Es war eine durchaus mutige Ansage vor dem Saisonauftakt der Formel E in Mexiko City. "Grundsätzlich wollen wir Porsche schlagen. Wir verfolgen unsere eigenen Prioritäten", sagte Andretti-Teamchef Roger Griffith während der Dezember-Testfahrten in Valencia. Dem neuen Motoren-Lieferanten aus Zuffenhausen in der Saison 2023 nur hinterherzufahren, das kam für den erfahrenen Griffith und seinen US-Rennstall nicht in die Tüte.
Gesagt, getan! In Mexiko beim ersten Rennen mit den neuen Gen3-Autos gelang dem Traditionsteam tatsächlich der Coup. Jake Dennis führte Andretti zu einem dominanten Sieg mit fast acht Sekunden Vorsprung, während Porsche-Werksfahrer Pascal Wehrlein die Ziellinie nach einer überzeugenden Leistung als Zweiter überquerte.
Seltenheitswert: Kundenteam schlägt Werksteam
Kundenteam schlägt Werksteam - das sieht man selten in der heutigen Welt des Motorsports. Und noch seltener bei Porsche in Weissach, schließlich hatte der Sportwagenbauer bei seinen zahlreichen Engagements stets darauf geachtet, dass niemals ein Werks- gegen ein Kundenteam antreten würde. In der Formel E ticken die Uhren bekanntermaßen etwas anders, und in der Elektro-Serie ist es 2023 ohnehin Standard für Hersteller, ihre Antriebsstränge an Kundenteams auszuliefern. Jaguar, Mahindra, DS und Nissan halten es ähnlich, nur der chinesische Autobauer NIO tanzt Solo.
Dass Kundenteams in der Formel E ihren Lieferanten 'auf der Nase herumtanzen' können, ist bekannt. Man erinnere sich nur an die Zeiten des Audi-Werksteams, das zeitweise seine liebe Mühe mit dem damaligen Kunden Virgin/Envision hatte. Gleiche Rennwagen machen es möglich, die Teams können sich nur durch ihre Fahrer, die internen Abläufe wie Strategien und die Software unterscheiden.
Porsche-Power in Mexiko: Ergebnis-Überblick
Fahrer | Team | Startaufstellung Ergebnis | |
---|---|---|---|
Jake Dennis | Andretti-Porsche | 2 | 1 |
Pascal Wehrlein | Porsche | 6 | 2 |
Andre Lotterer | Andretti-Porsche | 4 | 4 |
Antonio Felix da Costa | Porsche | 9 | 7 |
Andretti wiederholt Generations-Auftakterfolg
Und so war es Jake Dennis, der Andretti den ersten Sieg in der Gen3-Ära bescherte. Bemerkenswert: 2018 in Saudi-Arabien, noch als BMW-Einsatzteam, gelang der Einsatzmannschaft um Roger Griffith ebenfalls ein Sieg zu Beginn eines neuen Reglements, damals zum Gen2-Auftakt mit dem heutigen Porsche-Werksfahrer Antonio Felix da Costa am Steuer des Andretti-BMW.
Porsche dürfte die 'Niederlage' gegen das Kundenteam in Mexiko-City am vergangenen Samstag locker verschmerzen können. Stattdessen konnte sich der Hersteller über einen mehr als gelungenen Einstand in das im Vorfeld mit großer Spannung und Sorge erwartete Gen3-Zeitalter freuen. Mit Dennis und Wehrlein gelang Porsche einen Motoren-Doppelsieg, hinzukamen der vierte Platz von Andretti-Neuzugang und Porsche-Werksfahrer Andre Lotterer sowie P7 durch den Ex-Champion Felix da Costa.
Porsche-Motorsportchef Laudenbach: "Das kann sich sehen lassen"
"Ein Doppelsieg und vier Porsche 99X Electric Gen3 in den Top7 - das kann sich sehen lassen", quittierte Porsche-Motorsportchef Thomas Laudenbach in Mexiko-City. "Wir haben gezeigt, dass wir liefern können. Jetzt geht es darum, dieses Niveau im weiteren Saisonverlauf möglichst zu halten." Die nächste Bewährungsprobe wartet um die Ecke, in weniger als zwei Wochen steht der Double-Header in Saudi-Arabien (27./28. Januar) auf dem Programm.
Gelingt es Porsche diesmal, sich konstant im Reigen der Titel-Anwärter einzuquartieren? Danach hatte es bereits in der Saison 2022 gesehen, als dem Porsche-Duo Wehrlein/Lotterer - ausgerechnet in Mexiko-City - ein dominanter Doppelsieg gelang, das Team in der Folge aber nicht ansatzweise an diese herausragende Performance anknüpfen konnte und sich letztendlich mit Platz sieben in der Team-Meisterschaft begnügen musste.
Wohlwissend um das gänzlich andere Streckenlayout in Saudi-Arabien und immer noch viele, viele Unabwägbarkeiten der Gen3-Autos, freute sich Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger über den hoffnungsvollen Saisonstart, wählte seine Worte aber geschickt und mit Bedacht: "Wir wissen jetzt, wo wir auf einer Strecke mit dieser Charakteristik im Vergleich zur Konkurrenz stehen." Heißt im Klartext: Beim nächsten Rennen kann es wieder ganz anders ausschauen.
Porsche-Power überzeugt auf ganzer Linie
Modlinger dürfte gefallen haben, dass die Rennwagen mit Porsche-Power in Mexiko durchweg überzeugen konnten. Das Qualifying am Samstagvormittag spiegelte nur bedingt die wahre Hierarchie wieder, weil dem späteren Rennsieger Dennis im Finale der K.o.-Phase gegen Lucas di Grassi (Mahindra) ein Fahrfehler unterlief.
Zuvor im Halbfinale hatte der kurzzeitige DTM-Pilot (R-Motorsport) die mit Abstand beste Rundenzeit gesetzt. "Ich hätte ins Finale kommen können, wenn ich nicht gegen das schnellste Auto gefahren wäre", sagte Dennis' Halbfinal-Gegner und Landsmann Jake Hughes, der beim Debüt von McLaren mit Platz fünf im Rennen positiv überraschte. Passend zum Gesamtbild: Im Viertelfinale des Qualifyings hatte Dennis den Porsche-Werksfahrer Wehrlein rausgeworfen.
Griffith: "Lotterer enttäuscht - Großartiges Ergebnis"
Während sich Dennis im Rennen für seinen Qualifying-Patzer revanchierte und in Runde 12 seinerseits einen Verbremser von Pole-Setter di Grassi nutzte, um die Führung zu übernehmen, profitierte Teamkollege Lotterer ebenfalls von einem Fehler seines Vordermannes. In der 41. und letzten Rennrunde sorgte ein Missverständnis bei McLaren über gelbe Flaggen dafür, dass Hughes kurzzeitig den Fuß vom Gas nahm und ihn Lotterer locker überholen konnte.
Dass der dreifache Le-Mans-Sieger, der dieses Jahr parallel zur Formel E im LMDh-Programm von Porsche startet, nicht den Porsche-Antrieb-Dreifachsieg eintüten konnte, dürfte ihn gefuchst haben. "Ich weiß von Andre, dass er unglaublich enttäuscht ist, kein Podium erreicht zu haben", sagte Teamchef Griffith über Lotterer. "Aber ein vierter Platz im Großen und Ganzen in dieser Meisterschaft ist ein großartiges Ergebnis."
"Hoffentlich kein Ein-Strecken-Wunder"
Dass Porsche in der Lage sein würde, ab Mexiko um Siege und Podestplätze zu fahren, hatten Formel-E-Experten nie bezweifelt. Bei den einzigen Vorsaison-Testfahrten in Valencia glänzten Wehrlein und Felix da Costa mit großer Zuverlässigkeit, während man sich die Rundenzeiten ohnehin getrost schenken konnte, wie wir mehrfach berichtet hatten. Die Zuversicht im Porsche-Lager war spürbar, vor allem im Vergleich zu Zeiten, als Probleme mit Einheitsbauteilen bei privaten Testfahrten ungewohnt laute Kritik aus dem Lager der Zuffenhausener hervorriefen.
Auf Andretti-Seiten herrschte hingegen größere Skepsis, wie Griffith nach dem Mexiko-Triumph einräumte: "Nach einer kleinen Enttäuschung aus Valencia in Bezug auf unsere Pace waren die Bemühungen des Teams in der Weihnachtspause, das Ruder herumzureißen und ein super-konkurrenzfähiges Auto auf die Rennstrecke zu bringen, beeindruckend. Hoffentlich können wir beweisen, dass wir kein 'Ein-Strecken-Wunder' sind und bei den nächsten beiden Rennen in Saudi-Arabien ein starkes Ergebnis einfahren."
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