Ein Jahr Warten heißt es, dann steht der Formel 1 bei Ferrari ein episches Stallduell ins Haus. Ein 40-jähriger Lewis Hamilton in der Endphase seiner Karriere wird antreten gegen einen noch immer im Aufsteigen begriffenen Charles Leclerc, der sich bereits für Sebastian Vettel als unüberwindbares Hindernis herausgestellt hat. Nur einer dieser Giganten kann gewinnen. Motorsport-Magazin.com fragt die Redakteure.

High risk, high reward
von Florian Niedermair
Die Fassade von Charles Leclerc als Heilsbringer der Scuderia bekam im Vorjahr Risse. Jetzt muss der Vettel-Zerstörer aus der Saison 2020 beweisen, was in ihm steckt. In einem idealen Umfeld: Das Team ist auf ihn aufgebaut und der Monegasse kennt die Scuderia in- und auswendig, während Lewis Hamilton sich erst auf das bekanntermaßen schwierige Klima in Maranello einstellen muss. Meine Prognose: Für den womöglich besten Qualifier im Feld ist die Messlatte Hamilton nicht zu hoch. Der Einsatz ist allerdings umso größer: Rekord-Weltmeister hin oder her, eine deutliche Niederlage kann Leclercs Karriere das Genick brechen.

Hamilton und die Höhle des Ferrari-Löwen
von Louis Budweg
Lewis Hamiltons Wechsel ist vor allem eins: mutig. Vielleicht zu mutig. Mit dann 40 Jahren begibt er sich in das gemachte Nest von Charles Leclerc. Auch als statistisch gesehen erfolgreichster Fahrer der Geschichte eine Mammutaufgabe. Ferrari ist Leclercs Team, und das Auto hat er jahrelang mitentwickelt. Hamilton muss sich im Spätherbst seiner Karriere in einem neuen Auto und einer gänzlich anderen Teamkultur zurechtfinden. Dabei ist nicht einmal klar, ob der Ferrari siegfähig sein wird. Leclerc hingegen kann nur gewinnen: Verliert er, verliert er gegen einen Rekordweltmeister. Gewinnt er, zementiert er seinen Status als Ferraris goldener Junge - und beendet unter Umständen Hamiltons Karriere.

Erlebt Hamilton sein rotes Wunder?
von Moritz Wimmer
Lewis Hamilton und Ferrari: Gibt es in der Formel 1 eine Kombination mit mehr Scheinwerferlicht? Wohl kaum. Die Ankunft des siebenfachen Weltmeisters bei der Scuderia bedroht Leclercs Status als Ferrari-Heilsbringer und Aushängeschild. Wie wird der Monegasse darauf reagieren? Ich meine, genau richtig! Nach (am Ende ihrer gemeinsamen Zeit) vier Jahren mit Carlos Sainz als Teamkollegen, der nie wirklich als echter Gradmesser galt, erwarte ich 2025 einen Charles Leclerc, der (endlich) wieder das Messer zwischen den Zähnen hat und auch vor dem erfolgreichsten Fahrer in der Geschichte dieses Sports nicht zurückschreckt. Doch reicht das alles, damit Hamilton sein rotes Wunder erlebt? Wenn man mich heute fragen würde, würde ich im Zweifel dennoch auf die Qualitäten des Altmeisters setzen. Dafür war mir Leclerc in den letzten Jahren, vor allem im Rennen, zu fehleranfällig. Der Unterschied ist allerdings denkbar knapp.

(Alb-)Traum Ferrari?
von Rebekka Bauer
Ja, Ferrari ist Ferrari, und ich möchte Sebastian Vettel auch gar nicht unrecht geben. Tief in unserem Herzen steckt in jedem von uns ein kleiner Tifoso. Aber: Lewis Hamilton muss es nun mit Charles Leclerc aufnehmen. Charles Leclerc, der schon als Kind in Ferrari-Bettwäsche geschlafen hat. Charles Leclerc, der nicht nur als Fahrer und vor allem auf eine Runde überragend, sondern seit 2016 in Maranello zuhause ist. Er kennt das Team, das Auto, die Gepflogenheiten und die Landessprache. Hamilton wechselt von seinem Mercedes zu Leclercs Ferrari. Wenn er gegen den jungen Monegassen untergeht, wird der Traum Ferrari schnell zum Albtraum. Davon weiß Sebastian Vettel auch zu berichten.

Charles Leclerc feiert mit Lewis Hamilton auf dem Podium.
Bis jetzt jubelten Hamilton und Leclerc in unterschiedlichen Farben, Foto: LAT Images

Harte Bewährungsprobe für Leclerc
von Carina Teifelhard
Jetzt bekommt Charles Leclerc harte Konkurrenz. Mit Sebastian Vettel hatte er schon einen hochkarätigen Teamkollegen an seiner Seite, dem er die Stirn bieten konnte. Ob ihm das auch gegen einen der erfolgreichsten Piloten in der Geschichte der Formel 1 gelingt, bleibt abzuwarten. Für Leclerc ist es der perfekte Test, um zu sehen, ob er der Rolle des Goldjungen von Ferrari gewachsen ist. Auch wenn es für Lewis Hamilton spricht, dass er die neue Herausforderung annimmt, wird er den Monegassen wohl vorerst nicht bezwingen können. Falls doch, muss sich Leclerc warm anziehen. Ich glaube aber, dass die Saison 2025 mit ziemlicher Sicherheit zugunsten des Monegassen ausgehen wird.

Wer ist in Maranello der echte König?
von Markus Steinrisser
Puh, schwierige Frage. Ich bin ja ein bekennender Fan Charles Leclerc als Rennfahrer, und wie er in seiner ersten Ferrari-Saison mit einem 2019 noch immer schnellen Sebastian Vettel umgesprungen ist, ist ein klares Signal, das auch ein Lewis Hamilton nicht außer Acht lassen darf. Ich glaube aber nicht, dass ein Hamilton einfach am 1. Januar 2025 in Maranello marschiert und denkt, dass das Team - seit 2021 ohne Zweifel Leclercs Team - plötzlich einen Außenseiter über Nacht zu König krönen wird. Leclerc hat ein Jahr, um sich darauf vorzubereiten, und die Schwächen auszusortieren, die er in den letzten zwei Jahren gezeigt hat. Hamilton wird ihm die nicht durchgehen lassen. Das traue ich Leclerc auch zu, und die Möglichkeit, gleich zwei F1-Legenden während einer Ferrari-Karriere zu brechen ... mehr Motivation geht nicht. Aber Stand jetzt? Hamilton im Vorteil. Die sieben Titel kamen nicht nur dank dem Auto.

Ferrari enterbt den eigenen Kronprinzen
von Tobias Mühlbauer
Charles Leclerc sollte der Goldjunge von Ferrari sein. Mit dem eigenen Nachwuchsmann sollte die WM gewonnen werden. Sein erst kürzlich geschlossener neuer Vertrag (angeblich bis 2029 gültig) unterstrich dies umso mehr. Doch der Ferrari-Kronprinz bekommt jetzt urplötzlich einen Formel-1-König vor die Nase gesetzt. Lewis Hamilton ist ein gewaltiges Kaliber. Der Abgesang, den manche nach der Niederlage gegen George Russell 2022 anstimmten, war verfrüht. 2023 sahen die Fans wieder den Ausnahmefahrer Hamilton. Leclerc hat sicherlich enorme Qualitäten. Im Qualifying wird der Monegasse die Oberhand haben. Im Rennen aber ist Hamilton der Meister, Leclerc hingegen streut immer noch gerne mal einen Fehler ein. In der Punktetabelle wird dies zu spüren sein. Leclerc muss beweisen, dass er ein Nico Rosberg ist und auch nach internen Niederlagen wieder zurückkommen kann. Ansonsten wird sein Ruf als kommender Weltmeister verschwinden.