Sie zählen zu den unbesungenen Helden im MotoGP-Paddock: die rund zehn Herren in der Clinica Mobile. Kaum jemand weiß so genau, was sie machen, dementsprechend gering ist der Ruhm, den sie für ihre Arbeit ernten. Den gut 90 Piloten in allen drei Klassen ist aber sehr wohl klar, was sie der Truppe unter der Leitung von Dr. Michele Zasa zu verdanken haben. In einem kleinen Truck geben Dr. Zasa, drei weitere Ärzte und sechs bis sieben Physiotherapeuten an jedem der 18 Rennwochenende der Saison alles, um die Fahrer, aber auch alle anderen im MotoGP-Paddock arbeitenden Personen, in Schuss zu halten. Insgesamt sind das über 2.000 Menschen.

"An einem Rennwochenende führen wir von Donnerstag bis Sonntag etwa 400 bis 500 Behandlungen durch", verrät Dr. Zasa im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Davon sind rund 300 bis 400 physiotherapeutische Aufgaben wie Massagen, der Rest sind medizinische Behandlungen." Das Team der Clinica Mobile steht aber auch in den Tagen vor dem offiziellen Rennwochenende bereits Gewehr bei Fuß, sollte sich etwa beim Aufbau der Hospitalitys oder Boxenanlagen jemand verletzen. Wird an das Wochenende noch ein Testtag angehängt, bleibt der in den Farben Blau, Weiß und Gelb gehaltene Truck ebenfalls im Fahrerlager.

Aber was macht das Team der Clinica Mobile, um die Fahrer so schnell wieder fit zu bekommen? "Aus medizinischer Sicht geht es hauptsächlich darum, durch gezielte Therapie sowie den Einsatz von Medikamenten die Schmerzen der Fahrer zu reduzieren. Außerdem können wir digitale Röntgenuntersuchungen durchführen und haben einen Orthopäden in unserer Mannschaft, der den Fahrern gezielte Beratung anbieten kann", erläutert Zasa.

Im physiotherapeutischen Bereich arbeitet die Clinica Mobile größtenteils an der Entspannung der geplagten Fahrermuskeln, sowohl mit Handeinsatz als auch unter Zuhilfenahme von Maschinen. Alle Behandlungen werden im Normalfall im Truck der Clinica Mobile durchgeführt, für die großen Stars - allen voran Valentino Rossi - gibt es aber auch "Hausbesuche" in ihren Motorhomes. "Ich will die Fahrer nicht zu sehr verhätscheln, aber bei Valentino geht es an manchen Rennwochenenden ja gar nicht anders, weil ihn ständig hunderte Leute belagern", lacht Dr. Zasa, der seinen Arbeitsplatz auch als einen Treffpunkt für die Piloten sieht. "Die Fahrer kommen oft zu uns, um einen kleinen Snack zu sich nehmen oder einfach ein bisschen zu tratschen und gemeinsam zu lachen. Das ist schön."

Die behandelnden Ärzte und Physiotherapeuten sind DIE Vertrauenspersonen der Fahrer, wenn es um ihre Gesundheit geht. Darauf ist Dr. Zasa zu Recht stolz: "Es ist eine schöne Anerkennung, zu sehen, dass die Piloten auf uns hören. Das zeigt, dass wir hier gute Arbeit leisten." Trotz des großen Vertrauens von Seiten der Fahrer und dem umfangreichen Wissen über deren Bedürfnisse, das das Team der Clinica Mobile angehäuft hat, wird die endgültige Entscheidung über die Einsatzfähigkeit verletzter Piloten woanders getroffen. Diese obliegt den lokalen Ärzten im streckeneigenen Medical Center. Die Meinungen können dort durchaus auseinandergehen.

"Wir können unseren Standpunkt darlegen, entscheiden können wir aber nichts", erklärt Zasa. "Wir nehmen deshalb auch eine Rolle als Vermittler ein. Einerseits versuchen wir, bei den Ärzten ein Verständnis für die Fahrer aufzubauen, andererseits ist es uns aber auch wichtig, dass die Fahrer verstehen, warum sie beispielsweise nicht starten dürfen und diese Entscheidung dann auch respektieren." Ebenso wie die lokalen Ärzte kommen häufig auch Teamverantwortliche zu Dr. Zasa und seinen Kollegen, um eine Einschätzung bezüglich des Gesundheitszustands ihrer Fahrer zu erhalten und wenn nötig einen Start zu verbieten.

Prominenter Besuch in der Clinica Mobile: Mick Doohan und Kenny Roberts, Foto: Clinica Mobile
Prominenter Besuch in der Clinica Mobile: Mick Doohan und Kenny Roberts, Foto: Clinica Mobile

Dass die Clinica Mobile nun bereits seit vier Jahrzehnten mit der Motorrad-Weltmeisterschaft um den Planeten reist, gibt den Medizinern in ihren Entscheidungen und ihrer Arbeit Recht. Sie ist zu einem fixen Bestandteil der MotoGP geworden, der mittlerweile auch von Promoter Dorna und der Teamvereinigung finanziell unterstützt wird, wenn auch nur in geringem Ausmaß. Den Großteil des Budgets bringt die Clinica Mobile über Sponsoren auf, die überwiegend selbst aus dem Bereich der Motorradsicherheit kommen, also etwa Helm- oder Lederkombihersteller.

Mit denen arbeitet Dr. Zasa übrigens auch in der Entwicklung neuer Produkte zusammen, um Verletzungen zukünftig noch besser vorzubeugen. Das Team der Clinica Mobile hat es in den letzten 40 Jahren aber schon weit gebracht. Vieles hat sich seit den Anfängen unter Dr. Costa verändert, eines ist aber noch heute gleich, so sein Nachfolger Dr. Zasa: "Die Philosophie hinter dem Job ist immer noch dieselbe. Ethik ist uns sehr wichtig. Werte wie Sportsgeist und Professionalität haben für uns oberste Priorität, deshalb sind wir in diesem Fahrerlager auch so gerne gesehen. Unsere Arbeit bedeutet völlige Hingabe gegenüber den Fahrern. Wir versuchen alles, um ihnen zu helfen und sie schnellstmöglich zurück auf die Strecke zu bringen, weil wir diesen Sport und seine Athleten lieben."

Durch Senna in die MotoGP

Die Übernahme durch Dr. Michele Zasa war für die Clinica Mobile ein echter Glücksfall, da ist man sich im MotoGP-Paddock einig. Als Chefarzt und Geschäftsführer leistet er vorbildliche Arbeit. Sein Weg in diese Führungsposition war aber ein durchaus ungewöhnlicher. Zasa begann seine medizinische Karriere als gewöhnlicher Anästhesist und Notarzt, seinen Wechsel in den Motorsport hatte er dem Schicksal zu verdanken. Als großer Fan Ayrton Sennas entschied sich Zasa dazu, an dessen Unglücksort Imola seine Laufbahn fortzusetzen. Dort traf er auf Dr. Costa, der von seiner Arbeit mehr als angetan war und bereits einen Nachfolger für sich und sein insgesamt alterndes Team suchte. 2011 arbeitete Zasa erstmals bei einigen Rennen im MotoGP-Paddock, war aber weiterhin rund um die Welt als Notarzt im Einsatz. 2014 übernahm der Hobby-Motorradfahrer die Clinica Mobile schließlich von seinem Mentor.

Vom Rettungswagen zum High-Tech-Truck

Die Vergangenheit: Erstmals bei einem Rennen vor Ort war die Clinica Mobile 1977 beim Österreich-Grand-Prix am Salzburgring. Mit einem etwas aufgerüsteten Ambulanzwagen begann die Arbeit unter der Leitung des legendären Dr. Costa. 1981 bekam die Clinica Mobile ein neues Zuhause. Die Einrichtungen wurden modernisiert, ein größeres Fahrzeug bot Platz für zwei Behandlungen gleichzeitig. Die Auslastung der Clinica Mobile nahm Jahr für Jahr zu, 1987 erreichte man über 3.000 jährliche Behandlungen und über 300 Verletzungen, um die man sich in einer Saison kümmern musste. 1988 wurde in einem neuen Fahrzeug auf drei Betten vergrößert, 1997 weiter auf fünf Stück.

Die Gegenwart: Die aktuell im Einsatz befindliche fünfte Generation der Clinica Mobile ist mit modernster Technik wie digitalen Röntgengeräten ausgestattet. Außerdem ist man unter der Führung von Dr. Zasa im Zeitalter des Web 2.0 angekommen. Fahrer können ihre Termine mittels einer App buchen, alle Behandlungen werden in einer Datenbank registriert, Fans werden auf Facebook, Twitter und Co. auf dem Laufenden gehalten.

Die Zukunft: In naher Zukunft soll wieder ein neuer Truck angeschafft werden, der auf zwei Ebenen noch mehr Platz für Personal, Patienten und Equipment bieten wird. Darüber hinaus plant man ein bis zwei fixe Behandlungszentren in Europa, die die Piloten auch außerhalb der Rennwochenenden aufsuchen können und wo sich dieselben Ärzte und Physiotherapeuten um sie kümmern, wie an den Strecken rund um den Erdball.

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