Stefan Bradl hat ein Problem. Zugegeben, es ist ein Luxusproblem, aber das macht die Lage für ihn nicht weniger schwierig. Er ist ein guter MotoGP-Pilot, wahrscheinlich sogar ein sehr guter. Doch ist er absolute Weltklasse, wie ein Marc Marquez, Valentino Rossi, Jorge Lorenzo oder Dani Pedrosa? Wohl kaum. Das scheint Bradl mittlerweile selbst realisiert zu haben. "Der Unterschied zu den Werkspiloten ist zwar fast nicht vorhanden - auf manchen Strecken ist es vielleicht eine Zehntelsekunde pro Runde - aber dafür gibt es unterschiedliche Gründe und das sind sicher auch fahrerische", meinte er im Gespräch mit der offiziellen Seite der MotoGP.

Mit dieser ehrlichen und erfreulich selbstkritischen Einschätzung trifft Bradl den Nagel auf den Kopf. Für ein Werksbike fehlt ihm einfach das gewisse Etwas, das die großen Champions der Geschichte ausmacht. Andererseits ist Bradl aber auch talentierter und schneller als mindestens die Hälfte des restlichen MotoGP-Starterfelds und somit für ein Engagement in einem Nachzüglerteam definitiv überqualifiziert. Die ideale Position für einen Mann seines Kalibers wäre seine aktuelle, nämlich die in einem konkurrenzfähigen Kundenteam. Doch in dieser Lage muss ein Fahrer klarerweise regelmäßig überzeugende Leistungen abrufen, ansonsten verlieren sowohl Hersteller als auch Team schnell die Geduld mit dem Piloten.

Lucio Cecchinello ist mit Bradls Leistungen nicht zufrieden, Foto: Milagro
Lucio Cecchinello ist mit Bradls Leistungen nicht zufrieden, Foto: Milagro

Ungenützte Möglichkeiten

Genau das passiert in dieser Saison mit Bradl. Oft hatte der Zahlinger die Chance auf ein Spitzenergebnis, eingefahren hat er es mit Ausnahme von Rang vier in Austin und Platz fünf in Barcelona jedoch nie. War das immer sein Fehler? Bei Leibe nicht. In Mugello wurde er von Cal Crutchlow abgeschossen, am Sachsenring vergeigte seine Crew den Umbau von Regen- auf Trockensetup. Doch das wird Bradl im Vertragspoker um die Satelliten-Honda nicht helfen. Was zählt, sind Resultate. Punkte, Podien, Siege - sonst nichts.

In Katar stürzte Bradl in Führung liegend, Foto: Milagro
In Katar stürzte Bradl in Führung liegend, Foto: Milagro

An den Werkspiloten wird Bradl von HRC nicht gemessen werden, doch mit den Espargaro-Brüdern und Andrea Iannone musste Bradl auch anderen Satelliten- oder gar Open-Fahrern in dieser Saison bisher den Vortritt lassen, mit denen er sich sehr wohl vergleichen lassen muss. Kann er hier den Rückstand nicht schlecht beseitigen, steht sein Abschied bei LCR Honda so gut wie fest.

Dann bleiben ihm eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Der Weg in ein kleineres und weniger konkurrenzfähiges Team der MotoGP oder der Schritt zurück in die Moto2, den Bradl zuletzt schon nicht mehr ausschließen wollte. Es wäre zwar eine nicht unvernünftige Entscheidung des Zahlingers, andererseits aber auch der endgültige Beweis für Bradls Scheitern in der Königsklasse. Immerhin war er 2012 als amtierender Moto2-Weltmeister in die MotoGP gewechselt und träumte wie seine Kollegen davon, es auch dort zu schaffen.