Sieht so ein geschenkter Sieg aus? Lando Norris fuhr mit 7,612 Sekunden vor Max Verstappen in Miami ins Ziel. Etwas viel für ein Geschenk. Das bestätigt die Renn-Analyse: Der Norris-McLaren war das schnellste, und vor allem das beste Auto des Grand Prix. Hätte Norris nicht einmal das Safety Car gebraucht?
Dass die Realität es ihm einfach machte, ist klar. Der seinen ersten Stint verlängernde Norris hatte in Runde 29 dreifaches Glück mit dem für eine Kollision zwischen Kevin Magnussen und Logan Sargeant ausgerufenen Safety Car. Alle direkten Gegner hatten schon gestoppt und waren hinter ihm. Das Safety Car halbierte die beim Stopp verlorene Zeit. Und der Moment, in dem es auf die Strecke fuhr, war perfekt.
Das hatte es just getan, als Norris an der Boxenausfahrt vorbei war. Es ist nicht verpflichtend für das Safety Car, sofort den Führenden aufzunehmen. Das Feld wird später geordnet. In Miami führte das dazu, dass Max Verstappen eine Runde hinterherfuhr, während Norris sich nur an das Virtual-Safety-Car-Delta halten musste. Das ist schneller als das echte Auto. So setzte er sich von der Schlange ab und garantierte, dass er beim Boxenstopp vorne blieb.
Norris erkämpft sich die Chance selbst. Ab Runde 19 klar bester Fahrer
Diese Faktoren mussten hart erarbeitet werden. Norris fuhr nur von Platz fünf los, fiel in einer turbulenten ersten Kurve auf Platz sechs zurück und begann das Rennen unauffällig hinter Sergio Perez. Von starker Pace keine Spur: "Vielleicht hat es zu Beginn nicht so ausgesehen, aber ich steckte einfach hinter vielen Autos." Sein Teamchef Andrea Stella lobt: "Von der ersten Runde an begann er die Reifen zu sparen und wusste, das Rennen würde an einem Punkt zu ihm kommen."
Während Norris seine Reifen kontrollierte, schaffte das Perez vor ihm nicht. Er geriet ab Runde 10 zunehmend in Bedrängnis. Das bewog Red Bull schon in Runde 17 zum Stopp. Der befreite Norris drehte sofort auf, und McLaren reagierte: "Wir sahen, welche Zeiten Lando fahren konnte und dachten, dass wir ihn auch ohne Safety Car draußen lassen könnten, um eine Lücke aufzubauen und am Ende mit frischen Reifen schnell zu sein."
Ferraris Strategie-Entscheidungen erweiterten das Norris-Potenzial. Charles Leclerc wurde in Runde 19 zum Stopp geholt, weil er hinter Oscar Piastri feststeckte. Mit dem frühen Wechsel wollte die Scuderia Undercut-Druck auf Piastri und auch auf den führenden Verstappen aufbauen. Das Vertrauen in den reifenschonenden SF-24 war so groß, dass die Strategen vor einem frühen Stopp nicht zurückschreckten.
Die Taktik war insofern erfolgreich, als dass sie Verstappen vier Runden später zum Stopp trieb. Die Red-Bull-Strategen wurden nervös, als Leclerc 1,4 von Verstappens vor dem Stopp 3,7 Sekunden großen Puffer in nur zwei Runden auslöschte. "Wir konnten sehen, dass Leclerc näher kam, und es war die optimale Zeit für einen Stopp", so Red-Bull-Teamchef Christian Horner.
Der Schlüssel hier ist: Leclerc fuhr die Zeit auf Verstappen heraus. Nicht auf Norris. Anders als Verstappen war Norris auf alten Medium immer noch schneller als Leclerc auf neuen Hard. Dann war er schneller als Verstappen auf neuen Hard. Schneller als Piastri, schneller als Perez, schneller als Sainz. Zwischen Runde 19 und Runde 26 war Norris trotz alter Reifen immer der schnellste Fahrer auf der Strecke. In Runde 27 war er um eine Tausendstel der zweitschnellste.
"Ich meine, die war der Wahnsinn", so Verstappen nach dem Rennen über die McLaren-Pace. "Ich hätte die nie geschafft." Damit verhinderte Norris schon, dass Verstappen die Safety-Car-Lücke zufuhr, sprich den Rückstand auf unter 11 Sekunden verkürzte. Das ist ungefähr die Zeit, die man bei einem Stopp unter Safety Car verliert. So eröffnete Norris die Chance, dass er bei einer Neutralisierung stoppen und in Führung bleiben konnte - auch ohne das Glück, dass das Safety Car zuerst Verstappen auflas.
Norris bricht nicht und nicht ein: Kann er ohne Safety Car zum Sieg fahren?
Als das Safety Car dann kam, war Norris noch immer schnell. "Es wäre sehr interessant gewesen, wie lange wir so hätten fahren können", meint McLaren-Teamchef Stella. "Wir hatten nicht vor zu stoppen, solange er grüne Sektoren fuhr und seine Rundenzeiten relativ zu den Leuten auf Hard wettbewerbsfähig waren." Zur Erinnerung: Norris lag auf Platz sechs, als Perez in Runde 17 stoppte. Perez verlor in den 10 Runden danach trotz neuer Reifen 4,5 Sekunden. Damit hatte Norris die fünfte Position per Overcut gewonnen.
Je länger Norris fuhr, desto größer wurde der Reifen-Offset. Und auch wenn Red Bull richtig anmerkt, dass Überholen nicht einfach ist - ein großer Reifenvorteil macht Überholen in der Formel 1 wirklich einfach. "Ich wusste, selbst ohne Safety Car würde er auf frischen Reifen kommen und ich würde recht hart pushen müssen, um ihn hinter mir zu halten", sagt Verstappen.
Norris hätte nach seinem Stopp wohl vier Fahrer - Verstappen, Piastri, Leclerc und (wahrscheinlich) Sainz - auf der Strecke überholen müssen. Zum Zeitpunkt des Safety Cars schien er dank der von Leclerc losgetretenen frühen Stopps an der Spitze dafür auf Kurs, sich einen substantiellen Reifenvorteil von bis zu 15 Runden herauszufahren.
Andererseits stoppte Sainz erst in Runde 27. Gegen ihn wäre der Reifenvorteil deutlich geringer. Wäre Norris also hinter dem Ferrari geblieben, hätte er mehr aus dem Reifen quetschen müssen, um zu überholen - und es vielleicht gar nicht geschafft. Wie einfach wäre das Überholen also geworden? Unmöglich zu sagen, wie Verstappen später in der Pressekonferenz mit Humor kommentiert: "Hätte, hätte, hätte - wenn meine Mutter Eier hätte, wäre sie mein Vater."
Warum war Norris so viel stärker als Verstappen?
Bei Hypothesen darf zum Abschluss die Frage nach den Gründen nicht fehlen. Zum einen war Red Bull definitiv schwach. Verstappen konnte sich schon am Start nie von Oscar Piastri absetzen. Er klagte über ein Auto mit zu nachgiebigem Heck in langsamen Kurven, und gleichzeitig über Untersteuern in schnellen: "Das kannst du nicht ausbalancieren, weil du zwei verschiedenen Dingen nachjagst."
Außerdem fuhr er sich wohl in Runde 21 bei seinem Ausritt über den Poller einen Unterboden-Schaden ein. Ein genauer Blick auf die Zeitlupe legt nahe, dass seine linke hintere Unterbodenkante hart auf die Poller-Befestigung aufschlug und dabei augenscheinlich einiges zu Bruch ging.
Das darf Mclarens Leistung nicht schmälern. Das erste große Update schlug ein. So auch eine neue Setup-Philosophie: Das Auto wird auf die vom Grundkonzept ungeliebten langsamen Kurven abgestimmt, die Abstriche in schnellen Passagen nahm man in Kauf. In Miami funktionierte das. Die Konkurrenz ist jetzt gefordert nachzulegen. Updates von Ferrari und Red Bull sollen in Imola nicht fern sein.
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