Das erste Rennen der Formel E mit den viel diskutierten Gen3-Autos wird nicht unbedingt als 'Klassiker' in die Geschichtsbücher der Elektro-Rennserie eingehen. Das dürfte den Teams und Verantwortlichen aber relativ egal sein. Nach all den - berechtigten - Sorgen im Vorfeld rund um Zuverlässigkeit, Sicherheit oder einen Mangel an Ersatzteilen, kann das Fahrerlager erst einmal kollektiv aufatmen. Der Saisonauftakt in Mexiko-City ging in weiten Teilen ohne größere Probleme über die Bühne.

Dass sich die Spannung im Rennen vor den Augen der 45.000 Zuschauer im Autodormo Hermanos Rodriguez phasenweise in Grenzen hielt, kam wenig überraschend. Für die Fahrer und Teams ging es mit den 350 kW (476 PS) starken Gen3-Boliden in erster Linie darum, das 41 Runden lange Rennen sauber über die Bühne zu bringen.

Das zeigte sich allein schon bei den zum Teil klaffenden Abständen der noch wenig bekannten Autos zum Rennstart sowie bei den Re-Starts nach insgesamt drei Safety-Car-Phasen (Kollision von Frijns samt Handgelenkbruch, Technik-Ausfall von Bird, Mortara-Unfall nach Übersteuern).

Zu früheren Zeiten sahen die Fahrer diese Situationen als äußerst willkommene Gelegenheit, Positionen zu gewinnen - gerne auch einmal mit der ausgepackten Brechstange. In Mexiko gingen die Piloten auffällig vorsichtig zu Werke; wohl auch aus der Sorge heraus, dass die neuen Frontmotoren in den hochkomplexen Boliden bei Kontakten einen kapitalen Schaden auslösen könnten.

Formel-E-Auftakt: Sicherheit statt Spektakel

Die Gen2-Generation galt als deutlich robuster im Vergleich zu den Nachfolgern, die mit ihren offenen Radhäusern wieder mehr an ein klassisches Formelauto erinnern; und in lackierter Form optisch einen deutlich besseren Eindruck hinterlassen als bei der Präsentation befürchtet...

Damit dürften die Zeiten der 'Auto-Scooter-Rennen' mit mehr Kontakten als Rennrunden erst einmal vorbei sein. Das müsste dem traditionellen Motorsport-Fan durchaus gefallen, geht aber auf Kosten des puren Spektakels. Kommt das bei neuen Zuschauern gut an? Die Quoten bei ProSieben zur Prime Time am Samstagabend waren überschaubar: 1,8 Marktanteil (480.000 Zuschauer) gesamt und 4,0 Prozent (230.000 Zuschauer) in der Zielgruppe lagen unter dem Vorjahresschnitt. Die drei ermüdenden Safety-Car-Phasen früh im Rennen halfen sicherlich nicht.

Foto: LAT Images
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Zahlreiche Überraschungen zum Gen3-Auftakt

'Safety First', das schien in Mexiko-City das oberste Motto zu sein. Spannungsmomente bot das erste Rennen der neuen Ära dennoch: Kaum jemand hätte etwa geglaubt, dass Formel-E-Veteran Lucas di Grassi (Mahindra) mit seinem Energiemengen-Nachteil in der Schlussphase des Rennens tapfer den dritten Platz verteidigen würde. Ebenso Andre Lotterer (Andretti), der mit einem beherzten und blitzblanken Überholmanöver in der letzten Runde gegen McLaren-Rookie Jake Hughes den vierten Platz eroberte.

Dass Jake Dennis aus dem neuen Porsche-Kundenteam Andretti einen derart dominanten Sieg mit knapp acht Sekunden Vorsprung erzielen würde, hatte wohl kaum jemand auf dem Zettel. In einer Rennserie, in der das Energie-Management eine ganz entscheidende Rolle spielt und automatisch zu meist engen Abständen beim Zieleinlauf führt, ist das eine eigene Liga.

Porsche startet als Favorit in die Saison 2023

Den Sieg leitete der hochtalentierte Brite und Red-Bull-Testfahrer vom zweiten Startplatz mit einem Überholmanöver gegen Pole-Setter di Grassi - ebenfalls eine Überraschung nach seiner letzten Pole im Jahr 2017 - ein, demnach aus eigener Kraft. So, wie man es sich im Motorsport wünscht.

Da alle vier von einem Porsche-Motor angetriebenen Rennwagen in Mexiko-City in die Top-4 des Klassements fuhren, ist der Favorit für die ersten Rennen der neuen Saison bereits gesetzt. Zwar könnte es in zwei Wochen beim nächsten Rennwochenende in Saudi-Arabien auf einem gänzlich anderen Kurs wieder ganz anders aussehen, aber die momentane Hierarchie im Feld ist für den Zuschauer gut nachvollziehbar.

Attack Mode: Neue Regeln mit Fragezeichen

Weniger nachvollziehbar hingegen wirkt die neue Attack-Mode-Regelung, die den Fahrern und Teams jetzt deutlich mehr Freiheiten lässt. War die Anzahl und Dauer der Zusatzleistung bislang von der FIA vorgeschrieben, können die Teilnehmer nun selbst entscheiden, wie sie den Power-Boost in zwei Phasen zu 2+2 oder 1+3 Minuten nutzen. Waren die Rennen in der Vergangenheit aus taktischer Sicht oftmals von den Attack Modes geprägt, wirkte das DRS-Pendant zur Formel 1 jetzt mehr wie ein Verteidigungs-Werkzeug. Eine Ausnahme bildete Pascal Wehrlein, dem mittels Attack Modes zwei Platzgewinne auf dem Weg vom sechsten Startplatz bis auf das Podium gelangen.

Di Grassis starker Auftritt im Mahindra sowohl im Qualifying als auch im Rennen, Jake Hughes' fünfter Platz beim McLaren-Debüt oder auch die Top-10-Ergebnisse der beiden Envision-Boliden mit ihren Jaguar-Kundenmotoren machen der Konkurrenz Hoffnung auf noch bessere Ergebnisse. Überraschend war das kollektiv mittelmäßige Abschneiden der vier enorm stark besetzten DS-Motoren-Autos von DS Penske (Weltmeister Stoffel Vandoorne und Zweifach-Champion Jean-Eric Vergne) und Kundenteam Maserati (Maximilian Günther und Edoardo Mortara), die im Vorfeld von einigen Medien und Fans als große Favoriten angepriesen wurden.

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Gen3-Autos noch nicht schneller als Vorgänger

Ebenso vor Mexiko diskutiert wurde die Performance der neuen Gen3-Autos. Was sich bei den Testfahrten Ende Dezember in Valencia andeutete, bestätigte sich in Mexiko: Bei den "schnellsten, leichtesten und effizientesten" Elektro-Rennwagen der Welt (O-Ton der Formel E) trifft erster Punkt aktuell nicht zu. Einen Gesamtvergleich zwischen Gen2 (250 kW) und Gen3 (350 kW) ließ der Mexiko-Auftakt wegen einer zusätzlich verbauten Schikane auf der Gegengeraden zwar nicht zu.

Mit Blick auf einzelne Sektorenzeiten zeigte sich aber, dass die neue Auto-Generation kaum deutlich schneller war ihre Vorgänger. Ein Teil dieses Phänomens wird dem neuen Reifenlieferanten Hankook zugeschrieben, der auf Anweisung der FIA ganz offensichtlich langanhaltendere und noch robustere Produkte entwickeln sollte als Vorgänger Michelin. Sicherlich mit Blick auf die Sicherheit bei Regenrennen, nachdem es unter nassen Bedingungen bei abbauenden Allwetter-Reifen immer wieder kolossal gekracht hatte.

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Die Sicherheit geht wenig überraschend auf Kosten der reinen Performance und dürfte mehrere Sekunden pro Runde ausmachen. Bei allem Verständnis für den Aspekt der Nachhaltigkeit werden die Rufe immer lauter, auch in der Formel E auf die klassische Aufteilung zwischen Slick- und Regenreifen zu setzen, um das wahre Potenzial der Rennwagen zeigen zu können. Wenngleich das zeitweise starke Herumrutschen der Autos und am Lenkrad kämpfende Fahrer mangels früh anliegendem Grip sicherlich auch seinen Reiz bietet.

Nach dem im Gesamtbild hoffnungsvollen Auftakt in die Gen3-Ära dürfte es ein kollektives Aufatmen im Fahrerlager der Formel E geben. Nie zuvor herrschten im Motorsport der vergangenen Jahre derart große Bedenken im Vorfeld. Dass die FIA mit Hochdruck an einem nachträglich einzubauenden Sicherheits-Bremssystem arbeitet, zeigt glasklar, dass die Sorgen ihren Grund hatten und haben. Ein schwerer Unfall in Folge eines System-Aussetzers hätte alles andere in Mexiko in den Schatten gestellt, das blieb der Elektro-Serie zum Auftakt in ihre neunte Saison glücklicherweise erspart.