"Ich bin absolut bereit für einen Zweikampf gegen Valentino auf der Strecke, auch wenn ich in der Vergangenheit eigentlich jedes Mal verloren habe", stellte Jorge Lorenzo am Donnerstag vor dem Rennwochenende in Misano selbstbewusst fest. Am Sonntag sollte es tatsächlich zum direkten Duell der beiden Titelrivalen kommen - und Lorenzo einmal mehr das Nachsehen haben. Weil er im Grand Prix von San Marino einfach langsamer war? Mit Sicherheit nicht. Weil ihm einmal mehr die nötige Durchschlagskraft im Zweikampf fehlte? Auch nicht. Lorenzo machte viel mehr einen Fehler, der noch jedem Gegner Rossis teuer zu stehen kam. Er ließ sich von ihm in eine Falle locken.

Rossis Strategie mit dem sehr späten zweiten Stopp war im Hinblick auf den Rennsieg vollkommen falsch. Auf den bereits völlig verschlissenen Regenreifen fuhr Rossi über mehrere Runden hinweg über zehn Sekunden langsamer als die Konkurrenz auf Slicks. Einem Routinier wie Rossi musste klar sein, dass auch für ihn ein frühestmöglicher Wechsel zurück auf das Trockenmotorrad die beste Wahl wäre, um ein gutes Rennergebnis zu erzielen. Doch darum ging es dem Doktor dieses Mal nicht.

Den Sieg überließ Rossi dieses Mal gerne Marc Marquez, Foto: Bridgestone
Den Sieg überließ Rossi dieses Mal gerne Marc Marquez, Foto: Bridgestone

Denn viel wichtiger als ein zweifelsohne schöner Sieg vor seiner Haustür, ist Rossi der Gewinn seines zehnten Weltmeistertitels. Das gab er nach dem Rennen ganz offen zu. Und um den Titel kämpft Rossi nicht gegen Smith oder Redding und wohl auch nicht mehr gegen Marquez, sondern nur gegen einen Mann: Jorge Lorenzo.

Lorenzo wird nervös

Lorenzo ist im Trockenen in dieser Saison für Rossi kaum zu biegen. Das wissen die beiden Ausnahmekönner selbst nur zu gut. Für Rossi gilt es also, Rennen bei schwierigen Verhältnissen wie zuletzt in Silverstone oder nun in Misano bestmöglich auszunützen. Der Altmeister weiß, wie unwohl sich Lorenzo in brenzligen Situationen fühlt und genau da glänzt Rossi so richtig. Während der Mann mit der Nummer 46 Runde um Runde abspulte, obwohl bereits Brocken aus seinen Regenreifen gerissen wurden, begann Lorenzo zu straucheln.

Er war es schließlich, der vor Rossi an die Box kam. Seine Outlap versuchte Lorenzo bestmöglich zu nutzen, um vor seinem Rivalen zu landen. Er pushte, so stark es ihm möglich war. Doch in Kurve 15 war Lorenzo über dem Limit unterwegs, verlor die Kontrolle über seine Yamaha und stürzte. Null Punkte für den Mallorquiner. Er hatte sich von Rossi in einen Fehler hetzen lassen, während der seinen Vorsprung um weitere elf Punkte vergrößerte. In diesem Ausmaß wäre ihm das im Kampf um den Sieg nicht gelungen.

Rossi wurde auch als Fünfter wie der Sieger gefeiert, Foto: Milagro
Rossi wurde auch als Fünfter wie der Sieger gefeiert, Foto: Milagro

Natürlich weiß niemand wirklich, was sich im Kopf Rossis in den entscheidenden Runden abspielte. Doch wer seine mittlerweile 20 Saisons dauernde Karriere in der Motorrad-Weltmeisterschaft verfolgt hat, weiß, dass Rossi ein Meister der psychologischen Kriegsführung ist. Dazu gehörten oft auch markige Sprüche abseits der Strecke oder überharte Manöver darauf. Davon ist in diesem Jahr gegenüber Jorge Lorenzo nichts zu erkennen. Um einen Gegner mental zu zermürben, braucht es all das aber auch gar nicht. Das hat Rossi in Misano eindrucksvoll bewiesen.