Marc Marquez und Alex Rins lieferten sich beim MotoGP-Rennen in Silverstone einen spektakulären Kampf bis zur Ziellinie. Am Ende schlug der Suzuki-Fahrer den amtierenden Weltmeister um 0,013 Sekunden - der viertengste Zieleinlauf in der Geschichte der Königsklasse.

Doch wie kam es zu diesem Finalsprint? Wie taktisch legten Rins und Marquez die ersten 19 der 20 Runden tatsächlich an? Und hat der Drittplatzierte Maverick Vinales am Ende besser ausgesehen, als er tatsächlich war? Das ergründen wir in unserer GP-Analyse:

War das Rennen langsam?

Viele Fans fragten sich während des Rennens in den sozialen Medien, ob Marc Marquez und Alex Rins an der Spitze das Tempo etwas einbremsten, oder ob in Silverstone an diesem Tag einfach nicht mehr ging. Denn der Abstand zu Maverick Vinales wuchs nach dem ersten Renndrittel kaum noch an. Auch die Rundenzeiten blieben kontinuierlich über der Marke von zwei Minuten.

MotoGP Silverstone: Rins vernascht Marquez - Analyse-Talk: (28:02 Min.)

Marquez und Rins konnten nur jeweils eine Lap im Bereich von 1:59 Minuten fahren, dem Rest des Feldes gelang das gar nicht. Die Rundenzeiten vom Freitag und Samstag hätten eigentlich eine schnellere Pace nahegelegt: Aufgrund des neuen Asphalts waren die Rekordmarken nur so gepurzelt und im für die Rennabstimmung so wichtigen 4. Training hatten Marquez und Fabio Quartararo jeweils einen kompletten Stint mit Zeiten deutlich unter zwei Minuten bestritten.

Vergleich der Bestzeiten

Fahrer FP1-3 FP4 Quali GP-Runde
Alex Rins 1:59,540 (11.) 2:00,184 (6.) 1:58,670 (5.) 1:59,941 (2.)
Marc Marquez1:58,913 (3.)1:59,327 (1.) 1:58,168 (1.) 1:59,936 (1.)
Maverick Vinales1:59,298 (7.)1:59,907 (3.) 1:58,762 (6.) 2:00,122 (3.)
Valentino Rossi1:59,298 (2.)2:00,133 (4.) 1:58,596 (2.) 2:00,402 (4.)
Fabio Quartararo1:59,952 (1.)1:59,818 (2.) 1:58,612 (4.) -

Wie schnell Quartararo gewesen wäre, konnte man nicht feststellen, da er bereits in der ersten Kurve stürzte. Bei Marquez ist aber klar ersichtlich, dass er im Vergleich zu FP4 deutlich an Pace einbüßte. Bei Maverick Vinales und Alex Rins hingegen lagen die Longrun-Zeiten am Sonntag in etwa im Zeitfenster von jenen vom Samstag, wobei Rins im Renntempo sogar eine Spur schneller war als im 4. Training.

Sprint in den ersten Runden

In den ersten 18 Runden führte Marquez über Start/Ziel das Feld jeweils an und konnte dadurch sein Tempo diktieren. Wollte Marquez nicht schneller oder konnte er am Sonntag einfach nicht schneller? Diese Frage beantwortete er nach dem Rennen selbst: "Ich hatte mir eine Strategie zurechtgelegt, mit der ich die Spitzengruppe möglichst klein halten würde. Daher habe ich zu Beginn das Tempo hoch gehalten. Ich wusste auch, dass ich auf und davon ziehen könnte, sobald ich eine Sekunde Vorsprung herausfahren würde. Aber das war leider nicht möglich."

Denn Alex Rins konnte den Speed von Marquez von Beginn an mitgehen und war ab der zweiten Runde sein erster Verfolger. Marquez fuhr in der dritten Runde bereits eine Zeit von 2:00,105 Minuten - es sollte seine zweitschnellste Zeit im gesamten Rennen bleiben. Sein Vorsprung auf Rins betrug am Ende dieses Umlaufs 0,529 Sekunden - größer war er zu keinem anderen Zeitpunkt im Rennen.

Der Rest des Feldes hatte in den ersten Runden keine Chance gegen das Duo an der Spitze. Marquez und Rins waren bis Lap 7 in jedem Umlauf die schnellsten beiden Piloten und nach dem ersten Renndrittel hatten sie einen Vorsprung von fast zweieinhalb Sekunden auf den ersten Verfolger Vinales herausgefahren.

Marquez vs. Rins: Taktikspielchen

Zu Beginn des zweiten Renndrittels begannen die beiden Frontrunner plötzlich mit taktischen Spielchen, wie sie nach dem Zieleinlauf auch offen zugaben. In Lap 8 wurde Marquez um drei Zehntel langsamer, einen Umlauf später um weitere sechs Zehntel. Es waren die ersten beiden Runden, in denen weder Marquez, noch Rins die schnellste Zeit im Feld fuhr, sondern Maverick Vinales.

Marquez erklärte seine Überlegungen: "Zu Mitte des Rennens wollte ich ein bisschen spielen, um meine Reifen zu schonen. Ich wollte ihn (Rins) vorbeilassen und mich dann an ihn hängen. Ich habe aber bemerkt, dass er immer noch mehr Gas rausgenommen hat als ich." Rins gab das offen zu: "Wir haben zu spielen begonnen und sind immer wieder vom Gas gegangen. Irgendwann bin ich kurz vor ihm gewesen, aber ich wollte ihn rasch wieder vorbeilassen. Ich wollte ihm meine Schwachpunkte einfach nicht zeigen."

Wie massiv diese Einbrems-Taktik wurde, zeigen die Abstände zu Vinales klar: In den beiden Runden 8/9 nahm er dem Top-Duo acht Zehntelsekunden ab, in 12/13 erneut sieben Zehntel. Dazwischen zogen Marquez und Rins das Tempo aber immer wieder an: So etwa in Lap 10, als beide ihre schnellste Rennrunde fuhren und die einzigen beiden Zeiten des gesamten Rennens unter zwei Minuten erzielten.

Im Vergleich zur Runde davor steigerte sich Marquez um 1,089 Sekunden, Rins sogar um 1,337 Sekunden - und das bei Halbzeit des Rennens. Man kann sich damit in etwa vorstellen, wie hoch die wahre Pace der beiden Asse an der Spitze war. Marquez dazu: "Durch diese Spielchen haben wir fast eine Sekunde unseres Vorsprungs eingebüßt und ich sah bereits Maverick herankommen. Da habe ich mir gedacht: Okay, mir geht es jetzt nicht mehr um den Sieg, sondern nur noch um WM-Punkte." Im Taktieren wechselten sich Gas geben und Einbremsen im Wellenrhythmus ab. Ein Blick auf die Rundenzeiten dieser Phase zeigt das deutlich, denn die Pace von Vinales schwankte rund um 2:00,3 Minuten, während die Zeiten des Spitzenduos auf und ab hüpften, ohne dass dies einem direkten Duell geschuldet gewesen wäre.

Nach dem Rennen zeigte sich daher auch Vinales ein wenig geschockt darüber, dass vorne so stark herumgespielt wurde: "Um ehrlich zu sein schockiert mich das ein wenig. Die haben mit ihren Spielchen vorne Reifen und Sprit zu sparen versucht und ich war voll am Anschlag." Tatsächlich war die Pace von Vinales sehr konstant. Zwischen der ersten fliegenden Runde und dem Zieleinlauf befanden sich seine Rundenzeiten allesamt in einem Fenster von nur 0,775 Sekunden. Bei Rins betrug dieser Wert 1,337 Sekunden, bei Marquez gar 1,366 Sekunden. Damit schwankten deren Rundenzeiten fast doppelt so stark wie jene von Vinales.

Vergleich der Rundenzeiten-Fenster

FahrerSchnellste Lap Langsamste Lap Differenz
Maverick Vinales2:00,122 (Lap 10)2:00,897 (Lap 17) 0,775 Sekunden
Alex Rins 1:59,941 (Lap 10) 2:01,278 (Lap 9) 1,337 Sekunden
Marc Marquez1:59,936 (Lap 10)2:01,302 (Lap 19) 1,366 Sekunden

Der Zielsprint

In den letzten fünf Runden bereiteten sich die Duellanten auf den finalen Schlagabtausch vor. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie sich um zwei Sekunden von Vinales abgesetzt, der in den letzten fünf Runden jeweils die schnellste Einzelzeit fuhr. Rins fand sich dabei in der komfortablen Position wieder, Marquez beinahe über die volle Renndistanz beobachtet zu haben. Für ihn war daher klar: "Ich musste alles auf eine Karte setzen: auf die letzte Kurve."

Marquez hatte das im Finish sogar bemerkt: "Zwei Runden vor Ende hat er mir bereits gezeigt, wo er angreifen würde: In der letzten Kurve. Aber ich hatte einfach nicht mehr genug Grip, um mich zu verteidigen." Denn das lange Anführen des Rennens verlangte in den letzten beiden Umläufen seinen Tribut. Marquez konnte nur noch Zeiten über 2:01 fahren und wurde in der Schlusskurve so weit abgetragen, dass Rins innen durchstechen und zum Sieg beschleunigen konnte.

"Wenn du das Rennen so lange anführst, dann hast du mehr Spritverbrauch und höheren Reifenverschleiß. Das ist nun mal so", führte Marquez nach dem Rennen aus. Rins hat somit alles richtig gemacht: "Ich wusste: Wenn ich im ersten Teil des Rennes mithalten kann, bekomme ich am Ende die Chance." Dieser Plan ging voll auf.

Fazit: Rins gelingt taktische Meisterleistung

Alex Rins hat gezeigt, wie man den MotoGP-Großmeister am besten bezwingt: Mit seinen eigenen Waffen. Denn jahrelang hat Marquez selbst diese Taktik angewandt und rundenlang hinter dem Führenden gelauert, um letztlich in der Schlussphase zuzuschlagen. Das haben seine Gegner gelernt und kopiert, denn Rins ist nicht der erste Fahrer, der Marquez in der laufenden Saison eine Niederlage in der letzten Runde zufügt: Vor ihm gelang das bereits Andrea Dovizioso (Katar & Spielberg) und Danilo Petrucci (Mugello).

So lange er sich aber mit dem Ausbau der WM-Führung trösten kann, sind derartige Ergebnisse verkraftbar. So sagte er am Sonntag selbst: "Natürlich bin ich sauer, in der letzten Kurve verloren zu haben. Aber so etwas kann passieren und aktuell ist es nicht mein Ziel, Rennen zu gewinnen. Ich will den Titel holen und mit meiner derzeitigen Strategie bauen wir unseren Vorsprung immer weiter aus." Der WM-Stand gibt Marquez Recht: Sieben Rennen vor Schluss liegt er 78 Punkte vor Andrea Dovizoso. Holt er in den kommenden drei Läufen 23 Punkte mehr als sein Rivale, wäre er bereits nach dem Grand Prix von Thailand am 6. Oktober erneut MotoGP-Weltmeister.