Pro: Flag-to-Flag ist das Beste, was der MotoGP passieren konnte

Seitdem die Flag-to-Flag-Regel 2005 in Estoril zum ersten Mal Anwendung fand, gab es immer wieder heiße Diskussionen. Zuletzt hat sich Jorge Lorenzo nach dem total vergeigten Misano-GP geäußert: Er findet, die Regel gehört wieder abgeschafft. Dabei hat das Rennen in Misano demonstriert: Diese Regel ist das Beste, was der MotoGP passieren konnte. Das Rennen war an Spannung kaum zu überbieten.

Das Schöne an der Flag-to-Flag-Regel ist ja, dass sie den Fahrern weitgehend taktische Freiheit lässt. Ob und wann gewechselt wird, entscheidet alleine der Instinkt des Einzelnen. Das Team kann noch so oft das Pitboard hochhalten. Wenn der Fahrer nicht an die Box kommt, wird eben nicht gewechselt. Wie sehr ein Fahrer dabei auf Nummer Sicher gehen will, bleibt alleine ihm überlassen. Wenn sich dann Lorenzo vom Altmeister Rossi in einen Fehler treiben lässt, bedeutet das nicht, dass die Regel grundsätzlich unsicher ist, sondern nur, dass ein Fahrer in diesem Moment die falsche Entscheidung getroffen hat. Niemand wird von dieser Regel gezwungen, auf Slicks bei Regen einen Sturz zu riskieren.

Klar, dass Jorge Lorenzo vom letzten Flag-to-Flag-Rennen nicht begeistert war, Foto: Tobias Linke
Klar, dass Jorge Lorenzo vom letzten Flag-to-Flag-Rennen nicht begeistert war, Foto: Tobias Linke

Ein Grund, der immer wieder gegen Flag-to-Flag angeführt wird, ist, dass diese Regel nur eingeführt worden sei, um für das Fernsehen attraktiver zu werden. Aber ist es denn wirklich negativ, für TV und Fans interessanter zu sein? Werbe- und Sponsorengelder fließen nur durch Medienpräsenz. Sie sind für den Bestand der MotoGP entscheidend, ansonsten können sich bald nur noch Werksteams eine Teilnahme leisten - und das will nun wirklich niemand.

Abgesehen davon stellt sich die Frage: Was gibt es denn zu dieser Regel überhaupt für eine Alternative? Ein Rennen beim ersten Regen abzubrechen und auf Regenreifen neu zu starten klingt vielleicht im ersten Moment auch recht fair. Aber was ist, wenn sich bei den ersten Tropfen noch vor Abbruch ein Fahrer mit beherzter Fahrweise vom Feld absetzen konnte? Bei einem Neustart war dann alles vergebens. Beim Motorradwechsel in den Boxen dagegen bleibt ein herausgefahrener Vorsprung weitgehend erhalten, durch eine geschickte Strategie kann er sich sogar vergrößern.

Besonders schön an den Flag-to-Flag-Rennen ist, dass sie den Underdogs mit mutiger Strategie eine reale Chance aufs Podium bieten. Wer hätte schon in Misano mit Smith und Redding auf dem Treppchen gerechnet? Oder sogar mit Baz auf Rang vier? Im Trockenen absolut undenkbar.

Smit fuhr mit großem Mut auf Rang zwei, Foto: Tech 3
Smit fuhr mit großem Mut auf Rang zwei, Foto: Tech 3

Im Endeffekt läuft die Diskussion um die Flag-to-Flag-Regel doch nur auf eines hinaus: Jorge Lorenzo , ohnehin nicht der größte Regen-Fan, erhofft sich durch eine Abschaffung bessere Chancen bei für ihn schlechten Wetterbedingungen. Es gibt aber eben auch Fahrer, die gerade bei solchen Bedingungen aufleben. Letztlich soll doch derjenige Weltmeister werden, der bei allen Bedingungen punkten kann. Und Husarenritte wie der von Smith in Misano sollten unbedingt auch weiterhin erlaubt sein, dieser Mut macht die MotoGP mit zu dem, was sie ist, und muss auch belohnt werden.

Contra: Show auf Kosten der Sicherheit

Ja, natürlich gehören Flag-to-Flag-Rennen mitunter zum spannendsten was die ohnehin schon so spektakuläre MotoGP zu bieten hat. Die taktische Komponente, die im Motorradsport ja ansonsten gegenüber der Konkurrenz auf vier Rädern fehlt, spielt plötzlich eine wesentliche Rolle. Die Boxenstopps mit direkten Sprüngen von einem zum anderen Motorrad liefern einfach nur sensationelle Bilder und die Momente, in denen die Piloten auf Slicks durch strömenden Regen rasen, lassen einem regelrecht den Atem schocken. Außerdem ist die Länge eines MotoGP-Rennens somit einigermaßen berechenbar und das Geschehen bleibt für den Beobachter deutlich überschaubarer als bei Abbrüchen und Neustarts.

Das alles gefällt den Fans, den TV-Stationen und somit auch MotoGP-Promoter Dorna. Doch wie sieht es mit den Leuten aus, ohne die es den Sport, den wir alle so lieben, gar nicht geben würde? Für die Fahrer ist ein Flag-to-Flag-Rennen eine enorme Belastung und mitunter auch überaus gefährlich. Zahlreiche Stürze sind praktisch an der Tagesordnung, denn ein MotoGP-Bike mit Slicks im Regen zu bewegen ist nun einmal alles andere als einfach, auch für die besten Motorradfahrer der Welt.

Probleme hatten im Rennen von Misano alle Piloten, Foto: Repsol
Probleme hatten im Rennen von Misano alle Piloten, Foto: Repsol

Insofern ist es eigentlich verwunderlich, dass sich von Seiten der Aktiven bisher eigentlich kein Widerstand gegen die 2005 eingeführte Regelung regte. Jorge Lorenzo hat nämlich durchaus Recht, wenn er das aktuelle Reglement in manchen Situationen als zu gefährlich erachtet. "Auf Slicks auf nasser Strecke zu fahren ist eines der schlimmsten Gefühle, die es gibt. Da stimmen mir die meisten meiner Kollegen sicherlich zu. Das ist eine der übelsten Sachen in unserem Sport. Nur wir Fahrer wissen, wie grässlich sich das anfühlt", meinte er am Sonntag in Misano. Und genau das ist der springende Punkt. Niemand von uns ist jemals ein MotoGP-Motorrad gefahren, geschweige denn mit Trockenreifen im Regen. Keiner kann sich vorstellen, wie schmal der Grat zwischen Sieg und Verletzung hier beieinander liegen. Die Sicherheit der Piloten muss oberste Priorität haben, auch im Vollgaszirkus MotoGP.

Lorenzos Denkanstoß ist also durchaus richtig und wichtig, allerdings kam er zum falschen Zeitpunkt von der falschen Person. Wenn der ohnehin als Jammerer verschriene Mallorquiner nach einer seiner bittersten Niederlagen wieder einmal die Schuld nicht bei sich selbst, sondern bei externen Faktoren sucht, dann hat das einen etwas verbitterten Beigeschmack. Möchte man also an Lorenzos Worten etwas kritisieren, dann die Tatsache, dass er sie nach dem Sturz dieses Mal in Misano und nicht nach seinem Sieg 2014 in Aragon, ebenfalls bei brandgefährlichen Verhältnissen und Flag-to-Flag-Chaos, an die Öffentlichkeit gerichtet hat.