Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, neigt man gerne dazu, jedes Thema mit "Früher war alles besser" zu kommentieren. In diesem Fall trifft es jedoch zu. Die Netflix-Generation mag es nicht wissen, doch früher waren die Auslaufzonen in der Formel 1 nicht alle asphaltiert. Früher gab es auch das Unwort 'Track Limits' nicht, denn für die Fahrer gab es kein Über-das-Limit-fahren, von der Strecke abkommen und wieder zurückkehren.

Der Grund ist einfach: Früher gab es Kiesbetten und diese verziehen keinen Fehler! Sie waren für einige der legendärsten Szenen der Geschichte verantwortlich. Wer erinnert sich nicht an China 2007 als Lewis Hamilton seinen McLaren auf dem Weg in die Boxengasse im Kies vergrub? Oder an den Deutschland GP 2018 als Sebastian Vettel den Grip in der Sachskurve überschätzte und zu spät bremste. Wegen des Kiesbetts konnte er den Einschlag nicht mehr verhindern. Was wäre gewesen, wenn an diesen Stellen eine asphaltierte Auslaufzone gewesen wäre?

Ferrari von Sebastian Vettel steckt in der Bande
Vettels Ferrari steckt in der Bande ..., Foto: imago/DeFodi
Wütender Sebastian Vettel nach Ausfall beim Deutschland GP
...und Vettel ist furchsteufelswild, Foto: IMAGO Image/HochZwei

Nichts! Hamilton und Vettel wären einfach weitergefahren. Doch genau von solchen Szenen und den Emotionen, die damit einhergehen, lebt die Formel 1. Drama in Hockenheim – Vettel crasht in Führung liegend! Das sind Stories, die man lesen will und nicht, dass es 1.200 Verstöße gegen Track Limits beim Großen Preis von Österreich 2023 gab. Zum Glück hat man in Spielberg reagiert und an den neuralgischen Stellen neben den Randsteinen schmale Kiesstreifen verlegt. So einfach war damit die Situation entschärft.

Fakt ist, dass Rennfahrer immer einen Vorteil nutzen, sobald sie ihn sehen, auch wenn sie dafür eventuell eine Strafe kassieren. Das bringt mich zu einem weiteren Punkt – Kiesbetten sorgen für faireres und besseres Racing. Bestes Beispiel der Grand Prix in Austin 2024. Max Verstappen und Lando Norris lieferten sich rundenlang ein packendes Duell, das damit endete, dass Norris für sein Überholmanöver gegen Verstappen mit fünf Sekunden bestraft. Eine Strafe, die für zahlreiche Diskussionen sorgte. Warum nicht zurückkehren zu einer "natürlichen" Bestrafung für den, der über das Limit hinausschießt?

Motorsport ist gefährlich

Natürlich verstehe ich den Sicherheitsgedanken hinter den asphaltierten Auslaufzonen. Es stimmt, dass sich die Autos mit hoher Geschwindigkeit in den Kiesbetten eingraben und überschlagen könnten. Zum Glück sind in der modernen Formel 1 Überschläge längst nicht mehr lebensgefährlich, sofern das Auto nicht mit dem Cockpit auf etwas (z.B. einem Gegenstand) landet. Allerdings steht nicht ohne Grund auf jedem Formel-1-Ticket 'Motorsport ist gefährlich' und ist das nicht auch seit jeher Teil der Faszination

Bitte versteht mich nicht falsch. Ich plädiere nicht für Kiesbetten, weil ich spektakuläre Unfälle sehen oder in die gefährliche Zeit von Prost, Lauda oder Senna zurückkehren will. Ich will Spannung! Ich will Hero-Momente! Dreher und Unfälle gehören dazu, aber das heißt nicht, dass es gefährlicher werden muss. In der Formel 1 fahren die 20 besten Fahrer der Welt und von denen will ich nicht sehen, wie sie auf der Suche nach dem Limit beliebig oft in den Auslaufzonen herumfahren - ohne Konsequenz.

Roger Benoit: Hamilton ist eine emotionale Zeitbombe (01:04:11)