchen, zusammen mit Michelin etwas zu finden, so dass der Druck beim Hinterherfahren nicht so stark steigt."

Falsche MotoGP-Reifendrücke: Ist das schon Betrug? (07:36 Min.)

Aleix Espargaro teilt die Bedenken. "Es wäre fair, eine Grenze zu setzen, an die man sich auch halten muss. Aber es ist schwierig für die Teams und auch für Michelin. Wie willst du das machen? Du kannst nicht wissen, ob du drei Motorrädern folgst oder freie Fahrt hast", so der Aprilia-Pilot. Johann Zarco fordert deshalb eine Herabsetzung des Limits: "Es geht dabei um die Sicherheit, aber ich glaube, dass wir da noch Spielraum haben. Man müsste schon sehr geringen Druck fahren, um wirklich Probleme zu bekommen. Ich glaube, dass wir die Grenze verschieben können, ohne dass es gefährlich wird."

Marc Marquez stellte überhaupt in Frage, inwiefern eine Unterschreitung des Grenzwerts überhaupt einen Vorteil bringt. "Niedriger Druck am Vorderreifen bedeutet nicht unbedingt mehr Performance", so Marquez. "Manchmal wird das Fahrverhalten dadurch sogar schlechter."

Moderne MotoGP-Bikes sorgen für Druck-Lotterie

Warum aber kommt es überhaupt zu den großen Unterschieden im Reifendruck? Es gehe nicht nur um kühle Luft, wie Marquez erklärt: "Durch die Aerodynamik der Motorräder ist dieses Thema viel kritischer geworden. Wenn du alleine bist, nutzt du deine Aerodynamik, um das Motorrad zu steuern. So beanspruchst du deinen Vorderreifen weniger. Wenn du im Windschatten bist, ändert sich das. Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Daran müssen wir arbeiten, aber nicht am Reifendruck selbst."