Der 05. Oktober 2014 - ein schwarzer Tag in der Geschichte des Motorsports. Bei widrigen Bedingungen verlor Adrian Sutil beim Japan-GP in Kurve sieben die Kontrolle über sein Auto. Eine Runde später ereilte Jules Bianchi an ebendieser Stelle dasselbe Schicksal. Während einer Gelbphase rutschte er von der Strecke und schlug in einen Bergungskran ein, der Sutils Sauber von der Strecke transportierte. Neun Monate lang kämpfte er im Koma mit starken Kopfverletzungen um sein Leben, er erwachte nie mehr. Am 17. Juli 2015 erlag er im Krankenhaus in Nizza seinen Verletzungen.
Bianchi galt im Fahrerlager als aufstrebendes Nachwuchstalent, dem eine große Zukunft in der Königsklasse vorhergesagt wurde. Als Meister der Formel-3-Euroserie und mit starken Ergebnissen in der GP2 zog er die Aufmerksamkeit vieler F1-Top-Teams auf sich. Seinetwegen wurde 2009 die Ferrari Driver Academy ins Leben gerufen. Die Scuderia ermöglichte ihm zahlreiche Testfahrten und lieh ihn auch an Force India aus. Dort nahm er 2012 an neun Freitagstrainings teil und konnte Erfahrungen in der Formel 1 sammeln.
Wie gut war Jules Bianchi in der Formel 1?
2013 gelang ihm mit Marussia der Aufstieg in die Königsklasse. Der MR02 gehörte zu den langsameren Autos und konnte aus eigener Kraft nicht um Punkte fahren. Bianchi machte das Beste aus dieser Situation. Seinen Teamkollegen Max Chilton hatte er klar im Griff: Das Qualifying-Duell entschied er in seiner Debütsaison mit 17:2 klar für sich.
Im Jahr darauf gelang Bianchi beim Großen Preis von Monaco trotz eines unterlegenen Autos eine Sensation. Er beendete das Rennen im Fürstentum auf dem neunten Platz und sicherte sich und seinem Rennstall damit die ersten WM-Zähler in der Formel 1. "Was er [Bianchi] in Monaco 2014 erreicht hat, war wahrscheinlich so gut wie das, was Ayrton Senna gemacht hat, als er damals im Regen startete und aufs Podium fahren konnte", ordnete Landsmann Romain Grosjean Bianchis Performance ein.
Graeme Lowdon, ehemaliger Sportlicher Direktor bei Marussia, sprach auch positiv über Bianchis Leistungen im Allgemeinen: "Er hatte das Zeug dazu, einmal Weltmeister zu werden. Das konnte man sofort sagen, als er zum ersten Mal unsere Garage betreten hatte." Dabei war aber nicht nur das fahrerische Talent des Franzosen besonders: "Er war ein wunderbarer junger Mann, ein beeindruckender Rennfahrer, aber viel mehr noch ein außergewöhnlicher Mensch. Er war sowohl herzlich als auch mitfühlend und das hat jeder gespürt, der ihn getroffen hatte."
War die Leistung in Monaco der notwendige Schritt für eine Beförderung nach Maranello? Seine Zukunft bei Ferrari war zum Greifen nah: "Wir hatten ihn als jenen Piloten auserwählt, der zum Zuge gekommen wäre, wenn die Zusammenarbeit mit Kimi Räikkönen einmal endet", sagte der damalige Präsident der Scuderia Ferrari, Luca di Montezemolo, über die Zukunftspläne mit Bianchi. Ein Wechsel zu einem der wohl begehrtesten Cockpits in der Formel 1 schien also nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Das Vermächtnis von Jules Bianchi
Die Beförderung in ein Top-Team blieb Jules Bianchi durch seinen Tod nach seinem tragischen Unfall in Suzuka verwehrt. Als Mentor, Patenonkel und Freund von Charles Leclerc, lebt sein Vermächtnis in der Königsklasse aber weiter. Seine Beziehungen zu Nicolas Todt retteten Leclercs Karriere, als diese zu enden drohte.
Todt ist Mitgründer des Nachwuchsteams ART Grand Prix und heute in erster Linie Manager. Erste Erfahrungen sammelte er mit Felipe Massa, später konzentrierte er sich vor allem auf die Förderung junger Nachwuchspiloten. "Der erste Fahrer, den ich unter Vertrag genommen habe, war Jules Bianchi", erinnert sich der Sohn des ehemaligen Ferrari-Rennleiters und späteren FIA-Präsidenten Jean Todt. "Dank ihm habe ich dann Charles [Leclerc] getroffen."
"[Jules Bianchi] wusste natürlich, dass ich Ende 2010 aufgehört hätte, wenn es keine großen [finanziellen, Anm. d. Redaktion] Veränderungen für meine Karriere gegeben hätte", betonte Leclerc im Interview mit Motorsport-Magazin.com. "Er wurde von Nicolas gemanagt. Also hat er gesagt: 'Ich habe da einen sehr guten Freund, aber seine Racing-Karriere könnte dieses Jahr enden. Schau dir doch mal seine Ergebnisse an und wenn du interessiert bist, dann nimm ihn'", erinnert sich der Mann aus Monaco. Und so kam es auch. Leclerc konnte seine Karriere fortsetzen, sodass ihm 2019 der Schritt zu Ferrari gelang, der Bianchi verwehrt blieb.
"Er hätte den Ferrari-Sitz definitiv verdient, wahrscheinlich sogar mehr als ich", glaubt der Monegasse. "[Das Schicksal] hat leider etwas Anderes für ihn entschieden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er wahrscheinlich noch mehr gezeigt hätte als ich."
Um seine Unterstützung und sein Vermächtnis zu ehren, ging Leclerc beim zehnten Japan-GP nach dem Unfall mit Bianchis Helmdesign an den Start. "Es war sehr wichtig für mich, diesen Helm zu tragen", reflektierte Leclerc vor dem Rennwochenende. "Man muss sich an Jules erinnern. Dass ich heute hier in der Formel 1 bin, verdanke ich ihm."
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