Der erste MotoGP-Sieg eines Piloten fällt nicht selten höchst emotional aus, ist er doch nicht weniger als der Lohn für jahrelanges Schuften, Zerreißen und Quälen. Zudem kann der Premierenerfolg auch genau in einer besonders wichtigen Phase der eigenen Karriere kommen, wie sich das 2023 etwa bei Johann Zarco und Fabio Di Giannantonio zeigte. Während der eine seine wohl letzte Chance auf den großen Wurf endlich nutzte, lieferte der andere genau dann, als seine MotoGP-Zeit vor dem Ende stand. Beide haben sich damit in eine exklusive Liste der Grand-Prix-Sieger eingetragen. Eine Errungenschaft, die seit Start der Motorrad-Weltmeisterschaft im Jahr 1949 nur 406 Piloten [Stand 2023, Anm.] gelang.

Für manche dieser Piloten war der erste Grand-Prix-Sieg nur der erste von vielen, für Andere blieb er der Höhepunkt einer anschließend abfallenden Karriere. Nur 293 Fahrer konnten auch ein zweites Rennen gewinnen, nur 250 noch häufiger. Die Marke von zehn GP-Siegen erreichten lediglich 98 Piloten und mehr als 50 Grand-Prix-Siege gelangen einzig Ausnahmekönnern wie Marc Marquez, Jorge Lorenzo, Mick Doohan oder Mike Hailwood.

Johann Zarco versprüht Champagner auf dem Podium
Der erste Grand-Prix-Sieg ist immer besonders emotional, Foto: MotoGP

Valentino Rossi: Zweiter MotoGP-Pilot mit 100. GP-Siegen

Und dann gibt es da noch MotoGP-Legende Valentino Rossi: Dieser sicherte sich am 27. Juni 2009 mit seinem Triumph bei der Dutch TT in Assen einen besonderen Platz in den Geschichtsbüchern. Denn es war nicht weniger als sein 100. Grand-Prix-Sieg in der Motorrad-WM! Diese Marke hatte zuvor nur ein einziger Motorrad-Rennfahrer erreicht: Rekordweltmeister und Urgestein Giacomo Agostini. Dieser feierte seinen 100. von letztlich 122 GP-Siegen 1972 in Finnland - allerdings nicht in der Königsklasse, sondern im 350ccm-Rennen. Damals war es nämlich noch üblich, dass Fahrer zeitgleich in mehreren WM-Klassen antraten. Somit überrascht es auch nicht, dass Agostini in nur acht Jahren vom 1. zum 100. Grand-Prix-Sieg stürmen konnte.

Als Valentino Rossi 1996 in Tschechien im 125ccm-Rennen seinen ersten GP-Sieg feierte, war das aber längst nicht mehr üblich. Die Zeiten hatten sich geändert, jeder Fahrer trat nur noch in einer WM-Klasse an. Und das erschwerte es natürlich ungemein, eine hohe Anzahl an Grand-Prix-Siegen zu erringen. Mitte der 90er-Jahre deutete deshalb vieles daraufhin, dass Agostini auf ewig der einzige Pilot im 100er-Klub bleiben könnte. Es hätte schon einen Rennfahrer von einmaligem Ausnahmetalent gebraucht, um daran noch etwas zu ändern - doch Valentino Rossi war eben genau dieser.

Bereits mit zwei WM-Titeln und 26 Grand-Prix-Siegen im Gepäck debütierte 'The Doctor' 2000 in der Königsklasse. Nach kurzer Anlaufzeit in den ersten Rennen gelang auch dort schnell der erste Sieg im Donington Park, der den Auftakt zu nicht weniger als neun Jahren Rossi-Dominanz in der MotoGP darstellen sollte. Zwischen 2001 und 2008 gewann der Italiener zunächst für Honda, dann in Yamaha-Diensten nicht weniger als 69 der 134 Rennen, die er startete. Eine unfassbare Quote von 51,5 Prozent, die seither nur Marc Marquez in seiner Hochzeit wiederholen konnte.

Valentino Rossi dominierte die MotoGP über viele Jahre, Foto: Gauloises Racing
Valentino Rossi dominierte die MotoGP über viele Jahre, Foto: Gauloises Racing

Valentino Rossi vor der MotoGP-Saison 2009: Geschichte steht bevor

Vor dem Start der MotoGP-Saison 2009 war klar, dass Titelverteidiger Rossi in diesem Jahr Geschichte schreiben könnte. Er benötigte nur noch drei Siege, um im 100er-Klub anzukommen. Der Erste davon folgte in Jerez und wenige Wochen später stand Rossi - nach legendärem Duell mit Teamkollege Jorge Lorenzo - in Barcelona ein zweites Mal ganz oben. Pünktlich zur Dutch TT, dem siebten Saisonrennen, war es damit so weit: Nur ein Sieg fehlte noch zur sensationellen Marke von 100 Grand-Prix-Siegen nach 217 Rennstarts und 13,5 Jahren Motorrad-WM.

Als sich Rossi am Freitag mit seiner ersten richtigen Pole Position des Jahres - in Japan fiel das Qualifying wetterbedingt aus, das FP1-Ergebnis bescherte ihm Startplatz eins - auch noch in die beste Ausgangslage für MotoGP-Geschichte brachte, blickte am Rennsamstag die gesamte Motorradwelt gespannt nach Assen. Und der Doktor lieferte eine ebenso bemerkenswerte wie würdige Vorstellung ab. Zwar verlor er den Sprint zur ersten Kurve gegen Schnellstarter Dani Pedrosa, holte sich die Führung aber schon im zweiten Umlauf zurück und gab sie in der Folge auch nicht mehr ab. Pedrosa stürzte beim Versuch zu folgen, Jorge Lorenzo und Casey Stoner konnten ohnehin nicht mithalten.

Valentino Rossi war 2009 in Assen in einer eigenen Liga unterwegs, Foto: Milagro
Valentino Rossi war 2009 in Assen in einer eigenen Liga unterwegs, Foto: Milagro

Dutch TT 2009: Rossi-Dominanz sorgt für Langeweile

5,5 Sekunden brachte Rossi bis zur Zieldurchfahrt zwischen sich und seinen aufbrausenden Yamaha-Teamkollegen. Vorjahres-WM-Rivale Stoner musste sich sogar um mehr als 23 Sekunden geschlagen geben. Zu keinem Zeitpunkt geriet der geschichtsträchtige Sieg auch nur eine Sekunde in Zweifel. Es war eine Galavorstellung Rossis, die zugegebenermaßen für ein recht unspektakuläres Rennen sorgte. Einzig der Sechskampf im Mittelfeld zwischen Nicky Hayden, Randy de Puniet, James Toseland, Loris Capirossi, Mika Kallio und Toni Elias bescherte den knapp 110.000 Zuschauern vor Ort etwas Unterhaltung.

Zumindest nach Rennende lieferte Rossi seinen anwesenden Fans aber noch ein echtes Highlight. Während der Auslaufrunde stoppte der Yamaha-Star am Ende der Gegengerade 'Veenslang', um dort eine seiner berühmten Siegesfeiern abzuhalten. Dort entrollte der Doktor ein knapp zwei Meter hohes und über 20 Meter langes Poster, auf dem sämtliche seiner zuvor errungenen 99 GP-Siege zu sehen waren. Am Ende der Posterwand war eine große '100' aufgedruckt. Neben dieser ließ sich Rossi anschließend fotografieren und den Moment für die Ewigkeit festhalten.

Valentino Rossi feiert Grand-Prix-Sieg Nr. 100, Foto: Milagro
Valentino Rossi feiert Grand-Prix-Sieg Nr. 100, Foto: Milagro

Das Kuriose: Nach jenem Sieg in der Dutch TT 2009 schien es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Rossi seinen Landsmann Agostini als Rekordsieger der Motorrad-WM ablösen würde. Doch dazu kam es nie - obwohl der Doktor noch weitere 12 Jahre in der Königsklasse fahren sollte. Zwar errang Rossi 2009 noch drei weitere Siege und gewann auch den Saisonauftakt 2010, verletzte sich dann beim Heimspiel in Mugello aber zum ersten Mal in seiner Karriere schwer. Anschließend sollte er nie wieder der Alte werden und nur noch elf weitere Siege einfahren, letztmals im Juni 2017 - natürlich bei der Dutch TT in Assen. Mit insgesamt 115 Grand-Prix-Siegen liegt Rossi auf Platz zwei des All-Time-Rankings, knapp hinter Agostini (122) und deutlich vor Angel Nieto (90) und Marc Marquez (85).