Es klingt erst einmal paradox und unfair: Alex Albon verunfallt, Logan Sargeant darf nicht starten, weil er sein Auto an den Crash-Piloten abgeben muss. Das ist die Williams-Geschichte von Australien kurz zusammengefasst. Dahinter steckt aber deutlich mehr als eine unfaire Entscheidung, die meiner Meinung nach auch nicht unfair, sondern nur hart, aber korrekt ist.

Die Geschichte beginnt schon früher. Viel früher. Wahrscheinlich irgendwo zwischen Frank und Claire Williams. Der Rennstall, der einst Rennsieger und Weltmeister hervorbrachte, wurde zu einem wahren Hinterbänklerteam. Man konnte gerade so viel Geld auftreiben, um den laufenden Betrieb zu stemmen. Investitionen in die Fabrik? Fehlanzeige.

Mit der Übernahme des Teams durch Dorilton und der späteren Verpflichtung von Teamchef James Vowles drehte sich der Wind. Was der ehemalige Mercedes-Mann in Grove vorfand, war ein Trümmerhaufen. Der vergangene Winter, so sagt das Team selbst, war ein Desaster.

20.000 Teile in einer Excel-Liste

Ein modernes Formel-1-Auto besteht aus rund 20.000 Einzelteilen. Jedes dieser Teile wurde bei Williams bislang in einer Excel-Liste verwaltet. "Diese Liste war ein Witz", sagte mir Vowles - on the record wohlgemerkt. Das sagt viel über die Zustände aus.

Vowles dreht gerade den gesamten Laden auf links. Mit Müh und Not konnte man zum Saisonstart zwei komplette Autos fertigen. Beinahe wäre man in die Paddy-Lowe-Tage zurückgefallen, als man den Testauftakt verpasst hatte. Auch damals wollte ein Mercedes-Mann Williams umkrempeln.

Vowles bekam es hin, das technische Niveau anzuheben und trotzdem zwei Autos zu haben. Nur für das Ersatz-Chassis hat es eben nicht mehr gereicht. Damit ging man ein kalkuliertes Risiko ein. Albon machte aus dem kalkulierten Risiko mit einem unnötigen Unfall im 1. Training ein Debakel.

Wer holt Punkte: Albon oder Sargeant?

Und trotzdem darf er starten, während Sargeant zuschauen muss. Die Entscheidung ist unpopulär, aber völlig richtig. Vowles geht nicht nur bei der Entwicklung und Umstrukturierung 'all in' für das Team, auch an der Rennstrecke. Überall müssen unangenehme Entscheidungen getroffen werden.

Das Williams-Duell Albon vs. Sargeant im Endstand
Die Statistik spricht eine eindeutige Sprache, Foto: LAT Images / Motorsport-Magazin.com

In der abgelaufenen Saison holte Albon alleine WM-Rang sieben für Williams. 27 der 28 Punkte gingen auf sein Konto. Sargeant startete im Schnitt fast fünf Positionen hinter seinem Teamkollegen, konnte von 27 Qualifying-Duellen kein einziges gewinnen und war im Mittel mehr als eine halbe Sekunde langsamer.

Wer hat also die besseren Chancen, in Australien für Williams Punkte zu holen? Und genau das sollte meiner Meinung nach die Entscheidungsgrundlage sein. Nicht: Wer hätte es moralisch verdient? Fair in diesem Sinne gab es in der Formel 1 noch nie. Es geht nicht um das Wohl von Albon oder Sargeant, es geht um das Team. Wie bei jeder einzelnen unangenehmen Entscheidung, die Vowles auch in der Fabrik treffen muss. Albon hat es sich vielleicht nicht moralisch verdient, aber mit Leistung.