Bis zur 26. Runde steuert der Große Preis von Kanada auf ein Hamilton-Festival zu. Der junge Brite sollte in seinem erst sechsten F1-Rennen nach seiner ersten Pole Position auch seinen ersten Sieg feiern. Eine ganze Insel ist im Begriff Kopf zu stehen. Doch um 19:41 Uhr hält nicht nur die Insel den Atem an - die ganze Formel 1 hält inne, bangt, hofft, starrt entsetzt auf das, was von Robert Kubicas BMW Sauber übrig geblieben ist. Auf den rot-blauen Helm des Polen, der regungslos in den umgekippten Wrackteilen liegt - unverletzt.

Robert Kubica war nur noch Passagier., Foto: Sutton
Robert Kubica war nur noch Passagier., Foto: Sutton

Kubica versuchte Jarno Trulli zu überholen; der Versuch scheiterte. Der F1.07 kam von der Ideallinie ab, hob beinahe ab, drohte sich rückwärts zu überschlagen, raste dann nahezu ungebremst frontal in eine Mauer, prallte auf die Strecke in den Verkehr zurück, überschlag sich seitlich und kam erst an einer weiteren Mauer zum Stehen. Kubica war zu diesem Zeitpunkt für einige Sekunden bewusstlos, aber unverletzt. Der BMW Sauber-Pilot trug nur eine leichte Gehirnerschütterung und einen verstauchten Knöchel davon. Unverletzt.

Unwichtiger Sieg

Eine knappe Viertelstunde nach dem Unfall wird das Rennen wieder freigegeben, das Safety Car sollte aber noch ganze drei Mal auf den Kurs rollen. "Der einzige, der heute ein problemfreies Rennen hatte, war Lewis Hamilton", sagte Flavio Briatore mit Recht. "Für alle anderen ging es nur darum, so wenige Fehler wie möglich zu begehen." Hamiltons größtes Problem war es, immer wieder seinen Vorsprung auszubauen. "Immer wenn ich einen Vorsprung herausgefahren hatte, kam das Safety Car heraus und ich musste von vorne anfangen", bilanzierte er. "Erst einige Runden vor Schluss realisierte ich, dass der Sieg in Reichweite war." Dann nahm er die Fans auf den Tribünen wahr, zählte die Runden bis zur schwarz-weiß karierten Flagge. "Es war ein fantastischer Tag, das ist wahrlich Geschichte", strahlte er.

Dabei war es sein erster Besuch in Kanada, auf dem Circuit Gilles Villeneuve. "Es ist bislang eine tolle Saison. Ich bin vorher fünf Mal auf das Podium gefahren und war schon lange bereit für den ersten Sieg. Es war eigentlich nur eine Frage des Wann und Wo." Sein Teamkollege Fernando Alonso erwischte in Kanada keinen guten Tag. "Er hat nicht seinen allerbesten Tag gehabt", sagte Christian Danner. "Denn auch wenn ihn die Strafe wegen des zu frühen Boxenstopps in der Safety-Car-Phase unschuldigerweise viel Boden gekostet hat, den ersten Fehler hat er ja schon am Start gemacht, als er beim Angriff auf Lewis zu viel riskierte und dabei fast alles verlor." Martin Whitmarsh verteidigte seinen Piloten dafür. "Unsere Fahrer dürfen gegeneinander fahren", sagte er zu der Situation. "Fernando ging ein Risiko ein, das ging schief."

Unwichtige Niederlage

Für zwei von Alonsos Titelrivalen ging aber noch viel mehr schief. "Ein Sieg wird schwierig, da müsste schon alles zusammenpassen", hatte Chris Dyer bereits vor dem Rennen prophezeit. In den 70 Runden des Kanada GP passte dann gar nichts zusammen, weder für Felipe Massa noch für Kimi Räikkönen. "Wir hatten ein hartes Rennen erwartet", so Jean Todt, "aber das war nur ein Euphemismus."

Das positive Bild des Tages: Hamilton ist nun ein GP-Sieger., Foto: Sutton
Das positive Bild des Tages: Hamilton ist nun ein GP-Sieger., Foto: Sutton

Schon in der ersten Kurve kollidierten Felipe Massa und Kimi Räikkönen leicht miteinander. Dabei beschädigte sich Räikkönen den Frontflügel. Dieser wurde später weiter in Mitleidenschaft gezogen, als sich einige Trümmerteile von Kubicas BMW darin verfingen. "Dadurch hatte ich Untersteuern", klagte Räikkönen, der zudem Bremsschwierigkeiten hatte. "Letztlich konnte ich als Fünfter wenigstens ein paar Punkte mitnehmen. Es hätte besser sein können, aber auch sehr viel schlimmer..."

Als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, musste Massa gestehen: "McLaren war heute sehr stark, aber wir hätten auf das Podium fahren können." Whitmarsh sieht sein Team auch in den USA vorne. "Wir wären sehr enttäuscht, wenn wir in Indy nicht konkurrenzfähig wären." Noch sieht er Ferrari als härtesten Gegner im Titelkampf an, aber auch vor BMW Sauber hat er sehr viel Respekt. Das hat seinen Grund: Nick Heidfeld fuhr aus eigener Kraft auf Platz 2. "Wir hatten hier auf einen Podiumsplatz gehofft und auf Platz drei spekuliert, mit Platz zwei hatten wir nicht gerechnet", so der überglückliche Heidfeld. "Wichtig und sehr befriedigend ist, dass ich auch unter normalen Rennbedingungen, ohne die vielen Safety-Car-Phasen und die Strafe für Alonso, die Chance auf Platz zwei gehabt hätte." Heidfeld ist sich sicher: "Ich konnte Alonso wegfahren. Nach dem Stopp war die Lücke recht groß, und das war unerwartet." Mario Theissen hätte auch Robert Kubica einen Platz auf dem Podium zugetraut. Aber nach dem Unfall genügte ihm eins: Kubica ist unverletzt.

Die sieben Fragezeichen

Wie kam es zu Kubicas Unfall?
Es war die gute Nachricht des Abends: Robert Kubica blieb bei seinem Horrorunfall unverletzt. "Wir haben gerade die Information aus dem Krankenhaus bekommen, dass er unverletzt ist. Er wird über Nacht im Spital bleiben, wird aber morgen Vormittag entlassen", sagte BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen zu motorsport-magazin.com. Später veröffentlichten die Ärzte eine genauere Diagnose: Kubica hat einen verstauchten Knöchel und eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen. Trotz dieser verhältnismäßig geringen Auswirkungen darf man den Crash nicht auf die leichte Schulter nehmen. "Bis das Auto zum Stillstand gekommen ist, war er für einige Sekunden bewusstlos, aber offensichtlich weniger als eine Minute", sagte Theissen weiter. Was Theissen noch nicht sagen konnte, war, ob Kubica in Indianapolis am kommenden Wochenende bereits wieder im Einsatz sein wird. "Diese Entscheidung wird erst in Indianapolis getroffen. Es gibt einen medizinischen Check und dann werden wir sehen." Als Ersatzfahrer stünden Sebastian Vettel und Timo Glock bereit.

Auch Jarno Trulli konnte das Rennen nicht beenden., Foto: Sutton
Auch Jarno Trulli konnte das Rennen nicht beenden., Foto: Sutton

Wie war es zu diesem Horrorunfall gekommen? "Nach meinem Boxenstopp in der ersten Safetycar-Phase hat mich Robert Kubica von hinten getroffen und hatte dann seinen fürchterlichen Unfall", hielt sich der sichtlich geschockte Jarno Trulli kurz. "Ich hatte mich nicht von meiner Linie wegbewegt dabei." Das Kohlefasermonocoque, das so viel Aufprallenergie absorbiert, das HANS-System, das den Kopf und Nacken schützt, und all die Sicherheitsmaßnahmen der modernen F1 haben Kubica bei dessen Frontaleinschlag mit über 200 km/h und dem folgenden Überschlag quer über die Strecke das Leben gerettet. "Zur Unfallursache sieht es für mich allerdings schon so aus, dass Robert da einen Fehler gemacht hat, als er an dieser Stelle außen an Trulli vorbei wollte", sagte uns Christian Danner. "Das ist nicht unbedingt der geeignete Platz, um so ein Manöver zu probieren."

Warum wurden Alonso und Rosberg bestraft?
Nico Rosberg stellte sich diese Frage selbst: "Was habe ich getan, um das zu verdienen?", fragte er nach seiner Zehn-Sekunden-Stop-and-Go-Strafe. "Warum macht das mein Rennen kaputt, nur weil ich in der Runde keinen Sprit mehr habe? Das ist völliger Quatsch", enthüllte er das wahre Problem. Rosberg war, genauso wie Alonso, mit dem letzten Tropfen Benzin unterwegs und musste zum Nachtanken an die Box kommen. Beide konnten keine Rücksicht auf das neue Safety-Car-Reglement nehmen, welches zu diesem Zeitpunkt ein Einfahren in die Box untersagte. "Ich kam in Runde 24 an die Box, weil ich kein Benzin mehr hatte. Es gab keine andere Möglichkeit", sagte Alonso. "Die einzige Alternative war auf der Strecke ohne Benzin auszurollen." Das kam logischerweise nicht in Frage. "In der F1 fährt man eben so lange, bis der Tank fast leer ist", betonte McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh.

Warum wurden Massa und Fisichella disqualifiziert?
Während Alonso und Rosberg ihre Fehler bei der Boxeneinfahrt begingen, erwischte es Felipe Massa und Giancarlo Fisichella bei der Boxenausfahrt. Beide überfuhren die rote Boxengassenampel, die Strafe dafür ist klar: Rotsünder müssen vom Platz oder in diesem Fall von der Rennstrecke. Massa und Fisichella bekamen die schwarze Flagge gezeigt. "Ich konzentrierte mich zu sehr auf Kubica, der neben mir war - ich habe die rote Ampel nicht gesehen", war Fisichella ehrlich. "Jeder kann so einen Fehler machen", unterstützte ihn sein Chefingenieur Pat Symonds. "Giancarlos Instinkt ist Rennen zu fahren und er konzentrierte sich voll auf Kubica - da kann man leicht die Ampel übersehen." Das gleiche Argument brachte auch Massa vor: "Leider habe ich beim Verlassen der Box noch nicht einmal auf die Ampel geachtet, unter anderem weil so viele Autos hinter mir waren."

Warum kam Sato so leicht an Alonso vorbei?
Es war eine ungewöhnliche Szene: ein Super Aguri machte Jagd auf einen McLaren Mercedes - und gewann diese scheinbar spielend. "Ich hatte ein grandioses Gefühl während der letzten Runden, als ich mit den Vordermännern mitfahren und sie letztlich auch sicher überholen konnte", strahlte Takuma Sato, der zunächst Ralf Schumacher und dann den Weltmeister persönlich überholte. "Das war auf jeden Fall der schönste Tag in meinem Leben als Rennfahrer und das ist ein unglaubliches Resultat."

Grün bedeutet fahren. Rot bedeutet stehen bleiben., Foto: Sutton
Grün bedeutet fahren. Rot bedeutet stehen bleiben., Foto: Sutton

Aber wie kam es dazu? Nach seiner Strafe gab Alonso alles. "Ich habe so hart wie möglich gepusht, weil ich im Mittelfeld-Verkehr feststeckte", erzählte er. "Wenn man ans Limit geht, dann kommt man eben auch mal von der Strecke ab, aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich nichts mehr zu verlieren." Bei diesen Ausrutschern in die Wiese beschädigte er sich einige Aerodynamikteile. Außerdem überstrapazierte er seine Reifen. "Fernandos Auto war beschädigt, er fuhr sehr aggressiv und steckte im Verkehr fest - diese Kombination sorgte dafür, dass die Balance nicht stimmte", so Martin Whitmarsh. Unter diesen Umständen sind die superweichen Reifen sehr anfällig. "Wir hatten viel Graining auf den Reifen, vor allem am Ende", bestätigte der Spanier. "Als wir die weichen aufgezogen haben, haben sie stark abgebaut, es war also wirklich ein Lotterierennen."

Warum hängt bei Spyker der Haussegen schief?
"Wir haben wieder eine Gelegenheit auf Punkte ausgelassen", trauerte Teamchef Colin Kolles möglichen WM-Zählern hinterher. Wie in Monaco schieden beide Spyker-Piloten aus - insgesamt küssten sie dreimal die Mauer. "Adrian und Christijan müssen sich darauf konzentrieren und daraus lernen. Wir dürfen uns so eine Chance nicht mehr entgehen lassen", klagte Kolles weiter. Denn der Hauptkonkurrent Super Aguri nutzte die Chance und erhöhte auf 4:0 Punkte im Duell gegen Spyker. "Adrian ist wieder einmal aus eigener Kraft abgeflogen - er muss diese Fehler abstellen, wenn er auf diesem Level fahren möchte", schimpfte Technikchef Mike Gascoyne. Den Diskussionen um einen vorzeitigen Fahrerwechsel dürfte das sicher neuen Zündstoff zuführen.

Warum war Nick trotz seines 2. Platzes sauer?
Schon am Freitag hofften die Fahrer, dass der Asphalt in Montreal diesmal halten würde, dass keine Brocken mehr herausbrechen würden. Am Rennsonntag wurden jedoch wieder Ausbesserungen am Streckenbelag durchgeführt. "Es ist fast ein bisschen peinlich für die Strecke, jedes Jahr das gleiche, das sollte man besser in den Griff bekommen", sagte Nick Heidfeld schon vor dem Rennen. Danach wurde er noch deutlicher: "Es ist nicht akzeptabel, dass man hier noch einmal so viel Abrieb hat. So viel Klumpen habe ich selten gesehen, und ich denke auch nicht, dass das alles nur Gummiabrieb war. Teilweise hat sich anscheinend auch der Streckenbelag aufgelöst. Ja, wir sind die besten Fahrer der Welt und bleiben auf der Linie, aber wir sprechen hier von Zentimetern. Vor allem in Kurve zehn, das muss für nächstes Jahr in Ordnung gebracht werden."

Murmeltiere sind im Grünen besser aufgehoben., Foto: Sutton
Murmeltiere sind im Grünen besser aufgehoben., Foto: Sutton

Warum freuen sich die Murmeltiere nicht mit Super Aguri?
Wenn Murmeltiere F1-Fanclubs gründen könnten, würden sie sich Ralf Schumacher und Toyota anschließen, keinesfalls Super Aguri und Anthony Davidson. Denn Ralf bremste am Freitag auch für Murmeltiere und ließ den kleinen haarigen Gesellen unbeschadet die Straße überqueren, auch wenn der nächste F1-Zebrastreifen in Monaco lag. Davidson war da im Rennen weniger umsichtig. "Es tut mir so leid um das Murmeltier", sagte der betroffene Brite. "Ich habe es gar nicht gesehen und habe mich gewundert, warum auf einmal die Vorderreifen blockierten." Das Murmeltier war ihm vor das Auto gerannt und hatte den Frontflügel beschädigt. Die Diagnose: Leider alles andere als unverletzt. Dennoch sei es für Davidson ein sehr schönes Rennen gewesen. Die Murmeltiere dürften das anders sehen...