Seit Miami hatte McLaren in jedem Rennen ein siegfähiges Auto. Doch Lando Norris und Oscar Piastri brachten in Imola, in Monaco und auch in Barcelona nur einen zweiten Platz zustande. Der Spanien-GP war der jüngste Grand Prix, der für Norris im schnellsten Auto startete und in einer Enttäuschung endete. Er verfluchte den Start, doch war McLaren auch sonst der Konkurrenz von Max Verstappen gewachsen? Motorsport-Magazin.com dreht in der Analyse das Rennen durch die Mangel.
"Als Team haben wir denke ich eine perfekte Strategie abgeliefert", verteidigt ein niedergeschlagener Norris nach dem zweiten Platz seine Mannschaft. Er nimmt die Niederlage ganz auf sich: Von Pole gestartet, hatte er sich in der ersten Kurve von Verstappen und George Russell abziehen lassen. Das brachte ihn und seine McLaren-Strategen in eine schwierige Lage.
Was hätte Norris am Start in Barcelona besser machen können?
Mercedes hatte in Barcelona nie die Pace zum Sieg, das weiß das Team. Russells herausragendes Manöver in Kurve 1, bei dem er an der Haftungsgrenze die Führung übernahm, war für ihn selbst nur eine Showeinlage: "Ich wusste, das Wetter sagte, es würde ein großer Gegenwind in der Kurve blasen und ich wusste, ich konnte sehr, sehr spät bremsen. Das hat die Jungs kalt erwischt."
Ohne den Mercedes wäre Norris außen noch immer leicht vorne gewesen: "Wäre George nicht da gewesen, hätte ich den ersten Platz behalten können." So aber war Norris der Mann in der Mitte. Er bekam Bammel und bremste früh: "Wenn ich zwei Meter später bremse, hätte ich alle mit rausgerissen. Da zurückzustecken war die richtige Entscheidung." Wodurch Verstappen Platz zwei übernahm.
McLaren-Teamchef Andrea Stella verneint, dass Norris' Start schlecht gewesen wäre: "Gut, vielleicht war ein besserer Start möglich und er wäre einen Meter weiter vorne gewesen, aber das war alles sehr marginal." Für ihn ist nicht klar, ob Norris überhaupt irgendetwas anders hätte machen können. Es ist ein halber Kilometer bis zur ersten Kurve, und da die Teams alle hier mit viel Abtrieb fahren, ist der Windschatten-Effekt enorm: "Russell hat Doppel-Windschatten von Lando und Max bekommen. In Kurve eins war Lando sehr smart. In einer Sekunde kann das Rennen da weg sein."
Red Bull hat eine kritische Stärke gegen McLaren
Russell mochte selbst nicht im Kampf um den Sieg sein, doch er würde nun die Vorentscheidung herbeiführen. Verstappen zog mit DRS in Runde drei sofort vorbei. Norris konnte nicht folgen und verlor fünfeinhalb wertvolle Sekunden, bis Russell in Runde 15 zum Stopp abbog. Aber warum? Dass der McLaren das schnellste Auto auf der Strecke war, da sind sich alle einig. Nur - er war das schnellste Auto auf eine Runde. Nicht auf den Geraden.

Red Bull und McLaren wählten in Barcelona etwas größere Heckflügel. Trotzdem hatte der RB20 im Qualifying vergleichbare Topspeeds mit dem etwas flacher bestückten Mercedes. Norris lag am Ende beider Geraden ein paar Km/h zurück. Das rächte sich nun, als er dringend an Russell vorbeimusste, und nicht konnte. "Wären wir nach dem Start hinter Verstappen gelegen, hätten wir unsere Karten mit guten Chancen spielen können", glaubt Andrea Stella.
Fahrer | vor T1 | vor T10 |
---|---|---|
Verstappen | 328,5 km/h | 311,1 km/h |
Russell | 329,3 km/h | 310,7 km/h |
Norris | 325,3 km/h | 307,3 km/h |
Verstappen stoppt, Norris nicht: Red Bull & McLaren im Strategie-Disput
So aber fand sich McLaren plötzlich in einer verworrenen Situation mit Mercedes. Dort legte man das Rennen als aggressiven Undercut-Zweistopper an. In Runde 15 kam bereits Russell, in Runde 16 folgte Lewis Hamilton. Davon war McLaren nicht ausgegangen. Deren Strategen hatten von vornherein geplant, über die Runde 20 hinaus zu fahren, verrät Stella: "Wir waren sehr überrascht, als wir die Leute in den Runden 16, 17 kommen sahen."
"Für mich ist das ein bisschen selbst zugefügter Schmerz, weil der Abbau hier so hoch und Überholen so einfach ist", wundert sich Stella. Red Bulls Strategen hatten jedoch anders gerechnet. Kaum dass man Norris' erste Runde ohne Mercedes-Behinderung in freier Luft sah, holte man Verstappen rein. Denn er war in 21er-Zeiten geschlittert, während Norris plötzlich wieder im 1:20er-Bereich fahren konnte.
Das schien nur Red Bulls Vorab-Rechnungen zu bestätigen. Ein aggressives Undercut-Rennen mit frühen Stopps würde Verstappen an der Spitze halten und es ihm erlauben, in freier Luft seine fahrerischen Stärken im Reifenmanagement auszuspielen. "An dem Punkt entschlossen wir uns, auf das optimale Rennen in Sachen Strategie und Stopp-Runden zu gehen", bestätigt Red-Bull-Teamchef Christian Horner. "McLaren zögerte den Stopp hinaus, weg vom optimalen Rennen."

Horners Ansicht teilt Stella nicht: "Wir dachten, das würde uns zurück ins Rennen bringen, und haben uns auf unser Rennen konzentriert." Norris blieb bis Runde 23 draußen, und mit im Schnitt neun Zehnteln pro Runde hielt sich sein Verlust auf den neu bereiften Verstappen auch in Grenzen. Als er meldete, dass der Grip begann nachzulassen, holte ihn die Box sofort zum Wechsel auf Medium.
Im Vakuum betrachtet ist McLarens Rechnung nachvollziehbar. Die Stopps der Spitze waren 2024 deutlich früher als im Vorjahr. Üblicherweise lässt sich nur das Mittelfeld in solche aggressiven Strategien treiben. Zu bedenken gilt: McLaren und Red Bull starteten mit unterschiedlichen Ausgangspositionen ins Rennen. Sich dem marginalen Pace-Defizit bewusst, war Red Bull wohl unbedingt darauf aus, Verstappen mit einem frühen Stopp sofort in frische Luft zu bringen.
Warum stoppt McLaren Norris so spät?
Bei McLaren war der Weg zur "optimalen" Strategie holprig und von Mercedes gezeichnet. In Runde 14 gedachten die Strategen erstmals einen Undercut an, Norris' Meinung wurde per Funk eingeholt. Nach seiner Antwort - "Ich bin viel schneller und stecke, machen wir irgendwas" - erhielt er innerhalb von wenigen Kurven erst die Order, das Gegenteil von Russell vor ihm zu machen. Kurz vor der Einfahrt nahm das Team das wieder zurück.

Mit dem Russell-Wechsel eine Runde später gingen McLaren nun die Optionen aus. Wegen des hier starken Undercuts war selbst bei einem 5,37 Sekunden langsamen Mercedes-Stopp ein Positionswechsel nicht garantiert. Ein Stopp in Runde 16 war für McLaren also ein Risiko. Im schlimmsten Fall blieb man hinter Russell und das Rennen war vorbei. Im besten Fall war man in einer basierend auf den eigenen Analysen schlechten Strategie gefangen und müsste hintenraus Reifen managen. Obendrauf könnte Verstappen reagieren und weiter vorne bleiben.
Wichtig ist diesbezüglich, dass der Pace-Vorteil von Norris nicht gigantisch war, im Gegenteil. Es sieht auf den ersten Blick vielleicht viel aus, wenn der McLaren zehn Sekunden hinter Verstappen aus der Box kommt und den Rückstand im Mittelstint wieder zufährt. Aber das ist der Tatsache geschuldet, dass die beiden asynchron stoppten. Dadurch verloren und gewannen sie an unterschiedlichen Punkten aufeinander Zeit.
Nimmt man alle Runden abzüglich In- und Outlaps ab Runde 16, der ersten ohne Russell im Bild, so gewann Norris über diese gesamte Distanz nur ungefähr 3,2 Sekunden. Das entspricht mageren sieben Hundertstel pro Umlauf. "Die Rennpace war sehr ähnlich", meint Stella. "Sah fast aus, als hätte die Parität vom Qualifying auch im Rennen gegolten, wo du sonst normalerweise eine gewisse Variation hast, die durch die Interaktion mit den Reifen entsteht."
Wie stark schadete Mercedes dem Norris-Rennen?
Ein früherer Stopp hätte also womöglich bloß ein eingefrorenes Bild mit Verstappen-Norris zur Folge gehabt. Dass Norris sich dadurch für den zweiten Stopp in eine Undercut-Position hätte bringen können, ist nicht garantiert. Aus McLaren-Sicht macht es Sinn, starke anfängliche Pace sofort beim ersten Stopp in einen Reifenvorteil von sechs Runden umzumünzen.
Das bringt uns aber noch einmal zurück zu Mercedes. Beide tauchten nach Norris' erstem Stopp aufgrund des starken Undercuts wieder vor ihm auf. Diesmal waren sie leichte Beute für ihn, dank des Reifen-Offsets. Erst ab Runde 35, nachdem er beide überholt hatte, begann er auf Verstappen Zeit gutzumachen.
Ihre Präsenz schien McLaren auch beim zweiten Stopp weiter zu treiben. Diesmal wurde ein früher Hamilton-Stopp zur Gefahr. Die Frage der Box, ob er Hamilton noch einmal überholen könne, bejahte Norris erst, ehe er nachschob: "Hängt davon ab, ob wir Erste oder Dritte werden wollen." Die Box entschied sich daraufhin, nicht erneut einen Reifen-Offset zu Verstappen aufzubauen, sondern sicherzustellen, dass man vor Hamilton blieb. Mit nur drei Runden frischeren Soft konnte Norris im Schluss-Stint nicht mehr wirklich zu Verstappen aufschließen.
Unter dem Strich ist es schwierig, McLaren einen glasklaren Fehler anzukreiden. Während Red Bull ein perfektes Rennen fahren konnte, musste Norris mit über fünf hinter Russell verlorenen Sekunden arbeiten. Bei einem Pace-Unterschied im Hundertstelbereich ist das bereits zu viel, und wegen Mercedes blieben nur mehr Kompromiss-Strategien übrig. Entweder früh stoppen und auf den Reifen-Vorteil verzichten, oder spät stoppen und Mercedes wieder im Weg haben. Größte Hilfe wäre wahrscheinlich Rückenwind in Kurve 1 gewesen. Damit Russell nicht das Start-Manöver riskiert.
diese Formel 1 Nachricht