Die Briten und ihre Royals - das ist eine ganz eigene Geschichte. Fast so kompliziert, wie das Verhältnis der britischen Presse zu Michael Schumacher - oder den Deutschen im Allgemeinen. Seit Sonntag hat das Home of British Motor Racing jedoch einen neuen König: Fernando Alonso räumte auch in Silverstone alles ab, was es abzuräumen gab. Die Pole, der Sieg und die schnellste Rennrunde gingen an den Spanier. Pole und Sieg sogar zum dritten Mal in Folge. Kein Wunder, dass er nach den Doppelschlägen bei seinem Heimspiel in Barcelona, beim Saisonhighlight in den Straßen von Monaco und dem Traditionsrennen in Silverstone derzeit auf Wolke Nummer 1 schwebt.
Die Dominanz
"Wir haben das Rennen von Anfang an dominiert", ließ Renault-Teamboss Flavio Briatore keinen Zweifel an der Überlegenheit seines Weltmeisters aufkommen. "Wir hatten keine Probleme mit den Reifen, mit der Strategie, haben die Pole Position sogar mit mehr Sprit an Bord herausgeholt - eigentlich war alles ganz easy."
Marc Surer beurteilte die Sonntagsspazierfahrt des Titelverteidigers genauso: "Kurz gesagt - die Franzosen machen verdammt gute Arbeit!" Genau genommen erinnern die Sieges- und Zuverlässigkeitsserie der Gelb-Blauen verdächtig an die rote Dominanz der Jahre 2002 und 2004.
Den Ritterschlag erhielt Alonso dabei nicht von der Queen, sondern von Ferrari-Rennleiter Jean Todt. Warum hatten die Roten ihre Konkurrenzfähigkeit im Vergleich zu Renault nach dem Barcelona-Test falsch eingeschätzt? "Alonso war nicht beim Test in Barcelona", sagte der kleine Franzose und machte damit Giancarlo Fisichella und Heikki Kovalainen, die sehr wohl beim Test anwesend waren, noch viel kleiner als er es selbst ist.
Alonso versuchte derweil ganz bescheiden, wie er nun einmal ist, seine klare Dominanz etwas zu dämpfen. "Ich musste schon ständig Druck machen, um meinen Vorsprung zu halten", sagte er. "Denn wir wussten nie so genau, was mit den Reifen passieren würde, ob wir vielleicht doch noch Graining bekommen würden. Und auch bei den Boxenstopps kann immer mal was passieren."
Letztlich sind dies aber alles Sorgen, die sich nicht auf seine Gegner auf der Rennstrecke, sondern auf seine Technik und sein Glück beziehen. Von Ferrari oder McLaren hängt all dies nicht ab. "Wir sind hierher gekommen mit der Überzeugung, dass wir schnell genug sind", sagte Michael Schumacher. "Das Wochenende hat uns aber eines Besseren belehrt: Wir waren einfach nicht schnell genug."
"Wenn man davon ausgeht, dass man gewinnen kann, und es dann nicht schafft, dann ist das schon eine Enttäuschung", fügte Todt hinzu. "Wir hatten erwartet zwei Punkte aufzuholen", sagte Technikchef Ross Brawn, "jetzt haben wir zwei verloren." Aber dafür gebe es laut Todt nur einen einzigen Grund: "Es gab ein Team, das noch schneller war."
Die "Vorfälle"
Der Start in das achte Saisonrennen verlief ohne Probleme. Doch in der ersten Kurve ging es drunter und drüber - wenn auch 'nur' im Mittelfeld. "Es hat alles mit meinem schlechten Start angefangen", schilderte Ralf Schumacher seinen Leidensweg "Ich habe zu viele Positionen verloren und war plötzlich mitten im Verkehr. So können diese Dinge eben anfangen, denn in so einem Chaos hat keiner Platz."
Die Autos waren überall um ihn herum und daher wäre es sehr schwer für ihn gewesen, zu sehen, was wirklich passiert ist. "Aber ich wurde von hinten angeschoben." Und zwar von Scott Speed. "In der Linkskurve bei Becketts habe ich versucht an Ralf vorbeizukommen, da er offenbar keinen guten Start und ich guten Grip hatte", beschrieb der Amerikaner die Situation aus seinem Cockpit. "Ich kam in der Rechtskurve neben ihn und dann haben wir uns einfach verhakt als ich außen an ihm vorbei wollte. Ich glaube, er hatte nicht erwartet, dass ich da war."
"Dadurch habe ich mich gedreht und konnte es nicht mehr vermeiden, Mark in die Quere zu kommen", so Ralf weiter. "Ich hatte einen recht guten Start und habe sofort ein paar Plätze gutgemacht. Es schien so, als ob Scott Speed Ralf eingangs Becketts am Heck berührt hat, wodurch sich der Toyota gedreht hat und mir in die Quere kam", fügte Mark Webber seine Sichtweise hinzu. "Ralf hat offenbar noch versucht, sein Auto zu retten, was sein gutes Recht ist, aber er kam direkt wieder zurück auf die Strecke als ich innen war und versucht habe, gut aus der Kurve rauszukommen, da hatte ich keinen Platz mehr auszuweichen."
Die Schuldfrage klärten die drei Geschädigten unter sich: "Es war ein Rennunfall und da kann keiner etwas dafür, denn niemand macht so etwas absichtlich." Trotzdem war für alle drei das Rennen schon in Kurve 1 gelaufen.
Nicht ganz so verheerende Folgen hatte die Berührung von Juan Pablo Montoya und Jacques Villeneuve, die ebenfalls in der ersten Kurve stattfand. "Juan Pablo und ich sind in der ersten Kurve aneinander geraten", begann Villeneuve seine Erzählung. "Ich war innen, und er verfolgte auf der Außenlinie ein anderes Auto. Er kam auf seiner Linie über die Strecke und konnte mich nicht sehen. Ich bin mit blockierenden Rädern in ihn reingerutscht. Zum Glück ist nichts kaputt gegangen."
Das galt aber nur für den Kanadier. "Es ist sehr schade, dass Villeneuve eingangs der ersten Kurve die Kontrolle über sein Auto verloren hat und mir in die Seite gefahren ist", so Montoya. "Der Einschlag hat im Seitenkasten ein großes Loch hinterlassen und daher hatte ich während des Rennens auch ein paar Probleme mit der Balance." Aber auch hier zog man ein besänftigtes Fazit: "Ein normaler Rennunfall."
Rennanalyse: Gähnen, grausam, ganz schlimm...
Wer die obigen Zeilen und Kommentare liest, könnte fälschlicherweise den Eindruck erhalten, dass der Großbritannien GP eine packende und mitreißende Angelegenheit war. Um keine Missverständnisse vorkommen zu lassen, hier die Renneinschätzung von Christian Danner: "Das war ein gähnend langweiliges Rennen." Damit dies einmal klargestellt ist.
Der Grund für die müden anderthalb Stunden Nachmittags-"Unterhaltung" waren wieder einmal die fehlenden Überholmanöver. "Das kennen wir ja inzwischen: Es wird alles nicht mehr auf der Strecke entschieden, sondern in der Box", klagte Danner über die ereignislosen 60 Runden. "Das ist ja das Grausame: Es gibt keine Überholmanöver Auto gegen Auto mehr. Im Gegenteil: Es kostet die Fahrer nur Zeit, wenn sie einen Überholversuch starten." Also wird stattdessen lieber auf die Boxenstopps gewartet. So kamen Fisichella an Massa, Schumacher an Räikkönen und Montoya an Heidfeld vorbei. Aktive Positionswechsel gab es höchstens bei den Aufholjägern Button und Trulli, die sich in recht unfairen Zweikämpfen mit den Super Aguri und Midland duellieren durften.
Teamanalyse: Alle jagen einen
Renault Ein ganz normales Rennwochenende für Renault: Pole, schnellste Runde und überlegener Sieg. Fernando Alonso macht's möglich. Giancarlo Fisichella war bei seinem "Lieblingsrennen" nicht siegfähig. Mehr als Rang 4 sprang für den Italiener nicht heraus. Selbst die Anfeuerung im Boxenfunk Kimi Räikkönen noch in den Schlussrunden für die Schmach von Suzuka 2005 zahlen zu lassen, reichte nicht aus, um Fisico noch auf das Podium zu hieven. In der Konstrukteurswertung liegt man dennoch mit 31 Zählern weiter klar auf Titelverteidigungskurs. Der R26 von Fernando Alonso war auf alle Fälle auch in Silverstone das schnellste Auto - obwohl die Franzosen vorher das Gegenteil behauptet hatten.
Ferrari Die Italiener hatten hingegen damit gerechnet, dass ihr 248 F1 das schnellste Auto sein würde. Dieser Schuss ging jedoch nach hinten los: Der neue Rundenrekord in Barcelona schien nur ein Test-Strohfeuer gewesen zu sein. Wie beim Spanien GP fielen die Roten am Sonntag im Vergleich zu den Gelb-Blauen ab. Am Ende konnte Michael Schumacher zwar noch einmal zulegen, das reichte aber erstens nicht mehr zum Sieg aus und war zweitens auf einen frischen Reifensatz zurückzuführen. Seine Konkurrenten fuhren hingegen im letzten Stint auf gebrauchten Pneus. Felipe Massa verlor seinen 4. Platz beim 1. Boxenstopp an Fisichella und blieb ansonsten gewohnt blass. Die Scuderia muss sich etwas einfallen lassen, wenn sie in den verbleibenden 10 Rennen Renault und Alonso noch vom Thron stoßen möchte.
McLaren Das die Leistung von McLaren in Monaco in Silverstone nicht zu reproduzieren sein würde, war schon im Vorfeld klar - dafür ist der britische Kurs aerodynamisch zu anspruchsvoll und der MP4-21 auf diesem Gebiet noch nicht state of the art. Dennoch waren die Silbernen bei ihrem Heimspiel stärker als angenommen. Kimi Räikkönen konnte sowohl im Qualifying als auch im Rennen vorne mitfahren und Ferrari ärgern. Ob die Roten um so viel stärker waren, wie es der letzte Rennabschnitt vermuten ließ, bleibt vorerst ungeklärt. Ganz auf dem Niveau von Ferrari dürfte McLaren aber noch nicht sein. Juan Pablo Montoya blieb wie die beiden roten und gelb-blauen Nummer 1B-Piloten klar hinter der Leistung des Teamkollegen zurück.
Honda Die Japaner blieben bei ihrem Heimspiel erst recht hinter jedem ihrer einstmals verkündeten Siegansprüche zurück. Für Jenson Button war sein Heimrennen ein schwarzes Wochenende und auch bei Rubens Barrichello lief es nicht rund. Allerdings bestätigte sich der Trend der letzten Rennen: Barrichello scheint momentan besser in Fahrt zu sein als Button. Sollte BMW Sauber seinen Aufwärtstrend fortsetzen können, könnten die 12 WM-Zähler Vorsprung auf die Hinwiler noch vor dem Saisonende aufgebraucht sein. Für Honda gilt es also schnellstmöglich den Speed und die Zuverlässigkeit zu verbessern.
BMW Sauber Die Weiß-Blauen haben zumindest beim Speed zugelegt: In Silverstone waren sie unerwartet stark - und auch die Standfestigkeit scheinen sie nach den anfänglichen Problemen mittlerweile im Griff zu haben. Ob der Performancegewinn nun auf eine flexible Weiterentwicklung der Flügel zurückzuführen ist oder nicht: So lange dies nicht verboten ist, werden wohl bald alle Teams mit solchen Flügellösungen anrücken. Dann wird sich zeigen, wie groß die Fortschritte bei BMW Sauber wirklich sind.
Williams Enttäuschte Gesichter gab es nach dem Heimrennen in der Williams-Box zu sehen. Nach dem Zwischenhoch von Monaco wurde das Team in Silverstone auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Mark Webber hatte dies schon vorher befürchtet. Im Gegensatz zu McLaren konnte Williams seine Monaco-Form also noch nicht einmal ansatzweise bestätigen. Für Mark Webber war das Rennen schon nach wenigen Metern gelaufen und Nico Rosberg scheiterte mit dem undankbaren 9. Platz an den Punkterängen.
Red Bull Racing Auch Red Bull Racing konnte sein Monaco-Hoch nicht wiederholen: Beide Fahrer blieben im Mittelfeld und wurden sogar vom Schwesterteam gesprengt. Das groß angekündigte Update für das Heimrennen brachte also keine Verbesserung. Immerhin schien die Zuverlässigkeit zu stimmen - der Speed fehlte jedoch.
Toyota Die Weiß-Roten konnten das Potenzial des neuen TF106B abermals nicht unter Beweis stellen. Nach Jarno Trullis Motorschaden musste sich der Italiener von ganz hinten durch das Feld kämpfen und hatte somit von vorneherein keine Chance auf Punkte. Für Ralf Schumacher war das Rennen nach dem Startunfall schon in Runde 1 beendet. Die nächste Chance erhalten die Japaner in zwei Wochen in Kanada.
Scuderia Toro Rosso Auch das zweite Red Bull Team hatte in Silverstone keine Chance auf einen Punktgewinn. Mit Scott Speed verlor man bereits kurz nach dem Start eines der beiden Autos. Tonio Liuzzi konnte aufgrund eines Speed-Defizits auf den Geraden nicht mehr als einen Mittelfeldplatz ergattern. Ohne Ausfälle unter den Top-Teams ist für STR nicht mehr drin.
MF1 Racing Midland wusste bei seinem Heimspiel vor allem im Qualifying zu überzeugen. Das ewige Gerede von den großen Fortschritte zeigte endlich Wirkung: Tiago Monteiro schaffte es erstmals bis in die 2. Qualifying-Session. Dabei brauchte er aber so viele Reifensätze auf, dass er im Rennen gegen seinen Teamkollegen Christijan Albers den Kürzeren zog. In Kanada könnte übrigens Adrian Sutil ein vorzeitiges Comeback im dritten Auto am Freitag geben. Eigentlich war sein nächster Einsatz erst für Frankreich geplant.
Super Aguri Endlich! Seit Australien hat es Super Aguri versucht beide Autos ins Ziel zu bringen. In Silverstone war es beim Heimspiel endlich so weit. Ob Franck Montagny aber noch oft den Genuss einer solchen doppelten Zielankunft für die Weißen kommen wird, ist fraglich. Mit Sakon Yamamoto hat das Team nun erstmals einen Freitagstester eingesetzt, der als Japaner schon bald im 2. Stammcockpit zum Einsatz kommen könnte.
Ausblick: Noch nichts entschieden
Hat sich Fernando Alonso mit seinem fünften Saisonsieg bereits die Titelverteidigung gesichert? Ist die WM bereits gelaufen? "Gott sei dank nicht", sagt Christian Danner. "Michael hat jetzt 23 Punkte Rückstand - das ist zwar eine Menge Holz, aber Alonso muss nur ein, zwei Mal ausscheiden, dann sieht es schon wieder ganz anders aus." Alonso ist seit dem Kanada GP 2005 nicht mehr ausgefallen und seit Belgien 2004 ohne technischen Defekt. "Irgendwann wird auch er wieder einen schlechten Tag erwischen."
Flavio Briatore würde darauf natürlich nicht wetten: "Im Moment gewinnen wir immer und dabei sind wir auch heute gar nicht einmal so schnell gefahren, wie wir gekonnt hätten", drohte er der Konkurrenz. "Eigentlich geht nur noch was, wenn er mal ausfällt", sagt Marc Surer. "Aber er fällt eben kaum aus. Das ist das Problem für die Konkurrenten. Schumacher ist in so einer Topphase mal zweieinhalb Jahre nicht ausgefallen - wenn man das so sieht, dann sieht das jetzt auch nicht gut aus für Schumacher und die anderen."
An Aufgabe denkt der Ex-Champion aber noch lange nicht. Schon am Samstag sagte er nach dem Qualifying, dass selbst ein weiterer Alonso-Sieg keine "Vorentscheidung" wäre und die Lage noch "nicht aussichtslos" sei. "Es kommt immer darauf an, wie man die Dinge sehen will, und ich sehe sie gerne positiv", fügte er am Montag hinzu. "Klar kann man jetzt sagen, dass der WM-Kampf extrem hart wird, wenn es so weiter geht. Das wissen wir auch. Aber man muss doch auch sehen, dass wir noch nicht einmal die Hälfte der Saison erreicht haben! Wenn Fernando einen solchen Vorsprung hat herausfahren können, ist es doch schon allein deshalb möglich, dass er ihn auch wieder verliert. Aufgeben gilt nicht, es gibt keinen Grund dafür. Dafür sind bei weitem noch zu viele Rennen zu fahren."
Nämlich genau zehn. "Also sind noch 100 Punkte zu vergeben", rechnete er vor. "Obwohl ich 23 Punkte hinter Fernando liege, ist der Titelkampf noch offen."
BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen sah in Alonsos Vorstellung dennoch eine "klare" Aussage. "Renault ist derzeit das stärkste Team und hat das schnellste Auto. Fernando macht keine Fehler und ist der Topfavorit auf den Titel." Aber auch Theissen macht den Ferrari-Fans zumindest ein klein wenig Mut: "Die Saison ist noch lang und es kann immer etwas passieren - darauf muss die Konkurrenz lauern. Aus eigener Kraft wird es aber schwierig."
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