Wie lautet ihr Fazit zur Leistung von Audi in der fünften Saison der Formel E? Hat das Team seine Ziele erreicht?
Dieter Gass: Es war eine gute Saison, auch, wenn wir die Ziele nicht ganz erreicht haben. Natürlich wollen wir Meisterschaften gewinnen, deshalb nehmen wir teil. In einer engen Serie wie der Formel E geht es zunächst einmal darum, wettbewerbsfähig zu sein und Rennen gewinnen zu können. Das ist uns gelungen und wir haben es mit dem zweiten Platz in der Teammeisterschaft auch dokumentiert.

Eine Weile war Audis neues Kundenteam Virgin Racing in der Meisterschaft besser platziert als die Werksmannschaft. Wie ist das einzuordnen?
Dieter Gass: Wir haben Virgin als Kundenteam dazu genommen unter der Prämisse, dass sie von Beginn an mit dem gleichen Material arbeiten wie wir. Damit sollten sie wettbewerbsfähig sein - auch gegen uns. Ich sehe sie gern erfolgreich, obwohl ein lachendes und ein weinendes Auge dabei ist. Schließlich wollen wir in erster Linie mit dem Werksteam gewinnen. Und in der Meisterschaft sind wir ja auch vor ihnen gelandet.

Jean-Eric Vergne sagte uns nach seiner Titelverteidigung, dass beim Finale in New York ein Krieg zwischen seinem Team DS Techeetah und Audi geherrscht habe. Was war wirklich hinter den Kulissen los?
Dieter Gass: Was er in dem Interview gesagt hat, stimmt teilweise nicht. Der Protest, den Techeetah gegen uns eingelegt hat, war in meinen Augen vollkommen lächerlich. Das zeigte, wie nervös die waren. Und da kommt der angesprochene Krieg ins Spiel. Den hat es aus psychologischer Sicht gegeben, was aber auch ganz normal ist, wenn zum Saisonende zwei Teams und Fahrer um die Meisterschaft kämpfen. Uns hat die Art und Weise, wie gegen uns vorgegangen wurde, nicht gefallen. Diese Unterstellung (Techeetahs Protest gegen eine angeblich überharte Fahrweise von Audi-Pilot Lucas di Grassi wurde abgelehnt; d. Red.) fand ich unterirdisch. Das hat natürlich dazu geführt, dass wir uns etwas kritischer angesehen haben, was die so machen und wir haben uns darauf vorbereitet, zurückzuschlagen. Aber: Wir haben zu keiner Zeit einen Protest gegen Techeetah eingelegt und es ist auch niemand aus unserem Team mit einem Geldkoffer zur Rennleitung gegangen.

Was halten Sie von Vergnes kontroversem Funkspruch im Samstagsrennen, als er mehrfach eine Safety-Car-Phase forderte ("Sagt Andre, er soll stoppen"), laut eigener Aussage, weil er sich um seine Sicherheit und die anderer Fahrer sorgte? Es gab Stimmen, die behaupteten, er habe sich einen sportlichen Vorteil verschaffen wollen. Die Rennleitung belegte ihn nachträglich mit Sozialstunden.
Dieter Gass: Was da abgelaufen ist, war einfach nicht in Ordnung. Sportliches Verhalten ist für mich etwas anderes. So einen Quatsch zu erzählen und zu sagen, er habe sich Sorgen um die Fahrer gemacht... Sorry, das kann doch kein Mensch glauben. Und vor allem sage ich das dann nicht dreimal am Funk. Das Gute war, dass Techeetah nicht auf den Funkspruch reagiert hat. Dadurch ist letztendlich ja nichts passiert und es obliegt der FIA, wie auf so etwas reagiert wird.

In der Saison 2018/19 hat das neue Gen2-Auto seinen Vorgänger abgelöst. Wie bewerten Sie die Performance des leistungsstärkeren Rennwagens?
Dieter Gass: Das neue Auto war auf alle Fälle ein ganz deutlicher Schritt nach vorne. Allein die Tatsache, dass der Fahrzeugwechsel zur Rennmitte weggefallen ist, hat dieser Tatsache geholfen. Die Befürchtungen, dass dadurch ein Spannungselement wegfällt, haben sich nicht bestätigt. Was mir im Zuge der neuen Autos nicht gefallen hat, war die Thematik, dass das Energie-Management nicht mehr so entscheidend war wie in den Vorsaisons. Das hat in meinen Augen dazu geführt, dass die Rennen salopp ausgedrückt schlechter geworden sind. Es waren oft Vollgasrennen, bei denen Überholmanöver ohne Kontakt zu einer 'Mission Impossible' wurden, was dann wiederum zu vielen Rennabbrüchen und weniger Überholmanövern geführt hat. Aus dieser Sicht war die Saison nicht schlecht, hätte aber besser sein können.

Formel E 2019: Audis neuer FE06 auf der Rennstrecke (00:32 Min.)

Das neue Qualifying-Format, bei dem die Bestplatzierten in der Meisterschaft häufig benachteiligt waren, hat den Saisonverlauf stark geprägt. Ihr Fazit?
Dieter Gass: Grundsätzlich gefällt es mir besser als vorige Variante, denn eine Lotterie hat für mich im Sport eigentlich nichts zu suchen. Und es tut, was es tun soll: Es hält die Meisterschaft offen. Negativ ist aber, dass der erreichte Effekt zu stark ist. Und das vor allem in der ersten Qualifying-Gruppe, wo der Fahrer, der zuerst auf die Strecke geht, einen extremen Nachteil hat. Das führt zu Situationen, die wir nicht sehen wollen und die kein Mensch braucht, nämlich, dass alle versuchen, auf den letzten Drücker rauszufahren, was dann wiederum dazu führen kann, dass nicht jeder Fahrer überhaupt eine Zeitrunde fahren kann - siehe André Lotterer in Berlin. Ich würde mir wünschen, dass dafür eine Lösung gefunden wird.

Ab der Saisonmitte gab es zahlreiche Diskussionen über Daniel Abts Zukunft, bevor sein Vertrag vor dem Finale in New York verlängert wurde. Wie hat sich das auf das Team ausgewirkt?
Dieter Gass: Es ist keine unübliche Situation, dass ein Fahrer für die kommende Saison nicht unbedingt einen Vertrag hat. Es gibt Fahrer, die sich dadurch mehr oder weniger beeindrucken lassen und welche, die dadurch motiviert sind und ihr Können hervorheben wollen. Es gibt aber auch Fahrer, die sich davon ein bisschen einschüchtern lassen. Ich glaube nicht, dass sich das aufs Team ausgewirkt hat.

Daniel machte nach der offiziellen Bekanntgabe einen erleichterten Eindruck...
Dieter Gass: Er war sicherlich erleichtert. Dazu muss man aber auch sagen, dass ich gern sehen möchte, wie ein Fahrer mit Druck-Situationen umgeht. Er kann ja auch in eine Situation kommen, in der er ganz einfach liefern muss, weil er Meister werden will. Dann hat er auch Druck und muss damit umgehen können.

Daniel Abt steht vor seiner sechsten Saison in der Formel E, Foto: Audi Communications Motorsport
Daniel Abt steht vor seiner sechsten Saison in der Formel E, Foto: Audi Communications Motorsport

Welche Gründe haben den Ausschlag für Abt gegeben?
Dieter Gass: Die waren vielfältig. Man kann auf die Zahlen schauen: Daniel war der beste zweite Fahrer eines Teams. In der Meisterschaft hat er hinter den jeweils bestplatzierten Fahrern eines Teams die meisten Punkte geholt. Er ist auch der einzige Deutsche, der bislang ein Rennen in der Formel E gewonnen hat. Und mit Sicherheit ist es nicht komplett vernachlässigbar, dass wir einen deutschen Fahrer im Team haben. Bei einem Werkseinsatz überwiegt natürlich die Performance. Wir schauen uns aber das Gesamtbild an und das hat dazu geführt, dass wir Daniel für die Saison 6 bestätigt haben.

Nach unseren Informationen gab es bei Audi zwei Lager: Eines hat sich für Abt ausgesprochen, das andere für den aktuellen Formel-E-Ersatzfahrer und DTM-Stammpiloten Nico Müller. Können Sie das bestätigen?
Dieter Gass: Man kann sagen, dass es Leute gibt, die Nico gern im Formel-E-Auto sehen würden. Er ist eine bekannte Größe bei uns im Haus, nicht zuletzt wegen des DTM-Projekts, in dem er starke Leistungen zeigt. Auch das Formel-E-Projekt hat er durch seine Tätigkeit im Simulator sehr unterstützt. Intern haben sich Leute für den einen oder den anderen Fahrer ausgesprochen, das kann ich bestätigen.

Fiel Ihnen die Entscheidung für Abt und gegen Müller schwer?
Dieter Gass: Es war gar nicht unbedingt die Frage, ob es Nico oder Daniel wird. Die Grundsatzfrage war, ob wir mit Daniel weitermachen oder nicht. Und da gab es viele Gründe, die faktisch für ihn gesprochen haben.

Mit Mercedes-Benz und Porsche steigen zur kommenden Saison zwei weitere große Hersteller in die Formel E ein. Was bedeutet das für den Wettbewerb?
Dieter Gass: Ich glaube nicht, dass der Wettbewerb dadurch noch einmal so viel härter wird. Er befindet sich schon jetzt auf einem extrem hohen Niveau. Natürlich sind dann noch mehr Autos am Start, ich glaube aber nicht, dass das nach außen hin so stark sichtbar sein wird. Die Wahrnehmung der Formel E, besonders im deutschsprachigen Raum, wird aber sicherlich noch einmal ansteigen.

Mit Audi und Porsche treten zwei Hersteller aus dem VW-Konzern mit Werkseinsätzen gegeneinander an. Wie geht man damit um?
Dieter Gass: Auf der Rennstrecke ist Porsche für uns ein Gegner wie jeder andere auch, das ist mal klar. Es gab diesbezüglich im Vorfeld Gespräche. Die Le-Mans-Erfahrung, wobei es da ganz andere Budgets gab als in der Formel E und auch Reichweite und der Return of Invest ganz anders waren, hat dazu geführt, dass sich einer von beiden aus der Serie verabschiedet hat. In den Le-Mans-Zeiten war man aber auch mit unterschiedlichen Konzepten unterwegs, das hat die Reglementsituation schwierig gemacht. In einer solchen Situation befinden wir uns in der Formel E nicht. Man kann schon mit beiden Marken aus dem Konzern durchaus gegeneinander fahren, ohne in diesem Wettbewerb Geld zu verprassen. Wir schauen uns auch Themen an, die nicht den Wettbewerb betreffen, bei denen man Synergien nutzen und die Kosten in einem kontrollierten Rahmen halten kann.

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Die Automobilbranche und damit der Motorsport erleben keine einfachen Zeiten. Ist die Formel E die sicherste Rennserie, auf die man aktuell mit einem Werkseinsatz setzen kann?
Dieter Gass: Wenn man so viele Hersteller in einer Serie vertreten hat, funktioniert das immer nur für eine absehbare Zeit. Irgendwann wird der erste an einen Punkt angelangen, an dem er andere Interessen verfolgt und aussteigt. Das wird passieren, ist der normale Lauf der Dinge und hat nichts damit zu tun, dass der Hype der Formel E vorbei ist. Ist die Formel E die sicherste Serie? Schwer zu sagen. Mittelfristig werden wir auf der Straße mehr Verbrennungsmotoren sehen als elektrische Fahrzeuge. Deshalb sind andere Rennserien nach wie vor gefragt und bleiben ein wichtiges Vermarktungs-Werkszeug. Die Diskussion führen wir ja auch immer wieder bei der DTM. Aber mit den teuren Modellen in unserem Programm wird letztendlich das Geld verdient. Wenn ich die verkaufen möchte, muss ich etwas dafür tun. Dafür ist die DTM nach wie vor die ideale Plattform.