Finale in New York: Unsportliches Verhalten vom neuen Champion? (14:14 Min.)

"Sagt Andre, er soll stoppen... um das Safety Car rauszubringen". Jean-Eric Vergnes Funkspruch im Samstags-Rennen beim Formel-E-Finale in New York sorgte für große Diskussionen. Crash-Gate-Affäre oder eine nachvollziehbare Aufforderung des alten und neuen Champions?

Vergne erhielt wegen unsportlichen Verhaltens einen Tag Sozialstunden. Der Techeetah-Pilot gab den Funkspruch an seinen Renningenieur zu und argumentierte, dass er sich um seine eigene und die Sicherheit anderer Fahrer gesorgt hätte, als sein Teamkollege Andre Lotterer nach einer Kollision in die Streckenbegrenzung eingeschlagen war.

Die Stewards erwähnten, dass Vergnes Renningenieur nicht auf die Anweisungen eingegangen sei und akzeptierten die Erklärung des früheren Formel-1-Fahrers. Motorsport-Magazin.com weiß aus FIA-Kreisen: Hätte sein Team stattdessen reagiert und es wäre zu seiner (für ihn in diesem Fall vorteilhaften) Safety-Car-Phase gekommen, dann "wäre eine Bombe geplatzt"...

Motorsport-Magazin.com traf Vergne am Montagmorgen nach dem Finalrennen in Brooklyn zum Frühstück, ließ sich seine Sicht der Dinge erklären und konfrontierte ihn ebenso mit den Skandal-Vorwürfen.

Wie lief das Wochenende aus deiner Sicht?
Jean-Eric Vergne: "Es war ein schwieriges Wochenende. Wir wissen, dass in der Formel E alles passieren kann. Jeder hatte viele Höhe- und Tiefpunkte. Es ist unmöglich, mit diesem Qualifying-Format nur saubere Wochenenden zu haben. Im Rennen am Samstag lief es unglücklich. Es gab einen Stau. Deshalb habe ich angehalten. Die Autos hinter mir kamen an und ein, zwei haben mich getroffen. Ich hatte hinten einen Reifenschaden und mein Frontflügel war kaputt. Ich musste an die Box. Ich war froh, dass ich in der gleichen Runde wieder auf die Strecke kam."

Wie sah deine Gefühlslage zu diesem Zeitpunkt aus?
Jean-Eric Vergne: "Ich war sehr gestresst. Für mich war es so: Ich wollte am Samstag gewinnen. Alles andere wäre ein Versagen gewesen. Ich habe das Rennen als großen Misserfolg wahrgenommen, das war ein Rückschlag. Ich war zu hart zu mir selbst. Ich wollte einfach gut abschneiden an diesem Tag."

Wie kam die Idee für den Funkspruch ("Sagt Andre, er soll stoppen... um das Safety Car rauszubringen")?
Jean-Eric Vergne: "Das war ziemlich simpel, wenn du siehst, dass der Teamkollege eine Runde zurückliegt und sein Frontflügel kaputt ist. Ich fuhr durch die ersten beiden Kurven und er war außen in Kurve zwei. Sein Frontflügel war unter dem Auto und er in der Bande. Ich habe gesehen, dass er in der Streckenbegrenzung gestoppt hatte. Er hat versucht, rauszukommen."

"Wenn das Auto kaputt und er eine Runde zurück ist und es keine Punkte zu holen gibt, hätte jeder Fahrer in meiner Situation gesagt: Stoppe das Auto!"

"Ich habe nicht danach gefragt, dass er einen Unfall bauen soll. Nichts in der Art. Ich bin ja nicht dumm. Ich habe nach gar nichts verlangt. Was soll daran so falsch sein?"

"Aber ich nehme gern die Schuld auf mich, kein Problem. Ich bin zufrieden, wenn ich als gutes Beispiel vorangehe für alle Fahrer der Formel 1 und der Formel E, die sich ständig mit Blick auf ihren eigenen Vorteil am Funk beschweren: 'Der hat in der Schikane abgekürzt! Hier liegt ein Stück Karbon herum! Ihr solltet das Safety Car rausbringen!'

War dir bewusst, dass Funksprüche öffentlich zu hören sein können?
Jean-Eric Vergne: "Ja. Das ist wie in der Formel 1, wie bei Vettel: Wir brennen im Auto. Das lieben die Leute doch. Wenn wir Roboter wären, wäre das doch verdammt langweilig. Das wollen die Leute doch sehen. Die Fahrer sind doch die, die es interessant machen. In der Hitze des Gefechts zu sehen, wie die Fahrer brennen."

Wusstest du, dass eine deutsche Boulevard-Zeitung noch während des Rennens von einem 'Skandal' geschrieben hat?
Jean-Eric Vergne: "Das liegt an Audi. Das weiß ich. Ich habe gesehen, wie sie am Morgen zu den Stewards gegangen sind mit einem Papier und Geld. Ich habe sie mit einem Geldumschlag gesehen. Da können sie mich nicht anlügen. Du musst Geld zahlen, wenn du einen Protest einlegen willst. Das sind die Regeln."

Audi teilt auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com hierzu mit: "Wir haben keinen offiziellen Protest eingelegt, schließen uns aber der Meinung der Stewards an, dass solche Aussagen eines Champions nicht würdig sind."

Hier wird Lotterer in die Bande geschoben - zuvor hatte er Vergne am Heck getroffen, Foto: LAT Images
Hier wird Lotterer in die Bande geschoben - zuvor hatte er Vergne am Heck getroffen, Foto: LAT Images

Nach dem Rennen am Samstag hat Techeetah einen Protest gegen Audi eingelegt. Es ging um das angeblich zu harte Fahrverhalten von Lucas di Grassi gegen den eigenen Fahrer Andre Lotterer.
Jean-Eric Vergne: "Das kam nicht von mir, das kam von meinem Team. Ich wusste nicht, was die machen. Ich war in meinem Raum, habe mich geärgert und war traurig. Das war eine Rache an mir. Die sollen sie am Team nehmen, aber nicht an mir!"

"Ich habe nichts falsch gemacht. Vor allem ist Allan (McNish, Audi-Teamchef; d. Red.) ein Rennfahrer, er versteht so etwas. Jeder sollte das verstehen. Ich nehme da gerne die Schuld auf mich und mache einen Tag Sozialstunden, damit es aufhört, dass Fahrer - mich eingeschlossen - sich mit Funksprüchen einen Vorteil zu verschaffen."

"Ich finde die Strafe hart, wenn man überlegt, dass Vettel mal die gleiche Strafe bekommen hat, als er 'Fuck off, Charlie' sagte (beim Mexiko Grand Prix 2016, d. Red.). Auf so einem unterem Level war ich nicht."

Wusstest du vor dem letzten Rennen am Sonntag, was da abgeht?
Jean-Eric Vergne: "Ja."

Hat dich das abgelenkt?
Jean-Eric Vergne: "Nein, überhaupt nicht. Das war ja nichts Sportliches. Ich meine: Wovon reden wir hier eigentlich? Da wurde eine große Story draus gemacht. Die ist es aber nicht. Das war kein Crash-Gate."

Ist es gut für die Formel E, dass auch hinter den Kulissen so ein harter Kampf tobt?
Jean-Eric Vergne: "Das war ein Kampf, ein offener Krieg zwischen Audi und uns an diesem Wochenende. Und wenn du in der Mitte im Kreuzfeuer stehst, schaut jeder auf sich selbst. Ich habe nur auf die Meisterschaft geachtet und war damit sowieso ausreichend beschäftigt."

Vergne schaffte als erster Fahrer die Titelverteidigung in der Formel E, Foto: LAT Images
Vergne schaffte als erster Fahrer die Titelverteidigung in der Formel E, Foto: LAT Images

Wenn man dich nachträglich von der Saison disqualifiziert hätte, wäre Nissan-Fahrer Sebastien Buemi jetzt Meister...
Jean-Eric Vergne: "Wieso sollte man mich für die ganze Saison disqualifizieren? Ihr Medien müsst da mal ein bisschen runterkommen. Die Story war so klein. Wir haben (mit der Rennleitung; d. Red.) nur für fünf Minuten geredet. Wir haben da sogar gelacht, es war kein Problem. Alles war gut."